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Wohnratgeber 8: Blumentopf gewinnt

Schluss mit trägen Töpfen und wuchtigen Schalen: Zimmerpfanzen schweben längst von der Decke herab.

von Norman Kietzmann, 12.03.2014

Es kommt Bewegung in den Wohnraum. Während der Frühling da draußen an Fahrt gewinnt, dürfen die heimischen vier Wände dem nicht nachstehen. Gefragt sind allerdings nicht gewöhnliche Blumenvasen oder austauschbare Pflanzentöpfe. Es darf schon etwas raffinierter grünen. Selbst Wände, Fenster, Möbel bis hin zum Luftraum unterhalb der Decke werden in schwebende Gärten verwandelt.

Wenn die Natur mit im Spiel ist, bedeutet weniger einmal nicht automatisch mehr. Üppige Dschungel sind schöner als einzelne Sprösslinge. Damit das organische Wettrüsten allerdings gelingt, empfehlen sich kleinteiligere Lösungen als die vertikalen Gärten eines Patrick Blancs. Diese können zwar ganze Häuserfassaden mühelos bespielen, benötigen dafür aber eine kostspielige Installation und aufwändige Pflege. 

Dennoch ist der Ansatz vom Prinzip her ähnlich: Ein Garten kann auch dort entstehen, wo traditionell eigentlich kein Platz für ihn ist. Übertragen auf das Wohnen bedeutet das: Blätter und Blüten werden von trägen Töpfen und wuchtigen Schalen befreit und in schwebende Inseln, filigrane Raumteiler und spielerische Module gepflanzt, die mitunter sogar ein wenig Hightech ins Spiel bringen. Das Ziel der Unternehmung ist klar: Das Grün im Wohnraum soll nicht nur Sauerstoff spenden und das eigene Wohlbefinden steigern. Es soll als stolzes Zeichen nach außen wuchern, das weder den Nachbarn noch den Passanten auf der Straße entgehen soll. 

Schwebend unter der Decke
Vorreiter in der floralen Eroberung des Luftraumes ist der neuseeländische Designer Patrick Morris. Seine kopfüber von der Decke herabhängenden Töpfe waren ursprünglich als Abschlussarbeit am Central Saint Martins College in London gedacht. Nachdem er zwei Jahre lang mit seinem Bruder das System weiter verfeinert hatte, gründeten sie das Unternehmen Boskke in ihrer Geburtsstadt Wellington. Die Sky Planter basieren auf einem einfachen Prinzip: Ein hufeisenförmiger Keramikring und ein feinmaschiges Kunststoffnetz verhindern das Herunterbröseln der Erde. Wasser wird von oben in die Topfböden gegossen und von einem Reservoir sukzessive an die Wurzeln abgegeben. 

Töpfe mit Plug-In 
Wer angesichts des kopfüber hängenden Grüns leichtes Unbehagen empfindet, ist mit den Bucketlights des niederländischen Designers Roderick Vos gut beraten. Die Pflanzen werden aufrecht in jeweils zwei miteinander verbundene Schalen eingetopft, die an einer Metallstange von der Decke herabhängen. Der Clou liegt hier in der funktionalen Erweiterung. So werden nicht nur die Planzen mit LEDs in Szene gesetzt. Weitere Strahler an der Unterseite der Töpfe verwandeln Bucketlights in eine vollwertige Deckenleuchte, die zudem zur Stromversorgung für darunter stehende Arbeitstische genutzt werden kann. In einer gesonderten Ausführung ist eine Steckdose an der Unterseite der beiden Pflanzenschalen angebracht, in der eine würfelförmige Tisch-Verteilerdose an ihrem 1,5 Meter langen Kabel eingestöpselt werden kann. 

Domestizierte Farm 
Doch nicht nur die Verbesserung des Raumklimas stehen im Fokus. Die Kollektion Urban Garden des französischen Designers Patrick Nadeau ist auf den platzsparenden Anbau von Küchenkräutern, Tomaten und anderer Gemüsesorten ausgerichtet – ganz gleich, ob die Bewirtschaftung in der Küche oder in Teilen des Wohnraumes erfolgen soll. Neben topfähnlichen Pflanzsäcken umfasst die Serie ebenso Pflanztaschen aus beschichtetem Polyestergewebe. Mithilfe langer Klettverschlussriemen können die textilen Gefäße entweder einzeln oder in Gruppen von der Decke oder Wand abgehängt werden. Die Idee: Eine breite Auswahl unterschiedlicher Kräutersorten ist in Griffhöhe leicht erreichbar und wirkt zusätzlich als Raumteiler oder dekorative Wandgestaltung. 

Ruhen die Wurzeln bei dieser Lösung in wasserspeicherndem Tongranulat, geht der amerikanische Anbieter Windowfarms noch einen Schritt weiter. Auch sein System hängt von der Decke herab und kann vor dem Fenster oder in der Mitte des Raumes platziert werden – vorausgesetzt, die Planzen erhalten dort genügend Sonnenlicht. Damit bei Wachstum und Ernte nichts schiefgeht, werden die übereinander angeordneten Pflanzenschalen mit Pumpen aus einem zentralen Reservoir heraus bewässert. Die Dauer und Häufigkeit der Wasserzufuhr kann exakt programmiert werden, sodass der Hobbygarten auch längere Urlaube unbeschadet übersteht.

Liaison mit Möbeln
Doch nicht nur Wände, Fenster und der Luftraum sind Pflanzterrain. Auch die Möbel gehen mitunter eine Liaison mit grünen Untermietern ein. Ob Jean-Marie Massauds gläserner Couchtisch Seasons für Glas Italia, dessen inneres Becken wahlweise als Blumenkasten, Vase oder ethanolbetriebene Feuerstelle dienen kann. Oder sein Sitzprogramm Green Islands, das der Pariser Designer für den schwedischen Möbelhersteller Offecct entworfen hat und voluminöse rechteckige Polsterbausteine mit bündig eingelassenen Pflanzschalen aus Edelstahl kombiniert: Die Natur wird nicht als ein Extra begriffen, die sich ihren Platz erst suchen muss. Sie ist integral mit der Einrichtung verbunden. 
Eine flexible Interpretation dieses Ansatzes zeigt das Stockholmer Designbüros Note mit seinem Sofa Rise für Fogia, dessen abgerundete Polster auf einer asymmetrisch auskragenden Holzbank ruhen. Auch hier wird ein klassischer Beistelltisch mit einem Sitzmöbel verschmolzen, um Platz für Blumenvasen, Pflanzenkästen oder Bücher und Zeitschriften zu schaffen. Für den norwegischen Möbelhersteller Fjordfiesta konzipierte das Designerduo Anderssen & Voll eine Weiterentwicklung der Sitzbank Krobo von Torbjørn Afdal aus dem 1960. Verschiedene Einsätze, Schubfächer und Aufbewahrungsboxen verwandeln das Möbel in einen funktionalen Allrounder, der selbstredend auch zur Verstärkung des grünen Wohlfühleffekts im Wohnraum geeignet ist. In diese Richtung tendiert auch der schwedische Möbelhersteller String, dessen universales Systemregal durch bepflanzbare Kunststoffschalen zur Micro-Farm aufgerüstet werden kann.

Modulares Grün
Eine Architektur im Kleinen hatte das japanische Gestaltungsbüro Ienami im Sinn. Dessen Bonkei Planter umfasst vier modulare Pflanzschalen, die einen quadratischen Grundriss haben und von miniaturisierten Treppenaufgängen umrundet werden. Das domestizierte Grün wird auf diese Weise zum Spielplatz erkoren, der auf dem Sideboard oder Esstisch inszeniert werden kann. Modular ist auch die Pflanzenschalen-Serie Ma-Ce-ta von Miguel Angel Garda Belmonte für den spanischen Keramikhersteller Pott. „Mehr als nur eins“ lautet die Losung zur floralen Geselligkeit, indem mindestens drei Schalen in unterschiedlichen Größen miteinander kombiniert werden. Die Praktikabilität des Systems basiert auf den polygonalen Grundrissen der Module, die eine Vielzahl unterschiedlicher Andock-Möglichkeiten zulassen. 

Affinität zu Beton 
Zwischen Leichtigkeit und Schwere balanciert die Vasenkollektion Weight des thailändischen Designers Decha Archjananun. Die Wirkung seiner nun in Produktion genommenen Master-Abschlussarbeit an der Lausanner Designschmiede  ECAL beruht auf einem treffsicheren Materialkontrast: Sanft abgerundete Betonschalen werden von filigranen, metallenen Bügeln umschlossen. Selbst einzelne Blüten erfahren so sicheren Halt und werden wie auf einer Bühne in Szene setzen. Einen modularen Zugang zu Beton wählte die französische Designerin Xiral Segard mit ihrer Vasenserie Konkurito. Durch Zufügen oder Wegnehmen der ringförmigen Betonbausteine können die Gefäße in ihrer Höhe flexibel variiert werden. 

Was bleibt von diesen Dingen, ist eine einfache Erkenntnis: Weder kleine Räume noch unpraktische Grundrisse sind ein Hindernis, wenn es um die Begrünung der eigenen vier Wände geht. Der Charme der domestizierten Natur liegt genau in diesem Spannungsfeld aus Architektur, Interieur und dem kalkulierbarem wie unkalkulierbarem Verhalten der wuchernden und kletternden Mitbewohner. Wer noch behauptet, es fehle an einer passenden Vase oder gar dem nötigen Platz, wird sich eine andere Ausrede einfallen lassen müssen.

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