Von Indien nach Ebeltoft: Das neue Buch „Materialising Colour. Journeys with Giulio Ridolfo“ stellt die Zusammenarbeit des italienischen Koloristen mit dem Textilhersteller Kvadrat vor und erklärt, wie Ridolfos intuitiver, experimenteller Zugang zur Welt der Farben funktioniert.
Ein Buch über Farbe im Design, das ganz ohne Farbkarten, Farbkataloge oder ähnliche systematische Darstellungsformen auskommt? Materialising Colour. Journeys with Giulio Ridolfo feiert den subjektiven Blick auf das Thema, durch die Augen des italienischen „Koloristen“ und studierten Modedesigners Giulio Ridolfo. „In einer durchgestalteten Umwelt, dominiert von den standardisierten Farbtönen der industriellen Produktion, gibt es alternative Konzepte für Farbgebung“, sagt Ridolfo. „Farbe kann sensibler abgestimmt werden auf die Komplexität von Kultur und Ort im globalen Kontext – darauf, wo und wie wir leben.“
Und so finden sich statt Diagrammen oder Tabellen jede Menge Fotos in dem Buch: Fotos von Pflanzenteilen, Steinen, kleinen Fundstücken, Postkarten oder Garnknäulen, aber auch von Landschaften, Gärten, Straßen, Häusern, Innenräumen. Materialising Colour dokumentiert Ridolfos Reisen auf den Spuren der Farben, in seiner Funktion als Farbberater für den dänischen Textilhersteller Kvadrat. Ridolfo ist überzeugt, dass Farbe fest verwurzelt ist in Körperlichkeit, in Texturen und im Spiel des Lichts – im Gegensatz zur Immaterialität der digitalen Systeme. Deshalb erforscht er reisend die Farben der Natur und die verschiedener Kulturen.
So geht die erste Reise im Buch in Ridolfos Heimat, die oberitalienische Provinz Friaul, zu den braunen Tönen der Erde, den grauen des Steins und den Gelbs und Rots der herbstlichen Pflanzenwelt. Das Kontrastprogramm dazu ist eine Reise nach Indien, zu einem für ihn mystischen Blau, dem Indigo. Er besucht traditionelle Färbereien und lässt sich von den lokalen Experten, Webern und anderen Handwerkern in die Geheimnisse der Indigo-Herstellung einweihen. Die Fotos von Howard Sooley schwelgen in den dunklen Schattierungen des Blaus, schauen den Färbern auf ihre bunten Hände und fangen die Entbehrungen genauso ein wie die Schönheiten dieses Handwerks.
Wie diese beobachtende, experimentelle und schöpferische Herangehensweise an Farben mit der industriellen Textilproduktion von Kvadrat zusammenkommt, zeigen zwei weitere Kapitel. Eines führt uns in eine Fabrik in Großbritannien, wo Kvadrat nicht nur einen Teil seiner Wollgarne herstellen lässt. Hier werden die Eindrücke, die Ridolfo aus Indien mitgebracht hat, in Pigmente und Garne übersetzt. Erste Stoffproben werden gewebt, um die Wirkung der Farben zu überprüfen. Wie er in diesem Prozess der Standardisierung und Skalierung die Lebendigkeit und Veränderlichkeit der gefundenen Farben erhält? „In meiner Arbeit für Kvadrat versuche ich komplexe Mischungen zu entwickeln, denen etwas fehlt, die etwas Unregelmäßiges oder Unvollkommenes haben, so dass eine andere Art von Harmonie entsteht.“
Schließlich die Reise nach Dänemark, zum Hauptsitz von Kvadrat in Jütland, die der nordischen Farbwelt und einer neuen Palette, die dem Stoff Steelcut Trio gewidmet ist. Hier passiert die finale Auswahl der Farben, versinnbildlicht durch Stapel von Stoffproben. Giulio Ridolfo verrät auch, worauf er achtet, wenn er die Garne – jeweils drei für einen Ton – zusammenstellt: „In meiner Arbeit an Steelcut Trio habe ich gelernt, dass man die dominante Farbe – die leuchtstärkste – für den Hintergrund oder den Schussfaden nimmt.“ Die beiden anderen Farben sind in der Kette. Er versuche, Farben miteinander zu verschmelzen, erklärt er weiter.
Die vielleicht wichtigste Botschaft dieses ungewöhnlichen Farbenbuchs: „Es gibt kein eindeutiges Richtig oder Falsch, wenn es um Farben geht“, sagt Ridolfo. „Farbe hat ein endloses Spektrum, und es gibt Spielraum für Interpretation; die nächste Ausnahme von der Regel ist vielleicht gerade die perfekte Lösung.“ Deswegen ignoriere er Regeln manchmal einfach, und verlasse sich auf seine Haltung und seinen Geschmack. Keine gute Nachricht für alle, die bei der Auswahl von Farben auf Nummer sicher gehen wollen – aber vielleicht zugleich eine Inspiration, auch mal selbst den subjektiven, instinktiven Blick zu erproben.
FOTOGRAFIE Howard Sooley
Howard Sooley
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