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„Wenn man sich vertraut, kann man Kritik annehmen“

Muller Van Severen im Gespräch

Ihre Leuchten, Stühle, Regale und Objekte sind gefühlt überall: Kaum ein Studio hat die Ästhetik der vergangenen Jahre so geprägt wie Muller Van Severen aus Belgien. Wir trafen das Designduo, das auch privat ein Paar ist, in seiner aktuellen Ausstellung bei Andreas Murkudis in Berlin und sprachen über den Unterschied zwischen Kunst und Design. Außerdem erfuhren wir von Fien Muller und Hannes Van Severen, warum sie beim Entwerfen zuerst an sich selbst denken.

von Jasmin Jouhar, 20.11.2023

Typisch für diese beiden Gestalter*innen sind kräftige Farben, schlanke Silhouetten und rohe Materialien. Fien Muller und Hannes Van Severen haben ursprünglich Kunst studiert und sind durch Zufall zum Design gekommen. Heute arbeiten sie mit Unternehmen wie Valerie Objects, Hay, Bitossi oder cc-tapis zusammen und produzieren zudem eine eigene Möbelkollektion.

Eure erste Ausstellung bei Andreas Murkudis liegt bereits neun Jahre zurück. Seitdem habt Ihr mehrmals Eure Möbel hier gezeigt. Was macht die Zusammenarbeit aus?
Fien Muller: Es ist eine besondere Bindung, wenn man schon so lange zusammenarbeitet. Man versteht sich, er gibt uns Carte blanche. Andreas ist ein Reisender. Er sieht viel, er wagt es, seinem Instinkt zu folgen, er trifft eine kraftvolle Auswahl von Dingen.

Farbe spielt eine wichtige Rolle in Eurer Arbeit. Wie geht Ihr damit um?
Fien Muller: Farbe ist für uns Material: nicht etwas, das man nachträglich hinzufügt – es ist von Anfang an da.
Hannes Van Severen: Farbe gibt Charakter. Zwei gleiche Objekte in unterschiedlichen Farben sind wie zwei verschiedene Objekte.

Ihr habt beide Kunst studiert, nicht Gestaltung. Wie wirkt sich das auf Eure Arbeit aus?
Fien: Wir entwerfen funktionale Objekte als Künstler.
Hannes: Für uns ist es befreiend, die Begrenzung eines funktionalen Objekts zu haben, die Einschränkungen, innerhalb derer man arbeiten muss.

Warum ist das befreiend?
Hannes: In der Kunst hatten wir das Gefühl, alles machen zu können. Als gäbe es keine Grenzen. Ich fühlte mich manchmal ein wenig verloren. Wenn aber eine Funktion vorgegeben ist, hat man direkt eine Linie.
Fien: Was uns auch wichtig ist: Ein Objekt, das gerade nicht benutzt wird, kann man auch als Skulptur betrachten. An solche Dinge denken wir schon beim Entwerfen.
Hannes: Aber wir würden nicht sagen, dass unsere Objekte Kunst sind. Mir fehlt es auch gar nicht, als Künstler zu arbeiten. Ich bin sehr zufrieden damit, was ich jetzt mache.

Hannes, Du kommst aus einer Familie von kreativen Köpfen. Dein Vater Maarten Van Severen war Architekt und Designer, einige seiner Möbel werden bis heute von Vitra hergestellt. Dein Bruder Kersten Van Severen ist ein erfolgreicher Architekt. Wie hat Dich das beeinflusst?
Hannes: Als Kind findet man das normal. Es fällt einem nicht auf, dass man umgeben ist von Menschen, die andere Dinge tun als andere.

Fien, Du kommst ebenfalls aus einer künstlerischen Familie.
Fien: Mein Vater war Künstler, aber er hat auch mit Antiquitäten gehandelt, wie meine ganze Familie. Meine Großmutter hat in den Sechzigerjahren als Erste Delfter Keramik aus den Niederlanden nach Belgien gebracht. Ich war als Kind umgeben von Kunst und Design.
Hannes: Aber anders als bei uns, sehr farbig und barock.
Fien: Eher nicht minimalistisch.
Hannes: Ich finde, diese beiden Welten kommen in unserer Arbeit sehr schön zusammen.

Fiel Euch das gleich auf?
Fien: Nein. Als eine Freundin zum ersten Mal die Marble Box sah, sagte sie, das sei wie zwei Welten, die zusammenkommen. Im Haus, in dem ich aufgewachsen bin, hat jeder Raum eine andere Farbe, ein bisschen verrückt und wild. Und überall schöne Objekte und Gemälde.
Hannes: Wir haben eine sehr visuelle Sprache und darin verstehen wir uns. Wenn es um Farbe, Form und Material geht, erlebe ich das so mit keiner anderen Person. Deswegen können wir sehr gut zusammenarbeiten.
Fien: Wir vertrauen uns. Wir können sehr kritisch miteinander sein. Aber wenn man sich vertraut, kann man das annehmen.

In Interviews sagt Ihr häufig, dass Ihr Eure Entscheidungen oft nach Bauchgefühl trefft.
Fien: Man darf sich das nicht so vorstellen, dass es eine Idee gibt und die ist es dann. Es läuft eher so, dass einer von uns beiden eine Zeichnung macht, eine kleine Idee skizziert. Der andere ergänzt etwas, worauf der andere wieder antwortet. Wie ein Gespräch.
Hannes: Wir treffen immer eine Auswahl. Zuerst entwickeln wir eine ganze Serie von Objekten. Und wenn wir anfangen, uns zu wiederholen, hören wir auf und wählen die stärksten Entwürfe aus.

Teilweise produziert Ihr Eure Entwürfe selbst, teilweise werden sie von Designmarken wie Valerie Objects oder Hay auf den Markt gebracht. Ihr habt auch schon limitierte Editionen mit der Pariser Galerie Kreo aufgelegt.
Fien: All diese Herangehensweisen sind interessant und lassen einen auf verschiedene Weise denken.
Hannes: Unsere eigene Produktion gibt uns eine gewisse Kontrolle. Anders als Hay zielen wir damit nicht auf den Massenmarkt, aber es sind auch keine kleinen, limitierten Auflagen wie bei Kreo. Die Leuchten (zeigt auf eine Hanging Lamp) haben wir am Anfang sogar selbst gebaut. Aber das wurde mir zu viel. Wir sind sehr froh, dass Valerie Objects die Herstellung übernommen hat.

Damit sind sie zum Bestseller geworden…
Fien: Aber wir denken nie: Wir sollten einen Bestseller machen. Man könnte meinen, wir fragten uns, was die Leute von uns erwarten. Nein, wir wollen etwas entwerfen, was wir selbst gerne hätten. Und von dem wir dann hoffen, dass es anderen auch gefällt.
Hannes: Wenn wir etwas Neues entwerfen, können wir es kaum erwarten, es mit nach Hause zu nehmen.
Fien: Wenn man mit einem Objekt lebt und es benutzt, versteht man es besser.

Über die Jahre habt Ihr einen besonderen, wiedererkennbaren Stil geprägt. Macht Euch das stolz oder beunruhigt Euch das eher?
Fien: Mich macht das stolz.
Hannes: Wir können uns ja nicht verleugnen. Ich finde es logisch, dass man in seinem Stil, in seiner DNA arbeitet.
Fien: Am Anfang hatten wir schon Sorge, uns zu wiederholen. Aber es ist gut, zu zweifeln und mit sich zu ringen. Mit der Zeit lernt man, sich selbst mehr zu vertrauen.
Hannes: Es ist eine Balance: Man wiederholt sich und man erneuert sich zugleich, es gibt eine Evolution. Aber es wäre seltsam, etwas zu entwerfen, das nicht Muller Van Severen ist.

Gibt es etwas, eine Funktion, eine Produkttypologie, die Ihr gerne mal entwerfen würdet?
Fien: Ich würde gerne Geschirr entwerfen. Manchmal bekommen wir auch Anfragen von Herstellern mit interessanten, neuen Aufgaben. Gerade arbeiten wir an unserer ersten Tapetenkollektion. Außerdem bin ich besessen von Stühlen. Ich würde gerne mal einen schönen Bürostuhl gestalten. Aber das ist sehr schwierig. Der Stuhl, den Dein Vater für Vitra entworfen hatte, ist sehr gut.
Hannes: Ja, wie Form, Material und Komfort darin zusammenkommen, das ist schon nah dran am Optimum.


Die Ausstellung mit Möbeln von Muller Van Severen und Kunstwerken von Willem Cole ist noch bis zum 13. Januar 2024 zu sehen bei Andreas Murkudis, Potsdamer Str. 77, 10785 Berlin.

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