Super, Salone?
Neuheiten und Eindrücke aus Mailand
Dabei sein ist alles. Nicht nur bei Olympia, sondern auch beim ersten großen Designevent nach Ausbruch der Corona-Pandemie, dem Supersalone. Auch hier gilt: Einlass nur mit Green Pass, und zwar keineswegs allein im Sinne der 3G-Regel. Auf dem Messegelände sowie in den Showrooms der Stadt ist die Natur allgegenwärtig.
Na, geht doch. Vor dem Messeeingang bilden sich lange Schlangen. Der Staatspräsident schreitet zur offiziellen Eröffnung mit großer Entourage durch die Hallen. Und auch in den Gängen drängen sich die Menschen. Endlich wieder ins Designgetümmel eintauchen, Produkte in der Realität und nicht nur am Bildschirm erfahren. Und natürlich auch Menschen treffen, die man lange nicht mehr gesehen hat. Die Stimmung ist ausgelassen, entspannt. Viele tragen ein Lächeln auf dem Parcours durch die Messe, bei der natürlich alles anders ist als in den Jahren zuvor.
Verändertes Konzept
Viele Firmen wollten erst nicht. Sie befürchteten, dass sich bei weniger Besuchern der Zeit- und Kostenaufwand für die großen Stände nicht lohnen würde. Das Zögern brachte den früheren Messechef Claudio Luti so in Rage, dass er im April seinen Posten aufgab. Schließlich willigten die Hersteller doch ein, verlangten aber ein verkleinertes Konzept. Und so ist aus dem Salone del Mobile der Supersalone geworden – eine auf vier Hallen komprimierte Messe, die sich an Professionelle und Privatbesucher gleichermaßen richtet. Das führt zu zwei entscheidenden Änderungen: Die Produkte sollen gleich erhältlich sein, weswegen bestehende Kollektionen gezeigt werden und nur selten Neuheiten. Diese werden hingegen in den Showrooms in der Stadt vorgestellt.
Offene Inszenierung
Anstelle geschlossener Messestände treten offene Regalwände sowie schmale, vorgelagerte Podeste. Das Standkonzept wurde von Stefano Boeri – dem Art-Direktor des Supersalone – und dem Architekten Andrea Caputo entwickelt. Restriktionen beflügeln bekanntlich die Phantasie. Und so gehen die Firmen überaus divers mit den kompakten Flächenmaßen um. Giorgetti zeigt den geschwungenen Holzsessel Move doppelt: einmal in seiner vollständigen Fassung, einmal in Einzelteile zerlegt, um so dessen handwerkliche Komplexität vor Augen zu führen. Pedrali lädt zu einer Zeitreise durch die Firmengeschichte ein, indem die Möbel chronologisch aufgereiht werden und gerahmte Fotos und Skizzen an den Rückwänden den Kontext der Entstehung liefern.
Zum Abflug bereit
Die überraschendste Inszenierung ist Ron Gilad für Molteni&C gelungen. Auf dreißig Metern Länge ist ein stilisiertes Flugzeuginterieur zu sehen. Hinter hölzernen Fensterpaneelen ziehen Wolken auf Bildschirmen vorbei. Als Bestuhlung dient der wiederaufgelegte Sessel Round D.154.5, der 1954 von Gio Ponti entworfen wurde und im ebenfalls von Ponti konzipierten Alitalia-Büro in New York zum Einsatz kam. Nach Erklingen eines Flughafen-Jingles fordert eine Lautsprecherdurchsage zum Boarding auf und wünscht eine gute Reise. Selten ist ein einzelnes Möbel so schlüssig, charmant und humorvoll in Szene gesetzt worden.
Grün im Keller
In der Stadt präsentieren sich viele Showrooms in neuem Gewand. Die Räume von B&B Italia in der Via Durini sind vollständig entkernt worden. Mit großformatigen Glasfronten öffnet sich der Raum auf ganzer Höhe zur Straße – wie eine Mischung aus Schaufenster und Theaterbühne für die Marken B&B Italia, Flos, Louis Poulsen, Maxalto und Azucena. Andere Hersteller expandieren ins Freie. So zeigt Poltrona Frau die neue Outdoor-Kollektion von Ludovica Serafini, Roberto Lazzeroni und Kensaku Oshiro im Innenhof des Palazzo Gallarati Scotti an der Via Manzoni. Roda bespielt eine Dachterrasse an der Via Turati. Grünpflanzen, wohin das Auge reicht, auch in den Innenräumen. In der Living Divani Gallery am Corso Monforte bevölkern sie sogar das Kellergeschoss, wo in den Bürgersteig eingelassene Oberlichter das Sonnenlicht in die Tiefe geleiten.
Und die Neuheiten?
Auf den Spuren der Natur wandeln auch die Neuheiten: Holz ist sowohl bei Innen- als auch bei Außenmöbeln Trumpf. Kork sorgt für weiche, haptische Oberflächen. Kunststoffe werden aus Pflanzen statt aus Erdöl produziert. Auch thermisch verformtes Schichtholz erweist sich als souveräner Ersatz für Sitzschalen, die sonst aus Plastik gefertigt worden wären. Zement ist bei Tischoberflächen auf dem Vormarsch. Beistelltische können sogar ganz aus dem mineralischen Baustoff bestehen. Bezugsstoffe werden aus recycelten Kunststoffflaschen gefertigt. Auch Mikrofasern aus Zellulose sind auf dem Vormarsch. Marmor und andere Natursteine bleiben stark präsent.
Bei den Formen stehen die Zeichen ganz auf rund. In Zeiten der Pandemie haben wir viel Zeit zu Hause verbracht: Ein Ort zum Wohlfühlen, wo schroffe Kanten weichen, fließenden Konturen weichen. Stilistischer Fixpunkt sind nach wie vor die Siebzigerjahre, in denen die Moderne mit schwereren, wulstigeren Formen ausgeführt wurde. Bei neuen Sofas sind zwei Richtungen zu sehen: kompakte, auf den Boden platzierte Möbel, die über leichte Rundungen verfügen und so die Konversation erleichtern. Andere Sofas schweben über dem Boden. Die Polster alternieren mit großzügigen Beistelltischen, die mitunter deutlich an den Seiten auskragen. Dazu gesellen sich warme, erdige Farbtöne, die den Wohnraum mit Sinnlichkeit und Atmosphäre aufladen.