Milan Design Week 2023
Ein Streifzug durch die Fuorisalone-Landschaft

So wie immer, aber anders? Der Salone del Mobile ist wieder in den italienischen Frühling und die zahlreichen Gäste sind an die Ausstellungsorte von Mailand zurückgekehrt. Auch wir waren eine Woche im Getümmel der Milan Design Week unterwegs: an ruinenhaften Ausstellungsorten, in entzückenden Apartments, die zu Showrooms, und in Showrooms, die zu Wohnungen wurden. Zur Entspannung zwischendurch gab es eine charmante Pooloase mit skandinavischem Twist. Und plötzlich spielte auch Tennis eine Rolle.
SolidNature: Willkommen im Steinbruch
Wie schon im vergangenen Juni zählte die Präsentation von SolidNature auch in diesem April zu den Highlights der Milan Design Week. Der niederländische Natursteinhersteller hatte den Spazio Cernaia in Brera in eine farbenprächige Inszenierung mit dem Titel Beyond The Surface verwandelt. Während im Garten Natursteinobjekte von Sabine Marcelis, der iranischen Künstlerin Bita Fayyazi, dem italienisch-niederländischen Duo Studio Ossidiana und dem niederländischen Juwelier Ward Strootman zu sehen waren, beherbergte das Untergeschoss eine von den OMA-Partner*innen Ellen Van Loon und Giulio Margheri konzipierte Ausstellung. Eine Treppe aus verschiedenfarbigen Onyx-Steinen führte in die unterirdischen Räume hinab, in denen der Herstellungs- und Bearbeitungsprozess der Steine in einem immersiven Rundgang veranschaulicht wurde: Er führte durch einen abstrakten Steinbruch und zeigte in diversen Filmen unter anderem die Arbeit in Steinbrüchen.
Cristina Celestino: Hommage an den Tennissport
Die Interiordesignerin Cristina Celestino entdeckt und erforscht gerne versteckte Orte. In diesem Jahr nahm sie sich eine Institution in Mailand vor. Der Tennis Club Milano Bonacossa wurde zwischen 1923 und 1930 vom italienischen Architekten Giovanni Muzio gestaltet. In ihrer Interpretation verbindet Celestino innen und außen: Der rostrote Teppich, der durch Aussparungen den Blick auf den Natursteinboden freigibt, erinnert an die gummiartige Beschichtung von Tennisfeldern. Ein Konzept von Muzio, der stets mit Linien und Halbkreisen experimentierte, greift sie in der Anordnung der Objekte im Bezug zur vorhandenen Architektur auf. Die Formensprache wird auch in einigen Möbelstücken – wie etwa einer Sitzinsel mitten im Raum – deutlich. Die Vorliebe des Architekten für Asymmetrie übersetzte Celestino in ein überraschendes Arrangement der Objekte.
Norwegian Presence: Nachhaltiges Design aus Norwegen
Gelohnt hat sich auch ein Besuch in der Ausstellung Norwegian Presence im Design District Brera. Seit neun Jahren stellt DOGA, eine vom norwegischen Staat finanzierte Organisation zur Förderung der nationalen Architektur- und Designkultur, im Rahmen des Fuorisalone aufstrebende Kreativstudios und Designer*innen vor. Auffällige Gemeinsamkeiten der gezeigten Möbelstücke und Accessoires sind, neben einer sachlich-klaren Formsprache, auch der Fokus auf das Material und die Kreislaufwirtschaft. Sei es Wolle, Holz, Aluminium oder Ton – die teilnehmenden Designer*innen arbeiteten bei ihren Projekten mit norwegischen Herstellern zusammen, um lokal verfügbare Materialien verwenden zu können und um die Produktionsketten so kurz wie möglich zu halten.
Alcova: Inkubator neuer Ideen
Einen festen Platz im Mailandkalender hat der Besuch bei Alcova. Die Ausstellungsplattform wurde 2018 von Joseph Grima (Space Caviar) und Valentina Ciuffi (Studio Vedèt) gegründet, um auch den Ideen und Visionen unabhängiger Designlabels während der Milan Design Week eine Bühne bieten zu können. Nach einer ehemaligen Bäckereifabrik, einer Kaschmirfabrik und dem Gelände eines Militärkrankenhauses hat das Alcova-Team 2023 einen neuen, spannenden Ort gefunden: den ehemaligen Schlachthof Porta Vittoria in der Via Molise. In diesem Jahr stellten über 90 internationale Designlabels ihre Produkte und Objekte entweder im Außenraum oder einem der nutzbar gemachten Gebäude und Hallen des weitläufigen Areals aus. Neu war der Alcova Project Space. Für die Sonderausstellung hatten die beiden Kurator*innen Projekte ausgesucht, die die Phantasie anregen oder tief berühren sollten.
mudac: Vorratskammer im Hauptbahnhof
Prepper galten lange Zeit als Sonderlinge, die vom Weltuntergang träumen und Konserven, Werkzeuge sowie Ausrüstungsgegenstände im Keller oder gar in speziell dafür gebauten Vorratskammern horten. Tatsächlich scheint diese Subkultur viel verbreiteter und vielschichtiger zu sein, als man denkt. Und sie spiegelt auch größere gesellschaftliche Themen wider: Klimawandel, wirtschaftliche Krisen, die Coronapandemie und der Ukraine-Krieg sollen in den letzten Jahren zu einer zunehmenden Verbreitung der Prepper-Bewegung auch in Europa geführt haben. Diesem Phänomen hat sich die Kuratorin Anniina Koivu angenommen. Während der Milan Design Week präsentierte sie einen ersten Einblick in die Ausstellung Prepper’s Pantry: Objects that Save Lives, die im nächsten Jahr im mudac – Museum of Contemporary Design and Applied Arts in Lausanne gezeigt werden soll. Im Tunnel 46 von Dropcity, in den Bögen des Mailänder Hauptbahnhofs, stand eine dieser Vorratskammern, die eine kuriose Ansammlung an Überlebensgegenständen beherbergte.
Gubi: Outdoor-Möbel im Freibad
Die Bagni Misteriosi in Porta Romana dienen nicht nur als Bühne für ihre Badegäste. Sie sind Schauplatz für Theaterinszenierungen, Modenschauen und – wie im Fall von Gubi während der vergangenen Designwoche – großen Möbelinstallationen. Der dänische Hersteller hatte mit dem legendären Freibad im Herzen der Stadt den perfekten Ort gewählt, um seine Outdoor-Kollektionen zu präsentieren und dabei die ermüdeten Messebesucher*innen zum Verweilen und ein wenig zum Träumen einzuladen. Auch die Innenräume des in den Dreißigern gebauten und vor wenigen Jahren wieder neu eröffneten Schwimmbades wurden als Kulisse für die Möbelneuheiten des Unternehmens genutzt. Während ein Raum mit seiner Safari-Inszenierung an Bühnenbilder aus Agatha-Christie-Filmen denken ließ, erinnerte ein anderer in seiner Farbigkeit an die legeren, freizeitorientierten Siebzigerjahre
Bocci: Ein Apartment für Leuchten
Pünktlich zur Milan Design Week haben die extravaganten Leuchten des kanadischen Unternehmens Bocci auch in Mailand ein neues Zuhause gefunden – und zwar wortwörtlich. Der neue Showroom in der Nähe des Bahnhofs Cadorna ist ein renoviertes Apartment, das als Präsentationsfläche, aber auch zum Wohnen genutzt werden kann. Jeder Raum offenbart neue Möglichkeiten und Konfigurationen der Produkte von Bocci. So bilden die Hängeleuchten 21 im Badezimmer einen dichten, illuminierten Wald und harmonieren mit den Pflanzen und opulenten Tapeten. Das Schlafzimmer wirkt wie eine gemütliche Höhle aus dunklem Holz, das durch sanftes Licht der Serie 118 zur Geltung kommt. Im Untergeschoss befindet sich eine Lounge mit ausladenden Sitzmöbeln aus schwarzem Leder. Leuchten der Serie 73, die schwebend wie Quallen im Meer wirken, runden den Rückzugsort ab. Die Wohnung weist eine Besonderheit auf, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist: Die Decke ist elektrifziert, sodass die Leuchten vollkommen frei platziert werden können. Das Konzept steckt noch in der Entwicklungsphase und soll von Bocci in den kommenden Jahren noch verfeinert werden.
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