Ben van Berkel / UN Studio
Ben van Berkel wurde 1957 in Utrecht geboren. Nach seinem Abschluss in Architektur an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam sowie der Architectural Association in London 1987 sammelte er seine ersten beruflichen Erfahrungen in den Büros von Zaha Hadid und Santiago Calatrava. 1988 gründete er zusammen Caroline Bos das Büro „van Berkel & Bos Architectuurbureau“ in Amsterdam und konnte mit der Erasmusbrücke in Rotterdam (1990-1995) gleich eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte der Niederlande für sich entscheiden. Für die spätere Ausrichtung des Büros sollte jedoch vor allem das 1993 fertig gestellte Privathaus der Familie Möbius im niederländischen Het Gooi entscheidend sein, das zu einem Meilenstein der hybriden Architektur wurde. Aufgebaut wie eine übergroße Schleife sind die einzelnen Räume miteinander verschmolzen und leiten die über den Tag verteilten Bewegungsabläufe der Bewohner in eine komplexe bauliche Form über. Die hier erprobte Auseinandersetzung mit einer bis dato unbekannten Organisation von Raum und Bewegung wurde zum Markenzeichen des Büros, das 1998 in „UN Studio“ umbenannt wurde. Nach zahlreichen kleineren Projekten und Wettbewerbsbeiträgen gelang ihnen schließlich mit dem Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart (2001-2006) der Durchbruch. Zu den aktuell in Planung befindlichen Projekten gehören unter anderem ein Musiktheater in Graz, ein Bürokomplex in London sowie ein öffentlicher Platz im Hafen von Genua. Dass sein Büro bei alledem den Sinn für kleinere Projekte nicht verloren hat, zeigen die 2007 fertig gestellte Villa NM in der Nähe von New York sowie ganz aktuell: die visuelle Neugestaltung der Halle 11 auf der Kölner Möbelmesse "imm 2008". Wir trafen Ben van Berkel in Köln und sprachen mit ihm über die Organisation von Raum, seine Leidenschaft für Messen und was seine Gebäude mit der Musik von Arnold Schönberg verbindet.
Herr van Berkel, zusammen mit Ihrer Partnerin Caroline Bos arbeiten Sie unter dem Namen „UN Studio“. Was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung?
UN Studio ist gewissermaßen eine Netzwerkorganisation. Nicht so sehr weil wir Netzwerke besonders mögen, sondern weil wir gelernt haben, dass wir durch deren Aufbau mehr Zeit für den eigentlichen Inhalt unserer Arbeit bekommen: das Entwerfen. Um Zeit zu finden für gute Projekte, braucht man eine sehr gute Organisation. UN Studio steht daher für "United Networks", ebenso aber auch für „NO Studio“ oder „außerhalb des Studios“. Dazu kommt, dass der Kontakt mit der Öffentlichkeit sehr wichtig ist. Ich denke, Kommunikation ist der Schlüssel für jeden Architekten oder Designer. Wer keine Kommunikation macht, ist meiner Meinung nach kein Architekt.
Mit der Fertigstellung des Mercedes-Benz Museum in Stuttgart 2006 sind Sie schließlich auch einem größeren Publikum bekannt geworden. Inwieweit hat dies Ihre heutige Arbeit beeinflusst?
Das Mercedes-Benz Museum hat uns sicher viel geholfen, ebenso auch die Villa NM bei New York, die im Sommer 2007 fertig gestellt wurde. Wir bekommen fast jeden Tag Anfragen für neue Projekte oder Wettbewerbe. Ich bin dadurch aber auch viel kritischer geworden. Wenn der Ort nicht gut ist, wenn ich nicht genug Leute vor Ort kenne, wenn ich kein Netzwerk habe, das mit dem Projekt verbunden ist, dann mache ich es nicht. Ich kann nun viel selektiver sein in meiner Arbeit. Dieser Zustand ist einerseits recht komfortabel, andererseits muss man aufpassen, weiterhin „scharf“ zu bleiben. (lacht)
Sind Sie daher auf das Angebot der Kölnmesse eingegangen, ein visuelles Konzept für die Halle 11 der diesjährigen „imm“ zu entwickeln?
Es stimmt, anfangs waren viele ein wenig verwundert, was wir da machen. Doch für mich ist der Prozess der Kommunikation bei einem Projekt immer am Interessantesten. Orte, an denen für eine kurze Zeit eine große, öffentliche Interaktion entsteht, finde ich sehr faszinierend. Darum mag ich auch Messen sehr gerne. Sehen Sie die Kunstmessen. Das Spannendste an ihnen ist ja, dass man dort Menschen trifft, mit ihnen redet, Geschäfte abwickelt. Es gibt diese soziale Interaktion, die in Museen oder anderen Institutionen fehlt. Wir sollten diese Orte viel stärker wie Messen organisieren.
Was hat es mit dem Masterplan für Halle 11 auf sich?
Die Idee dahinter ist, Architektur, Design und Stadtplanung miteinander zu verbinden, um eine neue Form der Orientierung und Ordnung zu schaffen. Darum haben wir den Straßen zwischen den Ständen unterschiedliche Farben und somit auch Identitäten gegeben. Eine andere Idee war, die Interaktion zwischen den unterschiedlichen Gemeinschaften innerhalb des Masterplans zu fördern. Deshalb haben wir einige Abschnitte zu Gruppen zusammengefasst wie zum Beispiel die „Art of kitchen“ Ausstellung.
Wurden die Farben auf die späteren Nutzer abgestimmt oder wurde das System eher frei entwickelt?
Es gab von Seiten der Kölnmesse bereits eine Art Standartbelegungssystem, da sie über die Jahre wussten, wer gerne an welchem Platz ausstellen möchte. Daran konnten wir uns halten. Auf der anderen Seite konnten wir es auch nicht bis in jedes Detail hinein kontrollieren. Das fanden wir aber ganz spannend. Am Anfang waren natürlich alle überrascht, die unterschiedlichen Farben zu sehen, schließlich sind die Wege auf Messen immer grau. Die Leute sagen vielleicht, es sei nur ein Teppich. Aber ich sage: „Nein, das ist eine Straße.“ Sie gibt Orientierung, macht den Ort weniger dunkel und schafft zugleich mehr öffentliche Kommunikation. Die Leute haben darüber geredet und Wegbeschreibungen gegeben wie: „Gehen Sie zu Halle 11, die rote Straße auf der zweiten Etage entlang, dort warte ich auf Sie.“
Interessanter Weise braucht es eine gewisse Zeit, bis sich das Projekt als Ganzes erschließt…
Es stimmt, man muss es erst für sich entdecken. Es ist wie mit der Kunst. Erst weiß man vielleicht nicht, was es ist und versteht es dann irgendwann. Geht man dann wieder ein Stück zurück, merkt man, dass man es doch noch nicht ganz entdeckt hat. Also geht man wieder darauf zu und möchte es erneut analysieren. Ich baue gerne diese Art von dauerhafter Faszination auf. Gerade in der Architektur ist dies sehr wichtig, da man ansonsten nicht wieder zurückkehrt.
In der „Art of kitchen“ Ausstellung haben Sie einen 54 Meter langen Tisch entworfen, der zwischen mehreren Sitzhöhen variiert. Was war die Idee dahinter?
Wie haben ihn den „längsten Tisch der Welt“ genannt. Die Idee war, ihn so zu gestalten, dass er für unterschiedliche Kulturen des Sitzens gebraucht werden kann. In diesem Sinn kann man zwar sagen, es sei ein Tisch. Doch es ist mehr, es ist ein Raum der Kommunikation. Zusammen mit den Teppichen bildet er so etwa wie einen kleinen urbanen Platz, einen öffentlichen Raum.
Könnte er nicht auch als großes kompaktes Möbelstück in die Wohnung integriert werden?
Als großes langes Element in der Mitte? Ja, warum nicht. Wir haben heute schließlich keine klar definierten Wohnräume mehr. Traditionelle Aufteilungen sind so altmodisch geworden für die junge Generation. Wir kommen nach hause, setzen uns mit Freunden an einen Tisch und wollen danach ein wenig Fernsehen schauen. Der Tisch könnte heute zu einer Art Schlüssel für die Wohnung werden. Das ist eine schöne Idee.
Das Thema der Organisation spielt auch bei Ihren Gebäuden eine entscheidende Rolle. Anstatt Räume statisch aneinander zu reihen, inszenieren Sie den Fluss der Bewegung. Wie entstehen solche Nutzungskonzepte wie für das Mercedes-Benz Museum?
Das Faszinierende an diesem Projekt war ja, dass wir dort zum ersten Mal ein Museum entwickelt haben, bei dem man nicht nur von vorne sondern auch von oben auf die Objekte schauen kann. Darin lag meine Kritik an vielen Museen, die ich selbst zuvor entworfen oder zumindest gesehen habe. Wenn man ein Museum normalerweise betritt, ist die Kunst immer auf gleicher Augenhöhe wie man selbst. Ich wollte die Idee einbringen, dass man das Museum von oben betritt und zuerst eine Übersicht über das Ganze hat. Anschließend kann man eine Auswahl treffen und gezielt zu dem Objekt gehen, das man gerne sehen möchte.
Die jeweiligen Objekte können so auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden…
Ja, gerade bei Skulpturen ist dies normalerweise kaum möglich. Dabei sind Werke von Künstlern wie David Smith oder Anthony Caro für verschiedene Perspektiven konzipiert, die aber fast nie wahrgenommen werden. Ich wollte auf andere Weise über Spezialeffekte in Gebäuden nachdenken und Räume erzeugen, die sich nicht nur vor einem, sondern zugleich hinter einem befinden, die einen beinahe verfolgen. Dieses Konzept der Wahrnehmung unterscheidet sich ganz wesentlich zu dem der klassischen Moderne. Ich mag es, mit der Idee der Erinnerung und Wahrnehmung zu spielen. Es geht dabei um eine Angleichung zwischen dem, was man vor sich sieht und dem, was man gesehen hat. Von Zeit zu Zeit kollabiert das Ganze.
Die Wahrnehmung des Raumes gerät dadurch ebenfalls in Veränderung…
Ja, wie auch die Bedeutung des Raumes. Wen kümmert schließlich noch die Box oder der Blob? Unser Anliegen ist, den Aspekt des Übergangs zwischen der Box und den Geometrien, mit denen man arbeitet, herzustellen. Ich denke, in diesem transformatorischen Moment liegt der Schlüssel zu unserer Arbeit, in seiner Bedeutung und Veränderlichkeit. Es gibt uns die Chance, Architektur neu zu überdenken. Häufig ist Architektur zu aufgeladen mit Werten, mit denen man nicht immer arbeiten möchte – seien es gewisse kulturelle, gesellschaftliche oder auch politische Werte. Wir wollen die Architektur davon befreien.
Parallel zum Mercedes-Benz Museum haben Sie auch ein Sofa entwickelt, das die dynamische Verdrehung der Grundrisse in ein Möbelstück übersetzt. Liegt im Springen zwischen Maßstäben und damit auch zwischen den Disziplinen ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit?
Ich mag das sehr. Interessanterweise hat bei Projekten wie dem Möbius Haus oder dem Mercedes-Benz Museum kaum einer verstanden, dass sie zwar komplex aussehen, es aber gar nicht sind. Denn es gibt einen bestimmten Grad an Wiederholung in ihnen. Diese Idee des Seriellen ist dieselbe wie in der Musik bei Boulez oder Schönberg. Ihre Arbeit in die Architektur zu überesetzen, erzeugt eine gewisse Ruhe im Raum. Beim Möbius Haus haben wir nur drei Winkel gebraucht und diese überall wiederholt. Auf Fotos lässt sich das kaum erfahren. Man denkt nur, dass es unglaublich kompliziert zu bauen ist. Doch wenn man vor Ort ist, erkennt man darin auch eine gewisse Ruhe und Einfachheit. Es ist diese Qualität an Kohärenz, Ruhe und Komplexität, die mich interessiert.
Macht es dabei eigentlich einen Unterschied, ob es sich um ein öffentliches Gebäude handelt oder um ein Privathaus?
Ja, denn das Schöne an einem Privathaus ist ja, dass die Menschen dort bleiben. Sie kommen mit den Materialien länger in Berührung, was eine bestimmte formelle Perfektion notwendig macht. Auf der anderen Seite möchte ich nicht so streng sein mit der Unterscheidung zwischen öffentlich und privat. Mich interessieren vor allem die transformatorischen Qualitäten, die etwas halb Öffentliches oder halb Privates einführen. Bei der Villa NM gibt es zum Beispiel die Drehung. Das Haus startet als Box, geht in eine Drehung über und endet wieder statisch. Die Drehung ist der öffentlichste Bereich des Hauses, an dem sich die Bewohner treffen. In den Boxen an beiden Enden des Hauses kann man sich verstecken und dort in das Schlafzimmer oder das Wohnzimmer gehen. Auf der anderen Seite könnte man sagen, dass auch die Drehung einen Moment der Privatsphäre besitzt, da man von dort aus den besten Blick über die Landschaft hat. Diese Dinge ständig zu überlappen oder zu überkreuzen fasziniert mich.
Die Drehung findet sich ja auch in anderen Projekten wie dem Mercedes-Benz Museum wieder. Inwieweit fand hierbei ein Transfer untereinander statt?
Fast alles, was wir in den letzten 15 Jahren entworfen haben, lässt sich in irgendeiner Form in dem Mercedes-Benz Museum wiederfinden. Die Villa NM, obwohl sie erst viel später fertig gestellt wurde, wurde beispielsweise schon vor dem Museum entworfen. Die Idee der Drehung ist also schon vorab getestet worden. Dieser Gedanke der Serie ist sehr wichtig für unsere Arbeit. Darum stelle ich gerne Links her. Ich bin mir sicher, dass ich das Konzept für die „imm“ beispielsweise noch für eine Vielzahl weiterer Projekte nutzen werde. Vielleicht lege ich ja eines Tages Teppiche auf die Straße. Das wäre doch schön. Dann braucht man nur zu sagen: „Folgen Sie einfach dem roten Teppich und Sie kommen zur Stadthalle“. (lacht)
Vielen Dank für das Gespräch.
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