Ich baue, also bin ich
20 Jahre Automobile Brandlands
Die Nullerjahre erscheinen im Rückblick geradezu paradiesisch für die deutschen Automobilhersteller. Klotzen statt kleckern – so die Devise, auch in der Architektur. Volkswagen, BMW, Mercedes-Benz und Porsche bauten Brandlands, Museen und Fabriken, die vor allem eines wollten: Aufmerksamkeit schaffen.
Vor zwanzig Jahren war die Welt in München, Wolfsburg und Stuttgart-Zuffenhausen noch in Ordnung. Jedenfalls aus der Sicht der deutschen Automobilindustrie. Dieselgate, ein kaum aufholbarer Rückstand in der Elektromobilität und vielleicht sogar das Ende des automobilen Zeitalters – alles noch in weiter Ferne. Stattdessen: aufsehenerregende Architektur, in der das Automobil inszeniert und ausgestellt wurde – mithilfe von Architektenstars wie Zaha Hadid, Coop Himmelb(l)au und UNStudio.
Architektur als Imagepflege
Was in den 2000er-Jahren als zukunftsweisend galt, wirkt in Zeiten von Fridays for Future und Corona-Krise allerdings wie ein verstaubtes Relikt aus einer anderen Welt. Vor zwanzig Jahren konnte die selbstbewusst auftretende (Schau-)Architektur der deutschen Automobilhersteller vor allem deshalb so gut funktionieren, weil sich damals der Wandel von der Konsum- zur Erlebnisgesellschaft vollzog. Auf das Automobil bezogen bedeutete dies, dass das Image des Produkts ebenso wichtig wurde wie das Produkt selbst. Das Automobil – als Träger unzähliger Mythen, Geschichten und Emotionen – war geradezu prädestiniert, Hauptdarsteller architektonischer Erlebniskonzepte wie Autostadt, BMW-Welt und Gläserne Manufaktur zu sein.
Das Auto als Symbol der Moderne
Automobilhersteller gehörten zu den ersten Unternehmen überhaupt, die den Wert von Architektur als Kommunikationsplattform erkannten. Für viele Architekten der klassischen Moderne bedeutete die Erfindung des Automobils ein Schlüsselerlebnis, das ihr architektonisches Denken maßgeblich beeinflusste und oftmals in einer Maschinenästhetik als Symbol des modernen Lebens mündete. Neben dem Entwurf von Fabriken gehörte die Gestaltung von Messeständen und Ausstellungsgebäuden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu den Bauaufgaben rund um das Automobil. Es waren insbesondere amerikanische Automobilhersteller wie Chrysler, General Motors und Ford, die sich architektonisch exponierten. Sie beeindruckten in den Dreißigerjahren auf den Weltausstellungen in New York und Chicago mit spektakulären Pavillons. Die aufwendigen Inszenierungen von Architekten und Designern wie Raymond Loewy und Norman Bel Geddes können als Vorläufer der heutigen Brandlands angesehen werden.
Architektur als Erlebnis
Die Erlebnisgesellschaft der Neunziger- und Nullerjahre markierte einen Wendepunkt, denn fortan war die Architektur das bestimmende Element zur Selbstdarstellung und gesteuerten Imagebildung in der Automobilindustrie. Die Vermittlung von Konsumerlebnissen war in den inzwischen gesättigten Märkten zum elementaren Differenzierungsfaktor zu anderen Marken geworden. Das zeigt sich auch daran, dass fast jedes wichtige zeitgenössische Architektur- und Designbüro Gebäude mit Bezug zum Automobil geplant und entworfen hat: Ron Arad einen Showroom für das Maserati-Headquarter in Modena, Nicholas Grimshaw eine Fabrik für Rolls-Royce in West Sussex, Renzo Piano das Mercedes-Benz-Design-Center in Sindelfingen, Massimiliano Fuksas den Verwaltungssitz des Forschungszentrums von Ferrari in Maranello.
Disneyland am Mittellandkanal
Die deutschen Automobilhersteller wählten in den 2000er-Jahren verschiedene Strategien, um sich architektonisch auszudrücken: expressive Einzelbauten wie das Porsche-Museum in Stuttgart von Delugan Meissl, das BMW-Werk in Leipzig von Zaha Hadid und das Mercedes-Benz-Museum von UNStudio entstanden, aber auch Gebäude-Ensemble. Parallel zur Expo in Hannover im Jahr 2000 eröffnete Volkswagen die Autostadt in Wolfsburg: Vor der beeindruckenden Kulisse der 1,3 Kilometer langen Backsteinfassade des Volkswagenwerks aus den Dreißigerjahren entstand auf einem 26 Hektar großen Gelände ein von Henn Architekten geplantes Konglomerat verschiedener Gebäude. Ein Disneyland des Automobils sozusagen: das Konzernforum als Entree, Pavillons mit teils plakativen Visualisierungen der einzelnen Marken des Volkswagen-Konzerns, das Zeithaus als Museum, die zwei transparenten Autotürme, in denen die produzierten Automobile bis zur inszenierten Abholung durch den Kunden gelagert werden.
Gebaute Statements
In München zeigt BMW, dass das Unternehmen spätestens seit den Siebzigerjahren auf gebaute Statement-Architekturen von hoher gestalterischer und technischer Qualität setzt. Zu den Landmarks BMW-Verwaltungshochhaus und BMW-Museum, die neben dem BMW-Werk stehen – beides Entwürfe des österreichischen Architekten Karl Schwanzer aus den frühen Siebzigern – gesellte sich 2007 die BMW-Welt, das vom Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au entworfene Auslieferungszentrum. Architektonisch ist das Gebäude durch schräg gestellte und in sich verdrehte Baukörper gekennzeichnet – es scheint, als wären Geschwindigkeit und Fahrdynamik der Automobile in Architektur übersetzt.
Mobilität in Beton gegossen
Architektur für Automobile hat das Paradox zu bewältigen, dass Autos – entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung – nur immobil präsentiert werden können. Die Architektur des Mercedes-Benz-Museums in Stuttgart, ein Entwurf von UNStudio, versetzt die ausgestellten Automobile ebenfalls mit Architektur in Bewegung: Da sind zum einen die zwei Ausstellungsrundgänge, bei denen sich der Besucher kreisförmig von oben nach unten bewegt, zum anderen direkt gezogene Parallelen von Architektur und Automobil, indem beispielsweise die Lüftungsschlitze des Gebäudes denen des Automobils nachempfunden sind. Durch die 1.800 Fenster, jedes unterschiedlich in seiner Form, schaut man außerdem auf reale, fahrende Autos, da das Museum direkt an einer vielbefahrenen, aufgeständerten Bundesstraße liegt.
Bilbao und die Folgen
Es ist kein Zufall, dass gerade in den Nullerjahren viele spektakuläre Gebäude und Architekturkonzepte entstanden, die von der Automobilindustrie in Auftrag gegeben wurden. Es war die Zeit, in der sich die sogenannte Star-Architektur geradezu explosionsartig verbreitete, auch in anderen Bereichen. Seitdem 1997 Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao eröffnete, spricht man vom sogenannten „Bilbao-Effekt“, womit die gezielte Aufwertung und Vermarktung von Orten durch Architektur, Kunst und Design gemeint ist. Bereits zu Beginn der Siebzigerjahre schrieben Venturi, Brown und Izenour in ihrer wegweisenden Publikation „Learning from Las Vegas“ von einer Unterhaltungsarchitektur, die sich an den durch die Massenmedien geformten Sehgewohnheiten orientiert. Hier stehen Attraktion, Effekt und Reiz im Vordergrund – das Bauwerk selbst wird zum Medienstar. Doch Architektur und Design sind zuweilen schnelllebig und zeitgeistig, sodass einmal Konzipiertes bereits nach wenigen Jahren wie aus der Zeit gefallen erscheinen kann. Der einzige Ausweg: die regelmäßige, wenig nachhaltige Überarbeitung von Architektur, Interiordesign und Inszenierung.
Brandlands, Schaufabriken und Museen: Was die deutschen Automobilhersteller in den Nullerjahren bauten, gibt es in unserer Bildergalerie mit 56 Fotos zu entdecken. Mit dabei: Pavillons vor Dreißigerjahre-Backstein-Fabrik-Kulisse, Bewegung als Motiv im Interiordesign, Autoauslieferung mit Doppelhelix, Sternstunden der Inszenierung. Plus: ein Büroturm, der aussieht wie ein Vierzylinder und ein Museum, dessen Dach ein Logo ist.