Zur Sonne, zur Freiheit
Warum sollte die Architektur bei Künstlerateliers eine Rolle spielen? Neun gebaute Beispiele aus der ganzen Welt zeigen große und kleine Gesten.

Ein Künstleratelier kann alles sein: Es reicht ein einfaches Zimmer mit Wandfläche und einem Fenster, dass den Raum mit genügend Tageslicht versorgt. Was dann noch fehlt, ist die obligatorische Matratze, Pritsche oder das Schlafsofa, denn gearbeitet wird immer. Und je erfolgreicher das kreative Schaffen wird, desto perfekter lassen sich die Bedürfnisse und Anforderungen des künstlerischen Alltags in eine ideale Architektur übersetzen: Neun Bespiele aus Berlin, Bregenz, London, São Paulo, Tel Aviv und von der kanadischen Insel Fogo Island.
Innen weiß, oder dürfen die Oberflächen doch über eine Haptik verfügen? Die Umwelt draußen lassen oder reinholen? Alles gerade, oder darf es auch mal schräg und kurvig sein? Wenn es um die Architektur von Künstlerateliers geht, tritt ein großer Unterschied zwischen innen und außen sowie Stadt und Land zum Vorschein.
Ruhig bleiben
Kunst in unaufgeregten und orthogonalen Räumen mit farbneutralen, weißen Wänden. Die meisten Ateliers scheinen dem immer gleichen Prinzip zu folgen: Bloß keine Aufregung! Und warum sollte die Architektur überhaupt eine Rolle spielen? Es geht doch allein um die Interaktion von Künstler und Leinwand oder Objekt. Da können strukturierte Oberflächen oder formaler Schnick-Schnack nur stören. Und so gilt das White Cube-Konzept nicht nur für die meisten Ausstellungsräume dieser Welt, sondern hat sich auch in vielen Studios von Kreativschaffenden durchgesetzt – alleine aus funktionalen Gründen: Bilder werden häufig auf- und wieder abgehängt, und die Wände müssen zum Teil große Lasten tragen können. Auf die Frage nach den Anforderungen des Künstlers Jonathan Meese an seinen Atelier-Umbau in Berlin antwortet die Architektin Oda Pälmke dann auch folgerichtig und trocken: „Wandfläche und weiße Wände“.
Berliner Schnauze
Was für innen gilt, muss nicht auch für Hülle oder Lage seine Richtigkeit haben: Zwei Ateliers in Berlin zeigen, dass es Künstlern, die es sich leisten können, doch auch um eine formale Aussage ihrer Studioarchitektur geht – auch wenn diese von Zurückhaltung und absoluter Reduktion handelt, wie bei Katharina Grosse. Allein der Standort ist schon eine Geste: Der strenge Betonquader von den Architekten Ute Frank und Georg Augustin mit den Außenmaßen von 12,5 mal 25 mal 12,5 Metern thront freistehend an einer unscheinbaren Straßenkreuzung im bürgerlichen Moabit. Die komplexe, innere Raumstruktur ist von außen kaum ablesbar: Das steinerne Volumen wird nur im unteren Bereich von einem unregelmäßigen Fensterraster durchbrochen. Doch gerade die einfache Materialität und die unpräzise wirkenden Abdrücke der billigen Schalungstechnik verleihen dem Würfel seine fast schon radikale Gestalt. Für Georg Augustin lag die besondere Herausforderung darin, „die kompakte Maschine, die das kleine Grundstück optimal ausfüllt, in ein komplexes Raumgefüge zu überführen, das genügend atmosphärische Elemente entwickeln kann, um einen angenehmen Aufenthalt und Gebrauch zu ermöglichen.“ Und genau das ist ihnen gelungen.
Landschaft und Malerei
Besonders im Vergleich von Ateliers in Städten und in der freien Natur kristallisiert sich ein markanter Unterschied heraus: Während im urbanen Kontext oft der Außenraum ausgeblendet oder nur in klar portionierten Größen dargeboten wird, steht bei ländlichen Studios oft die Inszenierung des natürlichen Szenarios an ähnlicher Stelle wie das funktionale Raumkonzept. Das neu gebaute Atelier eines Malers bei Bregenz vom Architekten Christian Tonko rahmt die Natur wie ein Gemälde und macht sie dadurch zum ebenbürtigen Mitspieler. Genauso die Fogo Island Studios, eine Ansammlung von sechs über die Insel verteilten Ateliers: Sie stellen Kunst, Natur und Architektur auf ein und dieselbe Bühne. Großformatige Fenster öffnen die Innenräume zu der rauen Fels- und Moorlandschaft Neufundlands und bieten großes Landschaftskino. Die Formensprache der sechs schwarz-weißen Holzbauten ist dabei alles andere als zurückhaltend: Die Gebäude wirken wie abstrakte Spiegelbilder des zerklüfteten Felsszenarios, das durch Wind und Wetter geformt wurde.
Dass Ateliers oft nur aus einem einzigen, kleinen Raum bestehen und trotzdem sämtliche Anforderungen erfüllen können, beweist ein Studio und Archiv in Tel Aviv von den Architekten Ranaan Stern und Shany Tal: Die geringe Größe von 20 Quadratmetern merkt man dem Atelier dank einer schlauen Organisation an keiner Stelle an. Jede der bestehenden Papierarbeiten wurde im Vorfeld exakt vermessen und dann nach Zugehörigkeit, Größe und Bezügen einer Gruppe zugeordnet. Das hölzerne Stauraumsystem, eigens für den Raum entworfen, passt sich perfekt in seine Hülle ein und beinhaltet zudem noch ein paar weitere nützliche Funktionen, wie ein Klappbett, das sich aus der Wand falten lässt. Damit schließt sich der Kreis zu Ateliers, wie sie millionenfach auf der Welt existieren: Was braucht man schon zur Selbstverwirklichung, außer einem Raum samt Fenster und vielleicht noch einem Bett?!
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