Werksbesuch Steelcase: Innovation von Herzen
Auf über sieben Etagen führt Steelcase zum einen vor, wie seine Möbel in Aktion wirken.
Wie wäre es, den Arbeitstag bei einem Flat White im firmeneigenen Café zu beginnen, den Rechner ganz nach Belieben in einer Ruhezone oder im Gemeinschaftsbereich aufzuklappen oder den Workshop mit Blick über die Dächer der Stadt zu erleben? Im neuen Learning + Innovation Center (LINC) des Büromöbelherstellers Steelcase in München wird die Philosophie hinter den Arbeitswelten von morgen schon heute gelebt.
München ist nicht gerade für seine Auswahl an freien Immobilien im Zentrum der Stadt bekannt. Umso glücklicher kann sich ein US-amerikanisches Unternehmen schätzen, Ende 2017 mitten im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt seine neue europäische Heimat gefunden zu haben. Das Steelcase Learning + Innovation Center (LINC) in der Brienner Straße liegt nur zehn Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt. „Wir sind ganz bewusst in die Mitte der Stadt gezogen, da wir Teil der Community sein wollen“, sagt Fabian Mottl, Brand Communications Manager bei Steelcase, der uns in einem wohnzimmerartigen Loungebereich empfängt. Die 260 Mitarbeiter des Learning + Innovation Centers sind mit durchschnittlichen 35 Jahren auffallend jung und dabei überaus international: Dieser Arbeitgeber scheint ausgesprochen attraktiv zu sein.
Auf fast 15.000 Quadratmetern über sieben Etagen führt Steelcase zum einen vor, wie seine Möbel in Aktion wirken. Zum anderen wird hier praktiziert, was Forscher und Trendbeobachter für die Arbeitswelt der Zukunft prophezeien. Im LINC stellt man sich den Herausforderungen, die der digitale Wandel für Unternehmen weltweit mit sich bringt. In den Räumen, die Teil des Brienner Forums sind, saß zuvor ein großer Energiekonzern, der mit seiner Innenarchitektur eher einen Behördencharakter pflegte. Dem Gebäude seine heutige Gestalt zu geben, war entsprechend aufwendig. Zwei Jahre dauerte der Umbau. An der Umgestaltung beteiligt waren das Büro Henn Architekten und der Pariser Designer Patrick Jouin sowie ein Team interner Experten um James Ludwig, Vice President Global Design Engineering, und John Small, ehemaliger Director Design EMEA.
„Um innovativ zu sein, müssen Unternehmen den Informationsfluss und Lernzyklen innerhalb der Organisation unterstützen, Entscheidungsprozesse beschleunigen und die Risikobereitschaft der Mitarbeiter fördern“, davon ist man bei Steelcase überzeugt. Praktisch sieht das so aus: Während der gänzlich neue Eingangsbereich fast unauffällig wirkt, führt ein holzvertäfelter Parcours, der bereits durch die Glasfassade hindurch sichtbar wird, direkt in den Mittelpunkt des Steelcase-Komplexes. Das LINC besteht aus drei Gebäudeteilen. Im zentral platzierten WorkCafé und Restaurant mit abwechslungsreicher, anspruchsvoller Küche kann man nicht nur gut Energie tanken, sondern genauso gut zusammenarbeiten und Ideen entwickeln. Die angrenzende verglaste, sich über die gesamte Gebäudehöhe erstreckende Piazzetta dient als Wintergarten. Wie bedeutend dieser Teil aus Sicht der Planer ist, spürt man anhand der Platzierung: Immerhin liegt das WorkCafé direkt oberhalb der Eingangshalle und in unmittelbarer Nachbarschaft zur Leadership Community, einer hoch frequentierten, offenen Fläche im ersten Obergeschoss, die dem Austausch zwischen Führungskräften, Mitarbeitern und Besuchern gewidmet ist.
Die darüberliegenden Geschosse verbindet eine diagonal durch das Gebäude verlaufende Treppe miteinander. Die Flächen rings um diesen offenen Kern wechseln zwischen Gruppenarbeitsplätzen, abgeschirmten Zonen, die etwa mit der Brody WorkLounge ausgestattet sind, oder Glasboxen, in denen sich Konferenz-, Video- und Telefonkonferenzräume sowie Einzelarbeitsplätze befinden. Selbst die Bereiche Finance und Human Resources, das ist eine Besonderheit, sind Teil des Open Space. „Die Gestaltung der verschiedenen Arbeitszonen basiert auf den Prinzipien Lernen, Zusammenarbeit, Kreativität und vor allem Vertrauen“, erklärt Martin Knobel, Specialist Corporate Communications bei Steelcase im Rundgang.
Zwischendrin steht eine Neuheit wie eine Skulptur auf einem Podest: SILQ, ein Bürostuhl, der Komfort und Innovation miteinander verbindet. Seine extrem schlanke Sitzschale besteht aus einem einzigen Stück carbonfaserverstärktem Kunststoff. Der Stuhl kommt ohne komplizierte Einstellmechanismen aus und unterstützt so den regelmäßigen Arbeitsplatzwechsel.
Ein kleiner Trick hilft zudem, noch mehr Bewegung und Austausch unter den Mitarbeitern zu erzeugen: Während die Kopierer- und Materialräume am einen Ende der lang- gestreckten Etagen liegen, führt der Gang zur Toilette genau zur gegenüberliegenden Seite. Auf der Dachgeschossebene des Learning + Innovation Centers befinden sich neben Lernräumen verschiedene Workshopräume. „Diesen Raum nennen wir Sandbox“, definiert Martin Knobel ein mit Materialproben und Modellen ausgestattetes Studio. Hier werden gemeinsam mit Kunden und Gästen verschiedene Bedürfnisse erkundet. Am sogenannten Map Table lassen sich Details betrachten, die den Besuchern am Steelcase-Haus besonders gut oder auch mal weniger gefallen. Bei der vorherigen Führung durch das Gebäude haben sie dafür Orte digital registriert, die ihnen aus bestimmten Gründen aufgefallen sind. Darüber hinaus lassen sich mithilfe einer Virtual-Reality-Einrichtung mögliche Interior-Szenarien bereits bei der Planung dreidimensional erfahren. Zudem bietet die VR-Technik die Gelegenheit, virtuell andere Steelcase-Locations zu besuchen, etwa den Muttersitz in Grand Rapids im US-Bundesstaat Michigan. Im benachbarten dritten Gebäudeteil befindet sich ein Bereich, der Gästen streng verborgen bleibt. Auf fünf Etagen findet hier die Produktentwicklung statt: Dazu gehören Studios, eine Schreinerei, eine Schlosserei und ein Testlabor. Hergestellt wird im LINC allerdings nichts – das nächste Werk steht im nahe gelegenen Rosenheim, wo die Tischproduktion für den europäischen Markt stattfindet. Hier in der Münchner Maxvorstadt werden die Bereiche Produktentwicklung, Vertrieb, Finanzwesen, Kommunikation, Auftragsabwicklung, IT, Marketing, Lieferkettenmanagement sowie Personal- und Rechtswesen vereint.
Für Steelcase fungiert der Standort als Testlabor und Aushängeschild, aber auch als Treffpunkt sowohl für Mitarbeiter – dank Videotechnik sogar über alle Zeitzonen hinweg – als auch für Fachhändler, Kunden, Entscheidungsträger und Gäste. Das Learning + Innovation Center wird zu einem Ort, an dem die Freude an der Arbeit laufend optimiert wird – da bilden das WorkCafé und der nach Wünschen der Mitarbeiter ausgestattete Fitnessraum inklusive Yoga- und Trainingsangebot nur das i-Tüpfelchen. Innovation entsteht eben meistens im kreativen Freiraum, und Kreativität kommt stets von Herzen. Diesen Zusammenhang hat Steelcase schon lange verstanden.
FOTOGRAFIE Annette Kuhls
Annette Kuhls
Steelcase
Fotografin
Annette Kuhls