Big in Japan
Christian Werner über sinnliche Formen und modische Versuchungen

Partner: Ligne Roset
Christian Werner hat eine besondere Gabe: Er entwirft Möbelstücke und Leuchten, die gleichermaßen beruhigend und aufregend wirken. Seit den späten Achtzigerjahren verbindet den gebürtigen Berliner eine bis heute andauernde Kooperation mit Ligne Roset. Ein Gespräch über sinnliche Formen, modische Versuchungen und intime Rückzugsorte.
Herr Werner, Sie haben sich vor allem mit zeitlos-eleganten Möbelentwürfen einen Namen gemacht. Was hat Sie mit dem Thema Wohnen in Verbindung gebracht?
Wohnen hat mich schon seit meiner Jugend interessiert. Dann habe ich einen Artikel gelesen über Luigi Colani, der den Deutschen in den Siebzigerjahren das Wort „Design“ beigebracht hat – und mir auch. Da war ich vierzehn Jahre alt. Ich wusste, dass ich etwas mit Möbeln machen wollte. Einen Haarfön oder Staubsauger zu gestalten, reizte mich überhaupt nicht. Da wäre ich lieber zum Bühnenbild gegangen. Ich habe ja bis vor zehn Jahren noch viel Innenarchitektur gemacht. Vor allem Messestände sind ja wie Bühnen, auf denen man Dinge tun kann, die man in einem dauerhaften Umfeld nicht unbedingt machen würde.
Worin liegt der Schlüssel zu gutem Design?
Emotion. Man kann sagen: Ich gestalte Emotion. Oder: Ich gebe Emotion einen Ausdruck. Natürlich muss man auf einem Möbel sitzen können. Doch es geht um mehr: Es ist unglaublich schön, Menschen Dinge zu geben, mit denen sie sich identifizieren können. Als ich in Berlin Design studierte, war ein Teil der Aufnahmeprüfung die Frage: Was macht ein industrielles Massenprodukt zu einem persönlichen Gegenstand? Das fand ich sehr schlau. Und bis heute komme ich immer wieder darauf zurück.
Dinge, zu denen man eine Beziehung aufbaut, bleiben länger im Gebrauch, richtig?
Vor ein paar Tagen hat sich eine Frau bei mir gemeldet. Sie hatte im Beverly Hills Studio von Ligne Roset versucht, eine Leuchte von mir zu kaufen, die schon ewig nicht mehr in der Kollektion ist. Bei einem Umzug haben die Möbeltransporteure ihre Leuchte beschädigt. Dann ruft sie hier an und fragt, ob ich noch ein Exemplar hätte. Gibt es ein schöneres Kompliment, als wenn jemand ein Produkt seit 25 Jahren besitzt und richtig traurig ist, wenn es kaputtgeht? Mehr kann man gar nicht wollen als Designer. Darin liegt auch mein Anspruch an Nachhaltigkeit.
Und Emotionalität ist der Zugang dazu?
Ich bemühe mich um eine reduzierte Formensprache. Dieser abgedroschene Begriff des „Minimalismus“ sagt erst einmal gar nichts. Ich bin nicht der Typ für ausgefallene, schrille Formen. Aber meine Entwürfe haben immer eine Sinnlichkeit. Das ist mir ganz wichtig. Darüber entsteht auch die persönliche Bindung. Wir sind emotionale Wesen. Die Gefühlsebene ist beim Menschen viel stärker als das rein rational Denkende. Das bestätigt ja auch die heutige Hirnforschung. Das Emotionale zeichnet uns als Menschen aus.
Welche Rolle spielt der Moment?
Jedes Möbel ist unweigerlich ein Kind seiner Zeit. Wir bewegen uns in Moden. Deswegen muss man aber nicht modisch sein. Den Sessel Pop habe ich 2002 für Ligne Roset gestaltet. Er sieht aus wie eine geknickte Matratze. Dann hieß es, er hat etwas von der Popkultur der Sechziger. Ich bin Jahrgang 1959. Zur Zeit der Beatles hatte ich noch Windeln an oder war im Kindergarten. Aber ich fand die Auseinandersetzung damit interessant. Offensichtlich gab es in der Zeit, als ich diesen Sessel gezeichnet habe, Strömungen oder ein Gefühl, das vielleicht ganz ähnlich war zur Zeit von Pierre Paulin.
Bestimmte Formen liegen manchmal in der Luft?
Ich merke komischerweise häufiger beim Entwerfen, dass ich etwas aufzeichne und denke: Das könnte aus den Sechzigerjahren sein. Es hat eine ähnliche Formensprache. Da wiederholt sich irgendwie etwas. Wie in der Musik oder in der Mode ja auch. Dennoch suche ich nicht danach, nach hinten zu schauen. Das entspricht mir nicht. Mich reizt das, was kommt und nach vorne geht. Ich möchte schließlich mein Lebensgefühl von heute interpretieren. Darum denke ich viel über andere Wohnformen nach. So ist auch das Sofa Prado für Ligne Roset entstanden.
Sie haben mit dem 2014 vorgestellten Möbel eine schwebende Fläche definiert, auf der die Rückenlehnen frei bewegt werden können: Quasi eine Mixtur aus Bett, Daybed und Sofa. Welcher Ansatz steckt dahinter?
Die klassische Polstergarnitur aus Dreisitzer, Zweisitzer und Einsitzer hat für mich den Reiz verloren. Man bittet nicht mehr wie unsere Großeltern-Generation die Gäste nach dem Essen in die Sitzgruppe. Stattdessen bleibt man sieben Stunden mit seinen Freunden am Tisch auf dem Stuhl sitzen. Das bedeutet, dass Polstermöbel ganz private, intime Rückzugsorte geworden sind. Außer vielleicht beim Fußball-Schauen kommt es selten vor, dass drei oder vier Erwachsene in einer Reihe nebeneinander sitzen. Das ist ein groteskes Bild geworden. Manchmal staune ich, dass diese Sofas immer noch einen solchen Erfolg haben. Es hat natürlich eher innenarchitektonische Hintergründe, weil sich diese Möbel schön an der Wand entlang stellen lassen.
Können Sie uns erklären, wie Sie beim Entwerfen vorgegangen sind?
Ich denke mit dem Stift in der Hand. Ich schmiere Berge von Papier voll und reflektiere übers Zeichnen. Also habe ich die Rückenlehne immer tiefer und tiefer gezeichnet: So tief, dass jedes Kissen herunterfallen würde, wenn man es anlehnt. Im nächsten Schritt dachte ich: Jetzt sei doch mal konsequent und nimm die Rückwand und die Armlehnen weg. Und damit war das Möbel geboren. Ich wusste ja überhaupt nicht, ob es funktioniert. Bekommt man die beweglichen Lehnen zum Halten? Geht das überhaupt? Es sind natürlich schöne Momente, wenn man sagen kann: Ja, wir bekommen das gelöst.
Aus Prado ist 2021 eine Familie geworden: Telen ist ein Polstermöbel für den Innenraum, Murtoli ein großes Sofa für den Outdoor-Bereich. Was hat es mit beiden Entwürfen auf sich?
Michel Roset hat mich angesprochen und gefragt, ob ich ein neues Prado machen würde. Das Sofa ist ein ziemlicher Erfolg. Doch es ist sehr groß, sehr erwachsen. Also haben wir darüber nachgedacht, eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Das Sofa Telen ist kompakter in seinen Dimensionen. Es liegt wie ein Kissen auf dem Boden auf. Der Grundriss folgt einer Freiform, die einen regelrecht dazu zwingt, das Möbel mitten in den Raum zu stellen. Auch ist völlig egal, von welcher Seite man sitzt. Die beweglichen Rückenlehnen sind asymmetrisch angewinkelt und können von zwei Seiten benutzt werden. Die eine erlaubt eine flachere, entspanntere Haltung, während die andere Seite ein aufrechteres Sitzen unterstützt. Parallel zu dieser Entwicklung kam die Idee zum Outdoor-Sofa Murtoli. Um es formell von Prado abzugrenzen, ist die Sitz- und Liegefläche betont rechteckig geformt. Auch verwenden wir andere Kufen und eine ganz andere Polsterung.
Was die drei Möbel verbindet: Sie definieren eine Metaebene über dem Boden.
Genau. Dazu hatte ich vor zwei Jahren ein spannendes Ergebnis. Ich war auf der Tokyo Design Week – eingeladen von Ligne Roset. Sie verkaufen Prado wahnsinnig gut in Japan. Als ich bei einer Präsentation im Showroom stand, ist mir klar geworden warum. Im Grunde kann man sagen, dass das Sofa eine aufgebockte Tatami ist. Die Japaner haben traditionell diese Holzwinkel, die sie auf die Tatami-Matten stellen und als Rückenlehnen benutzen. Also sitzen sie im Schneidersitz auf Prado. Im Grunde ist es ein ost-westlicher Kulturtransfer. Darüber habe ich zuvor nie nachgedacht. Umso mehr war es eine schöne Erkenntnis.

Ligne Roset
Fertigungsstandorte von Ligne Roset mit ca 800 Mitarbeitern. 95% der Sitz-, Kasten-, Kleinmöbel und Accessoires werden hier gefertigt. Das seit 1860 bestehende Familienunternehmen exportiert in 5. Generation weltweit in 70 Länder und begeistert überall Menschen für hochwertige französische Möbel. Anspruchsvolle und zeitlose Ästhetik prägen die Marke sowie ein hohes Maß an Innovation und Kreativität. Möbel von Ligne Roset werden im gehobenen stationären Handel, in Exklusivgeschäften sowie über einen eigenen Onlineshop vertrieben. Darüber hinaus sind Hotels, Sternerestaurants, Kreuzfahrtschiffe und Luxusboutiquen ein wichtiges Geschäftsfeld.
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