Mit Hang zur Höhe
Wohnhaus auf kleiner Fläche in Unterfranken von ToB.Studio
An einem steilen Hang im fränkischen Burgsinn hat der Architekt Tobias Ruppert sein Erstlingswerk realisiert. Das frei stehende Wohnhaus für eine fünfköpfige Familie überrascht mit offener Raumaufteilung bei extrem reduzierter Grundfläche. Holz aus dem familieneigenen Wald wurde als Baumaterial verwendet.
Form Follows Schaf nennt Tobias Ruppert sein erstes in Selbstständigkeit realisiertes Bauprojekt. Mit seinem Büro ToB.Studio verfolgt der Architekt einen kontextuellen Ansatz: Die gebaute Form reagiert auf das Vorhandene. Das steil abfallende Gelände des Grundstücks im kleinen Ort Burgsinn in Unterfranken galt als unbebaubar, war jedoch nicht ungenutzt. Mehrere Generationen von weidenden Schafen hatten auf dem terrassierten Hang sichtbare Spuren hinterlassen. Die eingetretenen Ebenen und Wege wurden zur Inspiration für das Bauprojekt und das ländliche Wohnhaus fand am steilen Hang seinen Platz. So wie die Architektur den Schafen folgt, ist auch sonst vieles ungewöhnlich an dem hoch aufragenden Bau.
Radikale Offenheit
Mit gerade mal 110 Quadratmetern Wohnfläche liegt der Flächenanteil pro Kopf bei nur 22 Quadratmetern und somit weit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Der vermeintlich beengte Raum wirkt jedoch dank einiger architektonischer Kniffe größer. Dies gelingt zunächst durch die klare räumliche Aufteilung von Wohnraum, Elternschlafbereich und Kinderzimmern über drei Geschosse und die jeweils geschosshohe Öffnung der Fassade Richtung Süden. Zudem wurden trennende Wände weitestgehend vermieden. Stattdessen erzeugen Durchblicke – auch über Geschosse hinweg – das Gefühl von Weite. Ein Teil der Decke im Wohnbereich wurde ausgespart, was den Blick in den darüber liegenden Schlafbereich erlaubt. Diese radikale Offenheit verlangte eine Bauherrenfamilie, die von dem ungewöhnlichen Wohnkonzept begeistert war. Konsequenterweise wird das über zwei Geschosse greifende Raumvolumen klimatisch als eine Einheit betrachtet. Die Zwischendecke aus Stahlbeton ist mit Kühl-/Heizschlaufen versehen und kann entsprechend thermisch aktiviert werden.
Haus mit zwei Gesichtern
Frei von festgelegten Stilen und Vorbildern entschied sich der Architekt für zwei unterschiedliche Fassaden und eine Collage verschiedener Elemente. Der in den Hang eingebettete Sockel ist in Stahlbetonbauweise ausgeführt, die oberen Geschosse sind als Holzkonstruktion umgesetzt. Zur Straße hin wirkt der Bau gedrungen und abweisend: Die spärlichen Öffnungen sind teilweise von der vertikalen Holzschalung überdeckt und das homogene Fassadenbild setzt sich auf den geneigten Dachflächen fort. Im Gegensatz dazu ragt die hangabwärts gerichtete Fassadenseite über drei Geschosse empor, ist großteils verglast und gibt den Blick über das Tal frei.
Kirche oder Wohnhaus
Die dreigeschossige Anordnung auf kleiner Grundfläche unterscheidet sich von der Nachbarbebauung und streckt das Bauvolumen in die Höhe. Diese Geste eines schlanken, aufragenden Baus spiegelt sich auch im überhöhten „Kirchenfenster“ mit Rundbogenabschluss wider, das dem Treppenraum, der Wohn- und Schlafebene miteinander verbindet, eine eigene Identität verleiht. Die Treppe ist dadurch mehr als nur ein Durchgangsbereich. Sie wird von der Familie unter anderem für Besprechungen genutzt, imposanter Ausblick inklusive. Wenngleich Form und Position der Öffnung einen unerwarteten Kontrast im sonst rechtwinklig orientierten Fassadenbild erzeugen, zieht das schmale Rundbogenfenster doch in besonderem Maße die Aufmerksamkeit auf sich und ist ein echtes Wiedererkennungsmerkmal.
Materialität und Farbe mit Ortsbezug
Nachhaltig und ressourcenschonend sollte der Bau sein: Das verwendete Holz wurde aus dem Wald der Bauherren bezogen und im Sägewerk für den Bau zugeschnitten. Für die Fassadenverschalung wurde sägeraue Lärche verwendet, die Oberflächen im Innenraum sind unbehandelte Fichte. Für Bäder und Küche wählte der Architekt eine monochrome Farbgestaltung. Die Farben unterscheiden sich je nach Geschoss und nehmen Bezug zur Umgebung: Buntsandsteinrot im erdbezogenen Wohngeschoss, Spessartwaldgrün auf der Eingangs- und Schlafebene sowie Himmelblau für das in luftiger Höhe gelegene Kindergeschoss. Es ist nicht zuletzt der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauherren zu verdanken, dass ein mutiges Wohnkonzept mit detailgenauer Umsetzung gelungen ist.
FOTOGRAFIE Benjamin Brückner
Benjamin Brückner
| Fertigstellung: | 2025 |
| Bauherr: | Privat |
| Wohnfläche: | 110 m² |
| Leistung: | LPH 1-8 |
| Energieberatung/Planungsrecht: | Planungsbüro Gammel |
| Tragwerk: | Tragraum Ingenieure |
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