Sanfte Radikalität
Fabian Freytag über sein neues Buch, das Regelbrechen und die Magie Mailands
„Gently Radical“ heißt das neue Buch, das Fabian Freytag nächste Woche im Callwey Verlag veröffentlicht. Ein guter Grund, den Interiordesigner in Berlin zu treffen. Wir sprachen mit ihm über sein Bauchgefühl, das Arbeiten mit KI, seine Vorliebe für Vintage-Möbel – und über die Magie Mailands.
Fabian Freytag ist nicht nur ein interessanter Interiordesigner. Ein Treffen mit ihm ist immer unterhaltsam. Er ist witzig, wortgewandt und voller Energie – vor allem, wenn es um Ästhetik und die ganz großen Fragen geht.
Du wurdest 2023 als bester Interiordesigner des Landes ausgezeichnet – ist das gerechtfertigt?
Aber zu hundert Prozent! (lacht) Wenn man jeden Tag 14 Stunden arbeitet, ist die Auszeichnung von „Best of Interior“ ein schöner Meilenstein. Vor allem, wenn man nicht damit gerechnet hat. Es ist nicht selbstverständlich, mit dem, was wir tun, Geld zu verdienen oder ein Team erfolgreich zu führen. Dass das funktioniert und auch noch belohnt wird, macht mich doch sehr glücklich. Je mehr man sich dem Punkt nähert, morgens aufzuwachen und zu sagen „Ich mache, was ich will“ und wenn Leute das, was man tut, auch noch gut finden, umso besser. Diese Auszeichnung bringt Vorteile: Firmen und Kunden sind viel netter und man rechtfertigt sich weniger.
Was ist Deine größte Stärke?
„Out of the box“ zu denken. Ich bin Kaiserschnitt-Kind und war im Waldorf-Kindergarten – also wenn jemand sagt „Das muss so sein“, gilt das für mich erst mal nicht. (lacht) Tatsächlich bin ich so auch zu meinem Stil gekommen. Wenn das ganze Land sagt, alles muss wie Bauhaus aussehen, bin ich der Meinung: Genau das muss es eben nicht! Ich habe 2010 mein Diplom gemacht und es hat sehr lange gedauert, diese Regeln wieder abzuschütteln und zu akzeptieren, dass die einzige Regel das Bauchgefühl ist.
Du führst ein Designstudio, machst Kunst, betreibst eine Galerie und beschäftigst Dich schon seit einer Weile mit Vintage-Möbeln. Wie passt das alles zusammen?
Für mich ist interessant, nicht in Schubladen zu denken. Wirtschaftlich unterscheiden wir uns von anderen Büros, weil wir nur für die Planungsstunde bezahlt werden und keine Kickback-Vereinbarungen haben. Das heißt, dass wir nicht in Marken denken – das macht den Kopf frei. Ich kann machen, was ich will. Seit letztem Jahr widmen wir uns intensiv dem Thema Vintage. Das war ein harter Kampf, denn wir mussten Systeme etablieren, wie man an Vintage-Möbel herankommt. Normalerweise haben (Innen-)Architekten eine Mischkalkulation aus Planung und dem Verkauf von Möbeln. Wir aber sind keine Verkäufer, wir sind Kreative. Wir haben Kunden, die uns für das Produkt Wohnen buchen. Also soll sich auch der Besprechungsraum nicht nach Büro anfühlen, sondern wie ein Wohnzimmer. Es geht um Inszenierung. Da kommt meine Vergangenheit als Szenenbildner durch: Räume im Drehbuch zu denken. Ich möchte Lebensfreude in die Räume bringen. Das meine ich auch wirklich ernst, weil ich in der eigenen Familie erlebt habe, wie kurz das Leben sein kann. Also sollte man keinen Tag des Lebens in Räumen verschwenden, die es nicht wert sind, darin zu leben.
Du sagst, dass das Wesentliche in Räumen das Gefühl und nicht das Materielle ist. Wie erarbeitest Du dieses Gefühl für Räume?
Bei der Suite (Showroom von Fabian Freytag in Berlin-Mitte, Anm. d. Red.) war für mich beispielsweise immer klar, dass sie wie eine gute Hotellobby funktionieren muss, die keinen Bezug zur Realität hat. Du sollst nicht den hässlichen Berliner Hinterhof sehen oder das schlechte Wetter draußen, sondern beim Reinkommen Ort, Zeit und Raum vergessen. Viele Menschen haben zu viele Vorbilder, unter anderem durch die Pinterest-Seuche generiert. Ich mag auch keine von-jedem-etwas-Büfetts. Lieber ein Raum, ein Bild, ein Gefühl. Das ist Übungssache. Mit einem Tulip-Stuhl meint jeder, guten Stil zu beweisen. Aber cooler ist doch der Stuhl, auf dem kein Name steht, der nicht gebrandet und trotzdem besonders ist.
Wo und warum kommt in Deinem Studio KI zum Einsatz?
Wir nutzen KI viel für Ideenfindung, Mood-Mappen und so weiter. Das finde ich grandios. Es ist superspannend, dabei zu sein, wie dieses Baby wächst und älter wird. Ich habe keine Angst davor und denke, dass KI auf der kreativen Ebene der Menschheit etwas Gutes tut. Ich freue mich, „unmenschlichen“ Input als kreativen Sparringspartner zu bekommen. Midjourney spuckt fast nur ästhetische Bilder aus. Für mich ist das ein menschlicher Spiegel: All das, was die Menschen geschaffen haben, seit sie im Internet schöpferisch tätig sind. Und wenn die Leute mit der Urheberrechtsfrage anfangen, habe ich dafür nur ein großes Gähnen übrig.
Am 23. April erscheint Dein Buch Gently Radical. Wovon handelt es?
Ich wollte mal keine sinnlose Selbstbeweihräucherung ohne Inhalt veröffentlichen, sondern etwas schaffen, wovon die Leute auch etwas haben. Am Ende war die Reise – darüber nachzudenken, was ich eigentlich den ganzen Tag im Job mache, wie genau ich vorgehe, was die kreativen Prozesse sind, wie Inspiration stattfindet – ganz geil. Denn jeder kreative Prozess ist ja auch mit der eigenen Biografie verknüpft.
Ein Blick in die Zukunft: Wie denkst Du, werden wir in zehn Jahren wohnen?
Zuerst müssen wir uns davon frei machen, immer am gleichen Ort bleiben zu können, weil wir diese Parameter nicht mehr in der Hand haben werden. Sie werden zukünftig durch Naturkatastrophen, Flüchtlingsströme oder die Atombombe beeinflusst. Uns könnten die gleichen Fragen beschäftigen wie damals unsere Großeltern, nämlich: Wie und wo baue ich mir ein neues Leben auf. Auch das, was man besitzt, wird fluider werden. Das versuchen wir ja auch schon zu starten. Ich habe mich wirklich in die Idee verliebt, etwas aus dem zu machen, was schon da ist und was man findet. Das trägt auch zu einer besseren Welt bei. Es wird also viel weniger um Materielles und um Besitz gehen. Da werden wir neu denken müssen und coole Antworten finden.
Aktuell findet die Möbelmesse in Mailand statt. Was hast Du für die Woche geplant?
Alle machen sich da vorher große Listen, aber für mich liegt die Wahrheit in Instagram: Da schaue ich, was auf den relevanten Seiten ab Sonntag gepostet wird. Und dann lasse ich mich treiben. Das ist die Magie, dass es belohnt wird, wenn man in physischer Präsenz dort anwesend ist. Eine Sternstunde des nicht digitalen, sondern des realen Lebens.
FOTOGRAFIE © Fabian Freytag
© Fabian Freytag