The Real Paper Architect: Shigeru Ban
Für WB Form überträgt der Japaner sein Prinzip aus leichten Konstruktionen und Einsatz von Papier und Pappe auf eine Möbelkollektion.
Seit dreißig Jahren baut und konstruiert Shigeru Ban mit Papier und Pappe – er ist also einer der wenigen wirklichen Paper Architects. Dass der 58-jährige Japaner seine Architektur nun in ein Möbel übersetzt, lag also nahe. Genauso wie, dass es bei der Präsentation seiner Kollektion für den Schweizer Hersteller WB Form nicht nur um die Möbel geht, sondern vielmehr um Bans Hilfsprojekte in Japan, Indien und Ecuador. Zusammenfassung einer Begegnung.
Japan goes Finland
Als Shigeru Ban in Zürich seine Carta Collection für den Schweizer Hersteller WB Form präsentiert, geht es natürlich um viel mehr als Möbel. Seine papiergewordenen Architekturen sollen den Menschen helfen – dafür nimmt er sich auf dem Weg von Paris nach Ecuador Zeit für einen Zwischenstopp in der Schweiz. Und wer sich nun fragt, wie der Pritzker-Preisträger und Weltverbesserer ausgerechnet mit dem eher überschaubaren, 1931 gegründeten, Unternehmen WB Form, der Schwesterfirma vom Zürcher Möbelhaus Wohnbedarf, zusammengekommen ist, muss die Antwort in Finnland suchen: bei Alvar Aalto.
Papierrollen als Modell
Dieser hatte, bevor Artek 1935 aus der Taufe gehoben wurde, ebenso wie seine Kollegen Marcel Breuer, Le Corbusier und Ludwig Mies van der Rohe ein Möbel in Kooperation mit WB Form entwickelt. 2011 spielte sich das Unternehmen mit der Reedition der Max-Bill-Möbel und dem Ulmer Hocker auf die Bildfläche zurück. Auch Shigeru Ban hat einen Bezug zu Alvar Aalto. Mit kleinem Budget, dafür aber mit großer Begeisterung ausgestattet, hat er für eine Ausstellung über den finnischen Architekten 1986 im New Yorker MoMA erstmals einfache Papierrollen zur Konstruktion eingesetzt. Dabei handelte es sich um die Rollen von Stoffbahnen: Reste einer vorigen Ausstellung, an der Ban gearbeitet hatte. Stets dem Wegwerfen abgeneigt, hatten ihn zuvor die Kernrollen aus dem Faxapparat in seinem Studio auf die Idee gebracht, die eng gewickelten Papierbahnen zu seinem Material zu machen.
„Karton hat ungeahntes Potential“, sagt Ban. „Es ist möglich, aus diesem augenscheinlich nachgiebigen Material solide und langlebige Gebäude zu errichten.“ Sein eigenes Ferienhaus am Yamanaka-See, das 1995 errichtete Paper House, dient dafür als Beweis – auch wenn der Architekt seitdem kaum Zeit gefunden hat, dort zu entspannen. Denn im gleichen Jahr gründete er die NGO Voluntary Architects’ Network, eine Organisation, mit der er Hilfsprojekte in Krisenregionen wie Japan, Indien, Haiti, Ruanda, auf den Philippinnen oder wie aktuell in Ecuador umsetzt. An dieser Arbeit habe auch der Pritzker-Preis, mit dem er 2014 geehrt wurde, nichts geändert, erzählt der japanische Architekt. Alle Anfragen, die ihm auf den Preis hin gestellt wurden, hat er ablehnen müssen – sie seien für ihn und seine Arbeit einfach nicht interessant gewesen.
Möbel aus Kartonröhren
Doch zurück nach Zürich in die Talstraße 11, wo Werner Max Moser, Sigfried Giedion und Rudolf Graber nach der Gründung von Wohnbedarf die 1931 von Marcel Breuer gestalteten Räume bezogen. Dort hält Shigeru Ban, wie immer auf Durchreise, im Untergeschoss noch eine kurze Ruhepause, bevor er seine Möbel und Gebäude aus Paper Tubes vorstellt. Gab es in seinem Paper House dazu schon die ersten Prototypen, werden diese nun in Serie hergestellt. Schmale, dünne Kartonröhren fließen in sanft geschwungenen Linien über Gestelle aus Birkensperrholz – ein Sessel, eine Chaiselongue und ein Beistelltisch. Die Papierrollen dienen jeweils in Reihe als Sitz- und Liegefläche oder auch als Unterkonstruktion. Für die Kollektion überarbeitet wurden die Verbindungen, die Stabilität und der Sitzkomfort. In handwerklicher Perfektion sind die Elemente verbunden, sodass ein originärer Typ Möbel entsteht. Auch wenn diese Möbel aufgrund ihres stattlichen Preises wohl eher in die Trophäenecke der Designliebhaber gehören.
Frei Otto mit Vorbildwirkung
Aber es ist ja auch kein wirkliches Recycling-Produkt mehr. In Italien produziert, kommen Kartonröhren für die Shigeru-Ban-Möbel aus Japan, wo sie mit Urethanharz behandelt werden, um sie wasserfest zu machen. Das sei aber auch der einzige Bezug von Bans Architektur zu seinem Heimatland. Er selbst habe ja nie in Japan studiert und auch Papier spiele in der japanischen Architektur niemals eine konstruktive Rolle. Insofern nimmt Shigeru Ban für sich in Anspruch, ein internationaler Architekt zu sein und wundert sich, dass insbesondere europäische Journalisten immer wieder versuchen, einen Zusammenhang zwischen seiner Papier-Architektur und Japan herzustellen. Viel mehr als Japan habe ihn Frei Otto, sein Held aus Studententagen, beeinflusst, sagt Ban.
Seinen ersten Stuhl benutzt der Architekt übrigens selbst seit zwanzig Jahren, verrät Shigeru Ban am Ende seiner Präsentation und fügt leise hinzu, dass es für ihn deutlich schwieriger sei, Möbel zu entwerfen als Häuser zu planen.
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WB Form
www.wbform.comShigeru Ban Architects
www.shigerubanarchitects.comMehr Stories
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