Die Storyteller von Södermalm
Studiobesuch bei Färg & Blanche in Stockholm
Färg & Blanche ist ein schwedisch-französisches Designstudio, das neben klassischen Produktentwürfen auch eigene Ausstellungen konzipiert und im Bereich „Collectible Design“ arbeitet. Wir haben Emma Marga Blanche in ihrem Studio auf Södermalm getroffen – einen Tag bevor sie mit ihrem Partner Fredrik Färg die Installation The Yellow Thread auf der Stockholm Furniture Fair vorstellte. Was wir in der Studio-Tiefgarage vorfanden: Knäckebrot als Inspirationsquelle, kreatives Chaos und eine Designerin, die ziemlich gute Laune hatte.
Södermalm ist ein beliebtes Viertel für die Stockholmer Kreativszene. So sind in dem ehemaligen Arbeiterbezirk Designstudios wie Claesson Koivisto Rune und Note ansässig und an jeder Ecke gibt es ausgefallene Cafés, Modeläden und Designstores. Färg & Blanche arbeitet an einem ungewöhnlichen Ort: Hinter einer unscheinbaren Holztür in der Kvarngatan 4 verbirgt sich eine ehemalige Tiefgarage mit einer Fläche von 450 Quadratmetern. Hier treffen wir Emma Marga Blanche, die etwas in Eile ist. Am nächsten Tag beginnt die Stockholm Furniture Fair, für die das Designduo eine Café-Bar und den angrenzenden Bühnenbereich entworfen hat – Fredrik Färg kümmert sich gerade um den Aufbau.
Arbeiten in der Tiefgarage
Nachdem die Designer*innen vor einigen Jahren den Mietvertrag für das Studio übernommen hatten, renovierten sie die Fläche und unterteilten sie neu. Sie strichen Boden und Wände, bauten eine Küche und ein Badezimmer ein. Der Space wirkt noch ziemlich rau und ursprünglich, was vor allem daran liegt, dass hier nicht nur am Schreibtisch gearbeitet wird, sondern auch Prototypen entstehen und in einer Werkstatt getüftelt und gezimmert wird. Überall türmen sich Möbel, Prototypen, Materialien und Werkzeuge. Als wir uns im hinteren Teil des Studios umsehen, stehen auf dem großen Tisch neben der Werkstatt Modelle einer großen Leuchteninstallation, die Färg & Blanche für einen öffentlichen Platz einer Wohnsiedlung in den Außenbezirken von Stockholm entworfen hat – samt Outdoor-Mobiliar mit Tischen und Bänken. Einige Räume hat Färg & Blanche auch an andere Kreative vermietet, darunter Emmas Mutter, die Malerin ist und deren Gemälde an den Wänden des Studios hängen.
Zwischen den Design-Polen
Eine Rampe führt hinunter zum Workspace und dient als Ausstellungsraum für die Entwürfe der beiden Designer*innen, die auch privat ein Paar sind. Gerade ist dort ein stacheliger Hocker aufgestellt, dessen Sitzfläche aus lauter Nägeln besteht. Die Arbeiten von Färg & Blanche sind in verschiedenen Disziplinen angesiedelt. Während Nailed Succession ein Entwurf ist, der dem „Collectible Design“ zuzuordnen ist, kann man am unteren Ende der Rampe eine aktuelle Arbeit aus dem Bereich Industriedesign sehen: Zwischen aufgeschütteten Sandhügeln und allerlei Gewächsen stehen dort die Tisch- und Bodenleuchten aus der Serie Bird. Entworfen für den schwedischen Hersteller Belid, kommen sie als abstrahierte Vögel daher und verbreiten umgehend gute Laune.
Anti-Hygge
Zum ersten Mal getroffen haben sich Fredrik Färg und Emma Marga Blanche auf einer früheren Ausgabe der Stockholm Furniture Fair, wo sie ihre Entwürfe in der Newcomer-Sektion Greenhouse präsentierten. Auf einer Autofahrt zum Berliner Designfestival DMY lernten sie sich dann näher kennen und gründeten 2010 in Stockholm das gemeinsame Designstudio Färg & Blanche. Sie arbeiten vorrangig für skandinavische Brands, darunter Design House Stockholm, Gärsnäs, Rörstrand und Northern. Ihr erfolgreichstes Produkt bisher ist die Stuhlserie Frankie für Johanson, die sowohl in Privatwohnungen als auch im Objektbereich zu sehen ist. Auffälligstes gestalterisches Element ist die metallene Rückenlehne des Stuhls, die an die Hosenträger eines Tänzers erinnern soll, erzählt Emma, als sie uns durchs Studio führt. Dass Färg & Blanche assoziativ arbeitet und einen spielerischen Designansatz verfolgt, zeigt auch der Pouf Lulu für Design House Stockholm aus dem letzten Jahr. Mit seiner leicht hochgezogenen Sitzfläche erinnert er an ein knuffiges Tier. Ebenso wie die Stuhlkollektion Frankie ist auch der Pouf Lulu in kräftigen Farben erhältlich und räumt auf mit der Idee, dass nordisches Design ausschließlich in Beige- und Brauntönen gehalten und aus Holz gefertigt sein muss.
Es war einmal ein Knäckebrot
Emma Marga Blanche ist im französischen Rennes aufgewachsen und hat dort Design studiert. Nach Stockholm kam sie erst als junge Frau – ihr Vater stammt aus einer Familie von Knäckebrotfabrikanten. Ein Teil der ehemaligen Fabrik auf Södermalm, die sich unweit des Studios befindet, ist noch immer in Familienbesitz, wobei einige Räume an Designshops oder als Eventspaces vermietet werden. Auch die beiden Designer*innen leben mit ihrem Kind auf dem Gelände – in einer ehemaligen Arbeiterwohnung, umgeben von vielen Cousins und Cousinen, erzählt Emma lachend. Mit dieser illustren Familiengeschichte befasste sich auch die von Färg & Blanche konzipierte Ausstellung The Baker’s House, die während der Stockholm Design Week 2019 im Haus von Emmas Urgoßvater auf demselben Gelände stattfand. Dafür hatten die Gestalter*innen verschiedene Objekte entworfen, darunter die Knäckebröd-Leuchte in Form von runden Knäckebrotscheiben aus farbigem Glas. Aus einer Kooperation mit Målerås Glasbruk hervorgegangen, ist daraus später ein Serienprodukt entstanden: ein Servierteller aus transparentem Kristallglas.
Ein gelber Faden
Was eher ungewöhnlich für selbstständige Designer ist: Färg & Blanche schafft sich immer wieder eigene Präsentationsplattformen für die konzeptionellen Arbeiten. Die Umsetzung sei nicht immer einfach, erzählt Emma. Solche Ausstellungen sind aufwendig und können schon mal 200.000 Euro kosten – Geld, das die Designer*innen selbst beschaffen. Manchmal werden sie aber auch mit öffentlichen Aufträgen bedacht, die zwar nicht unbedingt gut dotiert sind, aber Aufmerksamkeit schaffen und zu gestalterischen Experimenten jenseits unternehmerischer Zwänge animieren. So wie das Projekt The Yellow Thread, das Färg & Blanche im letzten Jahr zur Ratspräsidentschaft Schwedens für verschiedene Gebäude der Europäischen Union in Brüssel konzipierte. Da die bogenförmigen Raumtrenner und Sitzgelegenheiten von Anfang an flexibel konzipiert waren, stellte es für die Designer*innen kein Problem war, Teile davon wiederzuverwenden, als die Messe Stockholm und die Swedish Federation of Wood and Furniture Instustry (TMF) sie baten, zur Stockholm Furniture Fair eine Café-Bar mit angrenzendem Bühnenbereich zu gestalten.
Dass die ungewöhnliche Designstrategie von Färg & Blanche aufzugehen scheint, konnte man auf der Stockholm Furniture Fair ein paar Messestände weiter beobachten: Beim schwedischen Möbelhersteller Johanson war die neue Kollektion The Thread mit Sofas und Sesseln des Designduos ausgestellt – samt den auffälligen farbigen Nähten des ursprünglichen Entwurfs für die Brüsseler EU-Gebäude. Trotz ihres Erfolgs arbeiten Fredrik Färg und Emma Marga Blanche noch immer zu zweit in ihrem Studio. Doch ab und zu beschäftigen sie Freelancer*innen, wenn beispielsweise größere Projekte anstehen. „Es ist nicht einfach, hier in Schweden begabte Designer zu finden“, sagt Emma. „Die meisten wollen eher künstlerisch und nicht für Firmen arbeiten.“ Färg & Blanche jedenfalls haben für sich einen Mittelweg gefunden.