Stories

Unsere besten Bücher

Ans Herz gewachsene Lektüre über Design und Gestaltung

Die Geschichte von Architektur und Design passt kaum zwischen zwei einzelne Buchdeckel. Wir haben unsere Autor*innen gefragt: Welche Bücher haben im eigenen Regal den Rang eines Klassikers und sollten eigentlich mal von allen gelesen werden? Das Ergebnis ist eine konsequent subjektive Bücherschau quer durch die Zeiten, Stile und Regionen.

von Barbara Hallmann, Claudia Simone Hoff, Nina C. Müller, Tanja Pabelick, Katrin Schamun, Kathrin Spohr, 13.07.2020

Günter Höhne: Das große Lexikon DDR-Design
Als dieses Buch vor etwas mehr als zehn Jahren den Weg in meinen Besitz fand, schloss ich es sofort in mein Herz. Denn es öffnete mir die Augen: Ich, Kind einer DDR-Arbeiter- und Bauernfamilie, war also doch nicht in einer derart lumpig gestalteten Umgebung aufgewachsen, wie ich bis dahin annahm. Dazu muss man wissen, dass Design – pardon: Formgestaltung – in der DDR quasi demokratisch war, dass also jeder damit in Kontakt kam. Selbst in meinem Provinzdorf war ich damals umgeben von Produkten, die das Ergebnis eines zielgerichteten ästhetischen Entwurfsprozesses waren – vom Papierkorb über die Handbürste, vom Staubsauger über den Wecker bis hin zu den allgegenwärtigen Superfest-Gläsern. Von letzteren habe ich einige geerbt. Ich lernte sie wegen ihrer simplen Form und ihrer unbedingten Alltagstauglichkeit gleichermaßen schätzen – bei Bedarf kann man auch zehn von ihnen, zum Turm gestapelt, mit zwei Händen transportieren. Diese Wirte-Gläser entdeckte ich dann auch im Lexikon von Günter Höhne, der bis 1989 Chefredakteur von „zweck+form“ war und einen immensen Wissensstock über das DDR-Design zusammengetragen hat. Obwohl es sich bei diesem Buch eigentlich um ein Nachschlagewerk handelt, bleibt es kurzweilig zu lesen – und macht mir noch immer Lust auf mehr: Auf noch mehr Wissen über die Formgestaltung in der DDR und auf noch mehr Sammeln der teilweise rar gewordenen Stücke aus der Hand von Margarete Jahny, Günter Reißmann oder eben Erich Müller, der meine Wirte-Gläser gestaltete. Barbara Hallmann

Erschienen im Komet Verlag, 2008. Nur noch antiquarisch erhältlich. Alternativ empfiehlt sich der Band „DDR-Design. Arbeit, Freizeit, Ferien.“ Bild- und Heimat-Verlag, 2018.

Victor Papanek: Design für die reale Welt
Ich bin „dem Papanek“, einem der meistgelesenen Designbücher aller Zeiten, am Ende meines Studiums im Produktdesign begegnet. Ich musste ihn selber finden, denn die UdK Berlin, die das geistige Erbe der Hfg Ulm fortlebt, verfolgt mit ihrer Lehre einen eher spielerischen Ansatz ohne viel Theorie-Gedöns. Dafür ist man dort sehr gut darin, Klassen zusammenzustellen, in denen die Studenten viel voneinander lernen. Wir alle fanden schnell heraus, dass uns ein gemeinsames Ideal hierhergebracht hatte: Wir wollten, dass unsere Entwürfe die Welt verbesserten. Und erkannten kurz vor dem Diplom, dass wir nach dem Spielplatz Kunsthochschule vielleicht doch aus Versehen zu Dienstleistern der Konsumgesellschaft würden, die meist überflüssigen Möbelentwürfen eine konkurrenzfähige Form aufstülpten. In dieser Stimmung fand ich „Design für die reale Welt“. Schon der erste Satz ist eine Provokation: „Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht.“ Papanek geht an die Wurzel des Professionsproblems, plädiert für soziale, inklusive, nachhaltige und vernünftige Gestaltung und ist dabei zwar populärwissenschaftlich, aber durchaus witzig – etwa wenn er sich über Fetischobjekte der Konsumgesellschaft, wie Nerzbezüge für Toilettensitze, barocke Fliegenklatschen oder Wellensittichwindeln in Rage schreibt. Er fordert, dass Design sich an alle und vor allem an Minderheiten, Kinder, Alte, Arme oder wirtschaftlich weniger entwickelte Regionen richtet – und immer auf Schnickschnack verzichtet. Oder wie Papanek es ausdrückt: „Keep it simple, stupid.“ Tanja Pabelick

Auf Deutsch nur gebraucht erhältlich, die englische Ausgabe „Design for the real world“ wurde zuletzt bei Thames&Hudson verlegt.

Bruno Munari: Design as Art
In meinem Bücherregal liegt Bruno Munari auf einem kompakten Stapel aus Penguin-Klassikern, über Susan Sontag und John Berger. Obendrauf steht eine schwarz-weiße Porzellankatze, die mir vor einigen Jahren ein Freund aus China mitgebracht hat, und die angeblich reich macht, wenn man sie nur ab und zu ein wenig anstupst. Ich bin mir nicht sicher, ob sie diese Funktion, kombiniert mit der bauchigen Form, mehr zu einem Kunst- oder einem Designobjekt macht. Man kann sich auch fragen, ob Aberglaube tatsächlich eine Funktion erfüllt. Ich nehme trotz allem stark an, dass sie reine Kunst ist. Und würde Munari damit wohl – zugegebenermaßen ungewollt – widersprechen, versucht er mit seinem Buch „Design as Art“ doch gerade mit genau dieser rigiden Kategorisierung aufzuräumen und dem gängigen Vorurteil, Gestaltung sei reine Form- oder Stilsache entgegenzuwirken. Es solle keine vom Leben abgetrennte Kunst geben, sprich eine Unterscheidung zwischen den schönen Dingen zum Anschauen und den versteckten Dingen zum Benutzen, schreibt der Autor. Auf circa 200 Seiten, in einer Vielzahl von Illustrationen, mit Zitaten anderer Denker, Witz und Verve analysiert der vielseitige Kreative aus Mailand die Disziplinen Symbol-, Grafik-, Industrie- und Forschungsdesign, und sensibilisiert (oder trainiert) für ihre Allgegenwärtigkeit. Meine Porzellankatze habe ich unter seinen Zeichnungen leider nicht gefunden. Dafür aber eine Menge unbezahlbarer Inspirationen. Nina C. Müller

erschienen bei Penguin Classics, 2008

Hartmut Esslinger & Frogdesign
Als ich während des Designstudiums in den 90er-Jahren bei der Zeitschrift form arbeitete, gab es dort eine essentielle Konstante: Die komplette Rückseite der form, prominentester Anzeigenplatz, wurde immer von frogdesign gebucht. Der Erfolgsmythos um das Büro war stets präsent. Und als das Buch „Hartmut Esslinger & Frogdesign“ von Uta Brandes auf dem Tisch lag, musste ich es natürlich lesen. „Form follows emotion“: frogdesign hatte mit diesem damals radikalen Motto eine Ära des emotionalen Designs eingeleitet, als Antwort auf rein funktionsorientierte Produktgestaltung. Was steckte dahinter? Dass frog-Produkte für Apple, Sony oder Wega zu Legenden wurden, war nicht nur Formsache. Sondern Ergebnis innovativer Arbeitsformen und Strukturen, einer neuen Haltung, die Themen wie Globalisierung, Information Age, Umwelt, Design & Poesie, ein universelles Bewusstsein für Kultur einbezog. Wegbegleiter wie Kurt Weidemann, Cristina Morozzi oder Steven Holt aber auch Hartmut Esslinger selbst kommen in dieser Publikation zu Wort. Damit zeichnet Brandes die gesamte Dimension frogdesign: Sie ist groß und weit, lässig, cool. Wie Kalifornien, wo sich das Headquarter des Büros befand. Das hat mich fasziniert. Mit diesem Buch war frogdesign die reale Manifestation eines neuen Verständnisses, das wir an der KISD (Köln International School of Design) lernten: Design als umfassende Problemlösung von Prozessen zu verstehen. Später landete auch ich in Kalifornien, lehrte am Art Center College of Design in Pasadena. Mit dem frogdesign-Spirit in mind. Zurück in Deutschland startete ich bei frogdesign in Düsseldorf. Tolle Projekte, der legendäre Teamgedanke, die Coffeebreak um 16.00 Uhr waren Realität. Auch wenn ich nicht mehr dort arbeite, frog begleitet mich. Vor kurzem musste mein Sohn die Schule wechseln. Jetzt geht er in die Frosch-Klasse. Und alles ist cool! Kathrin Spohr

Autoren: Uta Brandes und Hartmut Esslinger, erschienen im Steidl Verlag 1998 (gebraucht erhältlich)

Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung
Wenn man Kunstgeschichte studiert, dann liest man so allerhand Nützliches, Kurioses und zuweilen Genialisches. Auch über Architektur und Design. Und spätestens wenn man Kunstgeschichte an der Universität Zürich studiert, stößt man auf einen Klassiker: Sigfried Giedions „Die Herrschaft der Mechanisierung“. Die deutsche Ausgabe von 1982 ist knapp 650 Seiten lang, ein echter Wälzer also. Voll mit Text und mit nur wenigen Abbildungen in Schwarz-Weiß. Der Schweizer Kunsthistoriker, der bei Heinrich Wölfflin in München studiert hatte, war zusammen mit Le Corbusier und Hélène de Mandrot 1928 Mitinitiator des Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM). Außerdem lehrte Giedion an der Harvard University, der ETH Zürich und am MIT. Ursprünglich hatte er Maschinenbau studiert, was seine Affinität zur Technik erklärt. Die „Die Herrschaft der Mechanisierung“ ist eine überraschende Technikgeschichte – so spannend geschrieben, dass man sie gar nicht mehr aus der Hand legen will. Allein die Rechercheleistung würde einen Preis verdienen – so viele Gedanken, so viele Quellen! In insgesamt acht Kapitel unterteilt, beschäftigt sich Giedion mit dem Handwerk und der Technik – vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Er schlägt den Bogen vom Handwerk des Schlossers mit der Erfindung von aufsperrsicheren Tresorschlössern über die Anfänge des Fließbandes bis zur Mechanisierung der Landwirtschaft, wo es beispielsweise um mechanisch hergestelltes Brot geht. Er beobachtet das Erscheinen des Stuhls um 1490, das Aufkommen der Patentmöbel im 19. Jahrhundert oder den Ausbau des Reisekomforts in Form von Speise- und Salonwagen. Alles Dinge, die in unserem Alltag noch heute eine Rolle spielen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Beschäftigt man sich mit Gestaltungsfragen, dann sind sicherlich die drei letzten Kapitel des Buchs am interessantesten: Mechanisierung und menschliche Umgebung, Die Mechanisierung des Haushalts, Die Mechanisierung des Bades. Oder wussten Sie, dass es bereits im frühen 19. Jahrhundert Turngeräte und 1941 einen Gasherd mit Arbeitsfläche gab? Claudia Simone Hoff

Ausgabe: Henning Ritter (Hrsg.), mit einem Nachwort von Stanislaus von Moos, Frankfurt a.M., Europäische Verlagsanstalt (nur noch gebraucht erhältlich)

Oskar Schlemmer, László Moholy-Nagy, Farkas Molnár: Die Bühne im Bauhaus
Wo bleibt heute der menschliche Körper als Maßstab für die Architektur? Meiner Meinung nach lockert sich diese Verknüpfung zunehmend. In der Architekturmoderne gab es mehrere Ansätze, den menschlichen Körper wieder in den Fokus der Architekturbetrachtung zu rücken. Einen lieferte Oskar Schlemmer, berufener Leiter der Bauhausbühne, der seine Lehrverpflichtungen neben Zeichenunterricht und Bühnentheorie um das Unterrichtsfach Der Mensch erweiterte, das nicht nur Zeichnen, sondern auch Biologie und Philosophie zum Thema hatte. Ich schätze Schlemmers Experimente, die den gesamten Körper mit seinen Sinnen in die Interpretation von Raum einbeziehen. Für Schlemmer besetzt der menschliche Körper nicht nur den Raum, sondern er definiert ihn auch. In seinen angebotenen Kursen versucht er, diese beiden Fähigkeiten miteinander zu verbinden mit dem Ziel die angehenden Architekten und Gestalter für die körperliche Erfahrung der gebauten Umwelt zu sensibilisieren. Schlemmers Ansatz widmeten die beiden Herausgeber der Bauhausbücher, Walter Gropius und László Moholy-Nagy, ihren vierten Band und fügten eine Bühnenidee des Studenten Farkas Molnár sowie Moholy-Nagys Partiturskizze hinzu. In dieser schlägt er ein umfassendes Bühnenerlebnis vor: eine Synthese aus Form, Bewegung, Licht, Farbe, Klang und Geruch – aus allen Faktoren, die unsere Sinne ansprechen. Es lebt und wohnt sich doch besser, wenn sich unsere Sinne dem Gebauten öffnen, da dieses so schön ist. Katrin Schamun

Bauhausbücher, Band 4, (1925) Englische Ausgabe: Lars Müller Publishers Zürich 2020

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