Wohnen mit System
Sanierung des modularen Wohnhauses von Fritz Haller
Partner: USM
Fritz Haller ist nicht nur der Erfinder des berühmten Möbelbausystems Haller von USM. Der Schweizer Architekt hat ebenso mehrere Architekturbaukästen entworfen, mit denen auch das Wohnhaus von USM-Chef Paul Schärer errichtet wurde. Heute dient der gläserne Modulbau aus dem Jahr 1969 als Gästehaus des Schweizer Unternehmens.
Systeme sind die Verwandlungskünstler unter den Möbeln. Sie besitzen keine festgelegte Form oder Proportion. Sie können sich den Dimensionen der Räume immer wieder neu anpassen, können wachsen oder schrumpfen. Genau nach diesem Prinzip haben der Architekt Fritz Haller und der Ingenieur und Unternehmer Paul Schärer das USM Möbelbausystem Haller entworfen. Der Klassiker aus dem Jahr 1963 ist bis heute relevant. Schließlich sind Systeme langlebig und können sich mit den Bedürfnissen und Lebensgewohnheiten ihrer Besitzer*innen verändern. Kurzum: Sie sind keine Entscheidung für Jahre oder Jahrzehnte. Sie begleiten ein ganzes Leben und wandern schließlich zur nächsten Generation weiter.
Sprung in den Maßstäben
Das USM Möbelbausystem Haller ist kein Einzelgänger. Es wurde zeitgleich mit drei Stahlbausystemen zur Konstruktion von flexiblen und veränderlichen Industrie- und Gewerbebauten entwickelt. Diese trugen die Namen MINI, MIDI und MAXI – passend zur räumlichen Größenordnung ihrer Anwendung – und wurden bis 1994 von USM produziert. Nach der Fertigstellung des Fabrikgebäudes 1963 und eines Büropavillons im Jahr 1965 folgte der nächste Schritt auf dem Firmengelände im schweizerischen Münsingen. Etwas oberhalb der Produktionshallen entstand zwischen 1968 und 1969 das Wohnhaus der Familie Schärer – konstruiert aus dem kleinsten der drei Stahlbausysteme und mit Blick auf die Alpen.
Schwebendes Volumen
Indem die Modularität in den Maßstab der Architektur übertragen wurde, konnte das industrielle Bauen im Wohnen neu gedacht werden: ganz ohne die Starrheit und Monotonie der Plattenbauten, die zeitgleich in den späten Sechzigerjahren in vielen Teilen Europas entstanden sind. Die Stahlkonstruktion setzt sich aus modularen Stützen und Trägern zusammen, die sich in der Horizontalen endlos addieren lassen. Aus ihnen wurde ein eingeschossiges Volumen zusammengesetzt mit einer Grundfläche von 12 mal 14,4 Metern. Die Wohnplattform ist um ein Stockwerk angehoben, um so das steile Gefälle des Grundstücks auszugleichen. Die zum Hang ausgerichtete Fläche dient als überdachter Eingangsbereich und Parkraum.
Visuelle Balance
Die Fassade ist mit bodentiefen Fenstern verkleidet, während die Wandpaneele im Inneren frei positioniert werden können: Ein Open Space im Wortsinne, sowohl was die locker ineinander fließenden Räume als auch die visuelle Öffnung des gesamten Gebäudeinneren betrifft. Zwei Patios – der eine zum Hang, der andere zur Hügelseite – intensivieren die Verschmelzung von innen und außen. Lediglich die als „Schlafkojen“ ausgeführten Betten sowie zwei kleine Bäder bieten Privatsphäre im „Buchli“ – so der Spitzname des Hauses, der von der einst unbebauten Wiese herrührt. Eine von der Decke abgehangene, offene Feuerstelle setzt einen plastischen Akzent inmitten des offenen Raums. Sie schafft ein visuelles Gegengewicht zur asymmetrisch versetzten Wendeltreppe, die vom Erdgeschoss zur Wohnebene hinaufführt.
Nadelfilz und Kautschuk
Der Boden wurde im Wohn- und Schlafbereich mit dem gleichen grauen Nadelfilz ausgelegt, der auch in den Büroräumen des Unternehmens zum Einsatz kam. In der Küche wurde Kautschuk verwendet, in den Bädern eine Mischung aus Kautschuk und Steinzeugfliesen. Sämtliche Schränke, Regale und Beistelltische sind aus dem USM Möbelbausystem Haller gefertigt. Bei den Sitzmöbeln fiel die Wahl auf Stahlrohrklassiker wie den Fauteuil Grand Confort von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand (heute LC2 von Cassina), dessen außen liegende Trägerkonstruktion wie eine funktionelle Rückkoppelung zum USM Möbelbausystem Haller wirkt. Weitere Möbel sind das Sofa RH-306 von Robert Haussmann sowie die hinterbeinlosen Kragstühle von Mart Stam, die den als Esstisch genutzten USM Haller Tisch umringen.
Umbau zum Gästehaus
Als Wohnhaus diente das „Buchli“ bis in die frühen Nullerjahre, danach wurde es als Bürogebäude genutzt. 2015 bis 2019 erfolgte die Gesamtsanierung durch den Berner Architekten Philippe Castellan unter strenger Einhaltung des Denkmalschutzes. So wurden aufgrund von Korrosion beschädigte Stützen ausgetauscht. Die außen auf der Fassade aufliegenden Windverstärkungen wurden aufgearbeitet. Das filigrane Verglasungssystem mit Einbaustärken von lediglich 21 bis 22 Millimetern wurde beibehalten und mit neuem Isolierglas bestückt. Die in den Neunzigerjahren ausgebaute Feuerstelle wurde anhand von Fotos und Bauzeichnungen rekonstruiert.
Seit Abschluss der Sanierung wird das „Buchli“ als Gästehaus des Unternehmens genutzt. Für das kulinarische Wohl sorgt die „Kochwerkstatt“ – eine von Atelier Oï umgebaute, ehemalige Schlosserwerkstatt auf dem Firmengelände, wo die Köche Urs Hauri und Christian Thierstein Gerichte aus regionalen und saisonalen Zutaten zubereiten. Auch wenn sich das USM Stahlbausystem im Wohnen nicht durchgesetzt hat – lediglich drei weitere Gebäude konnten von Fritz Haller mit dem schlauen Architekturbaukasten in der Schweiz realisiert werden: Mit seinen kurzen Bauzeiten, einfachen Umbaumöglichkeiten und einem schmalen Fußabdruck war das System nicht nur in den Sechzigerjahren seiner Zeit voraus. Es ist heute aktueller denn je.
FOTOGRAFIE USM
USM
Typologie | Wohnhaus, Gästehaus |
Ort | Münsingen, Schweiz |
Erbaut | 1969 |
Architekt | Fritz Haller |
Umbau | 2015-2019 |
Umbau-Architekt | Philippe Castellan |
Wohnfläche | 172,8 Quadratmeter (Obergeschoss) |
Materialien | Stahl, Glas |
Konstruktion | Modulbauweise |