Neues Deutsches Design: Wilde Unschuld
Die Ausstellung Schrill Bizarr Brachial feiert das Neue Deutsche Design der Achtziger.
Das Museum ist so ziemlich der letzte Ort, für den diese Objekte einmal geschaffen worden sind. Aber dreißig Jahre sind eine lange Zeit, lang genug offensichtlich, um die Leuchten, Stühle, Hocker, Tische, Regale reifen zu lassen für das Podest. Dann stehen sie im Berliner Bröhan-Museum, die Relikte des Neuen Deutschen Design aus den achtziger Jahren: vorbei an den Jugendstil-Schränken, hoch in die erste Etage und eintauchen in eine wildere Welt, die Welt der Ausstellung Schrill Bizarr Brachial.
Deutsches Design ist nicht so wagemutig wie italienisches, nicht so heiter wie skandinavisches Design. Deutsches Design, das ist Werkbund, Bauhaus, Ulm, das sind Möbel mit Weltverbesserungsauftrag und theoretischem Gestell. Die Form ist gut und gehorcht dem Primat der industriellen Fertigung. Selbst ein Star wie Konstantin Grcic gilt als ernsthaft, korrekt, gewissenhaft – und wird gerade deswegen geschätzt. So weit, so wahr das Klischee. Übersehen wird in diesem Bild meistens ein kurzer, kleiner Ausschnitt von ungefähr 1982 bis 1989, als junge Gestalter wie Volker Albus, Axel Kufus, Heinz Landes oder Andreas Brandolini in Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf alles anders machten.
Shocking!
Funktionalismus war ihr Schimpfwort. Die jungen Wilden lehnten die Fixierung auf die Industrie ab und nahmen die Dinge buchstäblich in die Hand, indem sie nicht nur entwarfen, sondern auch selbst herstellten. „Sie hatten viel Mut“, sagte Tobias Hoffmann, Direktor des Bröhan-Museums, beim Rundgang durch die Schau. Hoffmann hat die Ausstellung gemeinsam mit Markus Zehentbauer kuratiert. Schrill Bizarr Brachial, so tönt provokant der Titel der Retrospektive – dabei wirken das Kissen aus Stacheldraht, der Sessel aus Autowaschbürsten oder der Freischwinger aus Armierungseisen und Beton vor allem rührend unschuldig in ihrem rohen, rebellischen Gestus. Damals war die Welt noch übersichtlich, damals konnte man mit sowas noch schockieren.
Manifeste für den Moment
Die Vorbereitungen zur Ausstellung erinnerten Tobias Hoffmann gelegentlich an Archäologie. Viele Objekte galten als verschollen, die Designer selbst wussten oft gar nicht, ob ein Stück noch existierte, denn die meisten Entwürfe hatten sie nur einmal oder allenfalls in Kleinserie realisiert. Ihre Möbel aus Fundstücken oder Halbzeugen waren Manifeste für den Moment, vielleicht für eine Ausstellung gedacht, aber nicht für jahrelange Benutzung. Interviews mit den Beteiligten brachten die beiden Kuratoren auf die Spur einiger Exponate. Andere tauchten durch Zufall wieder auf, wie der Prototyp des berühmten Einkaufswagenstuhls Consumer’s Rest von Stiletto und die Stehstütze Notorious von Inge Sommer, die Hoffmann in den Räumen des Berliner Merve-Verlags entdeckte. Eigentlich wollte er dort nur im Archiv recherchieren und Gespräche führen, denn Merve hatte 1984 eine Ausstellung des Neuen Deutschen Design gezeigt, Titel: Kaufhaus des Ostens. Einige Möbel waren danach einfach dageblieben, bis heute.
Wo die Subkulturen blühen
Berlin war neben Hamburg und dem Rheinland das Zentrum des Neuen Deutschen Design, die Frontstadt, in der eine bunte Mischung der Subkulturen blühte. Mit Fotos von Performances, Ausstellungen und Partys gibt Schrill Bizarr Brachial eine Ahnung von der Atmosphäre der Achtziger in Berlin: Bars mit Sperrmüllmöbeln und beschmierten Wänden, geschminkte Männer, Ladies in Latex, Blitz-Ohrringe, wilde Blicke und die schwitzenden Neubauten auf der Bühne. Zu sehen ist auch das Schlagzeug aus Abfall und Baumaterialien, das sich Einstürzende-Neubauten-Schlagzeuger N. U. Unruh zusammengeklaut hatte, nachdem er sein eigenes aus Geldnot verkaufen musste. Heute befindet es sich als zerbeultes Zeitdokument in einer Museumssammlung. Und veranschaulicht für Kurator Tobias Hoffmann den so typischen Spirit des Spontanen und Selbstgemachten.
100-Mark-Möbel
Ein Spirit, der auch die für die Bewegung wichtige Schau Kaufhaus des Ostens prägte: Studenten der Berliner Hochschule der Künste (HdK, heute UdK), sollten binnen weniger Tage Objekte gestalten und herstellen, die nicht mehr als 100 Mark kosten durften und aus vorgefertigten Elementen, also Halbzeugen, bestehen sollten. HdK-Assistent Andreas Brandolini hatte sich zu dieser Aufgabe von einem frühen Objekt von Jasper Morrison inspirieren lassen, dem Handlebar Table, einem Tisch aus Fahrradlenkern. Morrison hatte in den Achtzigern zwei Mal in Berlin gelebt, seine Sperrholz-Rauminstallation Some new items for the house part I von 1988 ist in die Designgeschichte eingegangen. Das Bröhan-Museum zeigt den Handlebar-Tisch zusammen mit einer Stehleuchte von Morrison und einigen der HdK-Studentenarbeiten.
30 Jahre zu früh
Da stehen sie nun also tatsächlich auf Podesten, die Produkte eines ganz und gar unmusealen Geistes, der Hocker Max Schrill von der Gruppe Kunstflug, der den Ulmer Klassiker des Funktionalismus' verballhornt, das Verspannte Regal von Wolfgang Laubersheimer, das es als einziges Möbel zu einer nennenswerten Auflage gebracht hat, oder die prätentiösen Keramikobjekte des Frauenduos Cocktail – so Eighties. Die Zeit ist über die jungen Wilden hinweggegangen – mit der Wende war der Spaß vorbei, andere Szenen, andere Schauplätze waren jetzt an der Reihe. Manche Protagonisten des Neuen Deutschen Design professionalisierten sich, gingen in die Lehre, gründeten eigene Büros und wagten sich doch in die Industrie. Andere verschwanden von der Bildfläche. Aber in einem ist das Neue Deutsche Design aktueller denn je, wie Kurator Markus Zehentbauer in seinem Katalogbeitrag schreibt: „Wie man in Eigenregie entwirft und die Objekte auch produziert und verkauft, haben sie in den Achtzigern mehr oder weniger erfolgreich vorgemacht.“ Gefehlt habe ihnen allerdings ein Vertriebskanal wie das Internet. Sein Fazit: „Maker würde man sie heute nennen.“