Stories

The Real Paper Architect: Shigeru Ban

Für WB Form überträgt der Japaner sein Prinzip aus leichten Konstruktionen und Einsatz von Papier und Pappe auf eine Möbelkollektion.

von Stephan Burkoff, 25.07.2016

Seit dreißig Jahren baut und konstruiert Shigeru Ban mit Papier und Pappe – er ist also einer der wenigen wirklichen Paper Architects. Dass der 58-jährige Japaner seine Architektur nun in ein Möbel übersetzt, lag also nahe. Genauso wie, dass es bei der Präsentation seiner Kollektion für den Schweizer Hersteller WB Form nicht nur um die Möbel geht, sondern vielmehr um Bans Hilfsprojekte in Japan, Indien und Ecuador. Zusammenfassung einer Begegnung.

Japan goes Finland
Als Shigeru Ban in Zürich seine Carta Collection für den Schweizer Hersteller WB Form präsentiert, geht es natürlich um viel mehr als Möbel. Seine papiergewordenen Architekturen sollen den Menschen helfen – dafür nimmt er sich auf dem Weg von Paris nach Ecuador Zeit für einen Zwischenstopp in der Schweiz. Und wer sich nun fragt, wie der Pritzker-Preisträger und Weltverbesserer ausgerechnet mit dem eher überschaubaren, 1931 gegründeten, Unternehmen WB Form, der Schwesterfirma vom Zürcher Möbelhaus Wohnbedarf, zusammengekommen ist, muss die Antwort in Finnland suchen: bei Alvar Aalto.

Papierrollen als Modell
Dieser hatte, bevor Artek 1935 aus der Taufe gehoben wurde, ebenso wie seine Kollegen Marcel Breuer, Le Corbusier und Ludwig Mies van der Rohe ein Möbel in Kooperation mit WB Form entwickelt. 2011 spielte sich das Unternehmen mit der Reedition der Max-Bill-Möbel und dem Ulmer Hocker auf die Bildfläche zurück. Auch Shigeru Ban hat einen Bezug zu Alvar Aalto. Mit kleinem Budget, dafür aber mit großer Begeisterung ausgestattet, hat er für eine Ausstellung über den finnischen Architekten 1986 im New Yorker MoMA erstmals einfache Papierrollen zur Konstruktion eingesetzt. Dabei handelte es sich um die Rollen von Stoffbahnen: Reste einer vorigen Ausstellung, an der Ban gearbeitet hatte. Stets dem Wegwerfen abgeneigt, hatten ihn zuvor die Kernrollen aus dem Faxapparat in seinem Studio auf die Idee gebracht, die eng gewickelten Papierbahnen zu seinem Material zu machen.

Hilfsprojekte in Krisenregionen
„Karton hat ungeahntes Potential“, sagt Ban. „Es ist möglich, aus diesem augenscheinlich nachgiebigen Material solide und langlebige Gebäude zu errichten.“ Sein eigenes Ferienhaus am Yamanaka-See, das 1995 errichtete Paper House, dient dafür als Beweis – auch wenn der Architekt seitdem kaum Zeit gefunden hat, dort zu entspannen. Denn im gleichen Jahr gründete er die NGO Voluntary Architects’ Network, eine Organisation, mit der er Hilfsprojekte in Krisenregionen wie Japan, Indien, Haiti, Ruanda, auf den Philippinnen oder wie aktuell in Ecuador umsetzt. An dieser Arbeit habe auch der Pritzker-Preis, mit dem er 2014 geehrt wurde, nichts geändert, erzählt der japanische Architekt. Alle Anfragen, die ihm auf den Preis hin gestellt wurden, hat er ablehnen müssen – sie seien für ihn und seine Arbeit einfach nicht interessant gewesen.

Möbel aus Kartonröhren
Doch zurück nach Zürich in die Talstraße 11, wo Werner Max Moser, Sigfried Giedion und Rudolf Graber nach der Gründung von Wohnbedarf die 1931 von Marcel Breuer gestalteten Räume bezogen. Dort hält Shigeru Ban, wie immer auf Durchreise, im Untergeschoss noch eine kurze Ruhepause, bevor er seine Möbel und Gebäude aus Paper Tubes vorstellt. Gab es in seinem Paper House dazu schon die ersten Prototypen, werden diese nun in Serie hergestellt. Schmale, dünne Kartonröhren fließen in sanft geschwungenen Linien über Gestelle aus Birkensperrholz – ein Sessel, eine Chaiselongue und ein Beistelltisch. Die Papierrollen dienen jeweils in Reihe als Sitz- und Liegefläche oder auch als Unterkonstruktion. Für die Kollektion überarbeitet wurden die Verbindungen, die Stabilität und der Sitzkomfort. In handwerklicher Perfektion sind die Elemente verbunden, sodass ein originärer Typ Möbel entsteht. Auch wenn diese Möbel aufgrund ihres stattlichen Preises wohl eher in die Trophäenecke der Designliebhaber gehören.

Frei Otto mit Vorbildwirkung
Aber es ist ja auch kein wirkliches Recycling-Produkt mehr. In Italien produziert, kommen Kartonröhren für die Shigeru-Ban-Möbel aus Japan, wo sie mit Urethanharz behandelt werden, um sie wasserfest zu machen. Das sei aber auch der einzige Bezug von Bans Architektur zu seinem Heimatland. Er selbst habe ja nie in Japan studiert und auch Papier spiele in der japanischen Architektur niemals eine konstruktive Rolle. Insofern nimmt Shigeru Ban für sich in Anspruch, ein internationaler Architekt zu sein und wundert sich, dass insbesondere europäische Journalisten immer wieder versuchen, einen Zusammenhang zwischen seiner Papier-Architektur und Japan herzustellen. Viel mehr als Japan habe ihn Frei Otto, sein Held aus Studententagen, beeinflusst, sagt Ban.

Seinen ersten Stuhl benutzt der Architekt übrigens selbst seit zwanzig Jahren, verrät Shigeru Ban am Ende seiner Präsentation und fügt leise hinzu, dass es für ihn deutlich schwieriger sei, Möbel zu entwerfen als Häuser zu planen.

Kollektion ansehen...

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

WB Form

www.wbform.com

Shigeru Ban Architects

www.shigerubanarchitects.com

Mehr Stories

Harmonische Kompositionen

Durchgefärbtes Feinsteinzeug als verbindendes Element im Raum

Durchgefärbtes Feinsteinzeug als verbindendes Element im Raum

Der Funke springt über

Wenn Designerinnen schweißend ihren eigenen Weg gehen

Wenn Designerinnen schweißend ihren eigenen Weg gehen

Revival der verlorenen Formen

Besuch der Ausstellung Fragmenta in einem Steinbruch bei Beirut

Besuch der Ausstellung Fragmenta in einem Steinbruch bei Beirut

Neue Atmosphären

Berliner Architekt Christopher Sitzler gewinnt Best of Interior Award 2025  

Berliner Architekt Christopher Sitzler gewinnt Best of Interior Award 2025
 

Innovation als Erfolgsrezept

Bauwerk Parkett feiert 90-jähriges Jubiläum

Bauwerk Parkett feiert 90-jähriges Jubiläum

Räume, die sich gut anfühlen

Mit Wohnpsychologie und Palette CAD schafft Steffi Meincke Räume mit Persönlichkeit

Mit Wohnpsychologie und Palette CAD schafft Steffi Meincke Räume mit Persönlichkeit

Von der Bank zum Baukasten

COR erweitert die Möbelfamilie Mell von Jehs+Laub

COR erweitert die Möbelfamilie Mell von Jehs+Laub

Eine Bühne für junge Talente

Maison & Objet feiert 30 Jahre und setzt auf Nachwuchs

Maison & Objet feiert 30 Jahre und setzt auf Nachwuchs

Flexibilität in der Gestaltung

Beispielhafte Projekte setzen auf Systembaukästen von Gira

Beispielhafte Projekte setzen auf Systembaukästen von Gira

MINIMAL MASTERS

Wie die Shaker mit klaren Werten und asketischem Stil das Design prägen

Wie die Shaker mit klaren Werten und asketischem Stil das Design prägen

Schatz in der Fassade

Warum der Austausch historischer Kastendoppelfenster ein Fehler ist

Warum der Austausch historischer Kastendoppelfenster ein Fehler ist

Von rau bis hedonistisch

Wie verändert die Kreislaufwirtschaft das Interiordesign?

Wie verändert die Kreislaufwirtschaft das Interiordesign?

Neue Impulse setzen

DOMOTEX 2026 präsentiert sich mit erweitertem Konzept

DOMOTEX 2026 präsentiert sich mit erweitertem Konzept

Der Stuhl, der CO₂ speichert

Mit einer Sitzschale aus Papier setzt Arper neue Maßstäbe für nachhaltige Materialien

Mit einer Sitzschale aus Papier setzt Arper neue Maßstäbe für nachhaltige Materialien

Digitale Werkzeuge in der Innenarchitektur

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Natursteinästhetik in Keramik

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Creative Britannia

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Auf stilvoller Welle

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Spektrum der Ruhe

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Rauchzeichen aus dem Abfluss?

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Design als kulturelles Gedächtnis

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Alles Theater

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Zurück zur Kultiviertheit

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Dialog der Ikonen

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Leben im Denkmal

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Mission Nachhaltigkeit

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Zwischen Zeitenwende und Tradition

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Spiel der Gegensätze

Best-of Outdoor 2025

Best-of Outdoor 2025

Outdoor mit System

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

ITALIENISCHE HANDWERKSKUNST

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten