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Dark Side Club 2012: Zweiter Abend

von Norman Kietzmann, 12.12.2012


Der zweiten Abend des Dark Side Clubs führte am 26. August in das Hinterzimmer des Restaurants Do Forni unweit der Piazza San Marco. In einem kleinen Raum, knapp 25 Quadratmeter groß, saßen die Salon-Gäste dicht gedrängt. „Die verschwimmenden Grenzen zwischen Kunst und Architektur“ lautete das Thema der Diskussion, die von Kjetil Thorsen (Snøhetta) geleitet wurde. Ein Auszug aus einem fast zweistündigen Gespräch über künstlerische Blutwurst, Architektur als darwinistischem Akt und den Sinn von David Beckham.



Kjetil Thorsen: Wir werden an diesem Abend weniger über Architektur sprechen, sondern vielmehr über ihre Sprache und die Wahrnehmung dieser Sprache. Das Thema basiert auf den Erfahrungen, die wir bei Snøhetta durch die gemeinsame Arbeit mit Künstlern in den letzten 25 Jahren gesammelt haben. Worüber wir reden, ist etwas anderes als „Kunst am Bau“. Als wir beispielsweise mit den Künstlern Kristian Blystad, Kalle Grude und Jorunn Sannes an der Dachgestaltung des Opernhauses von Oslo arbeiteten, wurde uns klar, dass das Dilemma der Autorenschaft immer größer wurde. Erleben wir einen baldigen Tod des Autors? Und was passiert durch eine andere Definition des Autors mit den Urheberrechten? Wem gehört, was dort geschaffen wurde?

Der Künstler Michel Journiac hatte in den sechziger Jahren eine Blutwurst angefertigt, die zum Kunstwerk wurde, indem er sie aus seinem eigenen Blut herstellen ließ. Der interessante Aspekt ist dabei die Definition über den Gebrauch. Schließlich wurde die Wurst erst in dem Moment zum Kunstwerk, als sie tatsächlich gegessen wurde. Auch das Dach der Oper von Oslo ist kein Kunstwerk, solange niemand über dieses Dach läuft. Der performative Aspekt von Architektur und Kunst trifft hierbei zusammen. Dabei ist die Kunst sogar zur Bedingung für die Architektur geworden: Denn aufgrund der geltenden Baubestimmungen hätten wir das Dach gar nicht bauen können, wenn wir es nicht vorab als Kunstwerk definiert hätten.

Patrick Schumacher: Schon in den sechziger Jahren wurde der Tod des Autors herbeigerufen. Aber wir haben ihn nicht erlebt, weil der Begriff die Kommunikation der Arbeit vereinfacht. Die Wahrnehmung des Autors entstand in der Renaissance. Vorher kannten wir weder die Namen von Architekten noch von Künstlern. Es ging darum, einen Standpunkt einzunehmen und Verantwortung für Innovation zu übernehmen. Indem man eine Situation interpretiert, etwas Neues einwirft und sich damit angreifbar macht: Genau darin besteht die Idee eines Autors, der somit zum Referenzpunkt für zukünftige Diskussionen wird. Natürlich gab es schon immer Zusammenarbeit mit anderen Beteiligten. Aber der Name des Autors ist vielleicht eine notwendige Abkürzung. Selbst dort, wo es viele Autoren gibt, wie bei medizinischen Untersuchungen, ist auf Formularen immer nur ein Kästchen zu finden, in das einer seinen Namen einträgt. Wir wissen, dass dahinter noch eine Reihe weiterer Zulieferer steht.  
....

Aaron Betsky: Architekten und Künstler sind keine Autoren. Autoren sind Leute, deren Arbeit auf Text basiert. Zumindest in der englischen Sprache. Die Autorenschaft in der Architektur oder Kunst gibt es dennoch, weil wir in einer Gesellschaft leben, deren Gesetze durch Worte definiert sind. Das Konzept der Urheberschaft dient allein der  Durchsetzung eines Urheberrechts. Auch gibt es einen essenziellen Unterschied zwischen dem, was Autoren produzieren und dem eigentlichen Machen, das eher eine Kombination von unterschiedlichen Kausalitäten ist. Aber in unserer Gesellschaft verlangen wir die Bestimmung eines einzelnen Machers aus rechtlichen wie aus gesellschaftlichen Gründen, um die Komplexität der Arbeit durch einen einzelnen Namen oder eine einzelne Persönlichkeit zu ersetzen.

Wir sehen, wie OMA und Rem Koolhaas Probleme damit haben, als Team wahrgenommen zu werden. In der Presse ist es dennoch der Name Rem, der überall erwähnt wird. Denn wir brauchen einen Autor. Wir brauchen eine Madonna oder einen David Beckham, auch wenn wir wissen, dass ein ganzes Fußballteam hinter ihm steht. Die Wahrnehmung eines einzelnen Machers ist eine künstliche Konstante, die aus unterschiedlichen kulturellen Gründen eingefordert wird. Auch aus der Logik der Produktion. Ich bin so gelangweilt von der Künstlichkeit der Debatte, was Kunst ist und was Architektur. Ich mag gar nicht daran denken. Wir werden auf bestimmte Weise ausgebildet, Verträge werden auf bestimmte Weise verhandelt, wir arbeiten auf bestimmte Weise und wir werden auf bestimmte Weise bezahlt. Das ist alles.

Patrick Schumacher: Ich widerspreche jedem Wort, das Du gesagt hast. Als Architekten haben wir eine enorme rechtliche Verantwortung. Auch geht der Begriff des Autors über das Textuelle hinaus.

Bjarke Ingels:
Im Dänischen, auch im Norwegischen, bedeutet Autorenschaft „Opphavsrett“ (vergleichbar mit dem deutschen Wort Urheberrecht, Anm. d. Red.) Das hat nichts mit Schreiben zu tun. Es geht allein um die Herkunft, den Ursprung einer Idee.

Aaron Betsky: Worauf ich hinaus wollte, war die Frage, die ich mit der Biennale vor vier Jahren gestellt habe: Hat die Aktivität der Architektur oder des Designs tatsächlich noch länger eine zentrale Verankerung im tatsächlichen Machen?

Bjarke Ingels: Was wir nicht aus den Augen verlieren sollten, ist die Praxis. Denn Architektur ist Praxis. Die demokratische Idee von Snøhetta verwischt eine Lesbarkeit in einem Stilsinne. Man kann das als eine Schwäche oder als eine Stärke lesen.

Patrick Schumacher: Letztendlich beansprucht Snøhetta aber dennoch die Autorenschaft, weil der Name auf dem Umschlag steht.

Aaron Betsky (zu Bjarke Ingels): Es ist verrückt, dass du die Qualitäten eines demokratischen System würdigst. Du bist der aktuelle Rockstar der Architektur. Du hast gezeigt, wie dein Auftritt, deine Performance und Präsentation zur Wahrnehmung deiner Gebäude beiträgt. Ich hatte einen Studenten, der mir einen Text schrieb, wie Bjarke Ingels die Welt retten würde. Die der Architektur schrieb er darunter.

Bjarke Ingels: Das zeigt deine Qualitäten als Professor! Natürlich arbeiten wir vollkommen anders als Snøhetta. Wir sind mehr eine Leistungsgesellschaft als eine Demokratie. Ich sage immer, dass die beste Idee gewinnt. Wichtig ist nicht, von wem sie kommt, sondern, warum sie ausgewählt wurde und schließlich weiter verfolgt wird. Die Frage ist, wie sich die beste Idee in einer Gruppe von Individuen durchsetzt. Doch letztendlich bin ich es, der diese Entscheidung trifft.

Aaron Betsky: Das ist ein wichtiger Punkt. Deine Rolle ist damit die eines Herausgebers...

Bjarke Ingels: Eines Kurators, ja...

Aaron Betsky:
Frank Lloyd Wright hat sich selbst als Dirigenten eines großen Orchesters bezeichnet. Es gibt dafür andere Beispiele. Wir alle wissen, dass Rem (Koolhaas, Anm. d.R.) nicht zeichnen kann. Um sein Leben zu retten, hat er das besondere Talent, andere Leute zu finden. Ich habe ein Buch über James Gamble Rogers geschrieben, der auch nicht zeichnen konnte. Dennoch war er einer der erfolgreichsten Architekten in Amerika Anfang des 20. Jahrhunderts, weil er die besten Designer, die besten Zeichner, die besten Ingenieure und besten Baufirmen engagierte. Er wusste, wie man Golf spielt und Ideen auf dem Golfplatz verkauft. (...) Das zeigt die wirtschaftlich-soziale Revolution der Macher gegenüber dem klassischen Autor. Der Autor, egal wie sehr seine Arbeit redigiert wurde, steht er für jedes einzelne Wort, das von ihm autorisiert wurde. Bei Architekten, Designern oder Künstlern steht die Arbeit für die finale Präsentation eines Projektes.

Patrick Schumacher:
Aber auch die Architekten müssen alles unterzeichnen und die Verantwortung für jedes einzelne Detail und für jede einzelne Entscheidung übernehmen. Ich sehe darin keinen Unterschied. Die Frage ist eher, wie man das Problem einer doppelten Urheberschaft lösen kann. Wenn zwei Architekten wie Herzog & De Meuron etwas entwerfen, bleibt der Diskurs derselbe. Wenn Kjetil Thorsen und Olafur Eliasson den Pavillon für die Serpentine Gallery entwerfen, der eine Architekt, der andere Künstler, ist der Diskurs in der Kunstwelt ein vollkommen anderer als der unter Architekten. Dass so unterschiedliche Lesarten und Erfolgskriterien an ein und dasselbe Objekt getragen werden, ist verwirrend und faszinierend zugleich.
...

Aaron Betsky:
Es ist die Art und Weise, wie man bezahlt wird, die den Unterschied zwischen Kunst und Architektur ausmacht. Das ist alles.

Patrick Schumacher: Aber wenn Künstler Architektur machen und Architekten Kunst, ist die Motivation eine andere. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man sich selbst als Architekten oder Künstler bezeichnet, weil die Kriterien vollkommen anders sind. (...) Das schließt aber nicht aus, Interventionen von Künstlern wie Damien Hirst einzubringen, um die Architektur zu untergraben.

Bjarke Ingels: Damien Hirst würde doch nur überall seine farbigen Punkte setzen. Ich sehe das anders. Zwar stimme ich der unterschiedlichen Motivation zu. Die Kunst ist beobachtend und versucht, provokant zu sein. Die Architektur nimmt eine Perspektive ein, die auch den Nutzer involviert. Der Grund ist nicht der, dass sich der eine Künstler und der andere Architekt nennt. Es sind einfach zwei verschiedene Sachen.

Patrick Schumacher: Es sind zwei getrennte Diskurswelten. Nenn mir einen Architekt, dem eine doppelte Karriere als Künstler gelungen ist. Das ist heute nicht mehr möglich. Es gibt keine erfolgreichen Architekten und erfolgreichen Künstler mehr.

Bjarke Ingels: Das stimmt nicht. Steven Holl macht wunderschöne Aquarellzeichnungen.

Aaron Betsky: Er ist als Künstler fürchterlich!

Bjarke Ingels: Ich mag seine Aquarellzeichnungen wirklich sehr, weil sie die eigene Wahrnehmung erweitern. Wenn man es aus einer darwinistischen Perspektive betrachtet, haben sich aus den ersten Zellkulturen irgendwann Affen entwickelt, die Werkzeuge und dann die Architektur erfunden haben. Bis dahin war unser Leben von der Anpassung an die Natur bestimmt. Durch die Architektur haben wir Macht bekommen, uns die Natur anzupassen. Mir ist dabei vollkommen egal, ob etwas Kunst, Architektur, Kino oder Literatur genannt wird. Worauf es ankommt, ist doch, ob es das menschliche Projekt nach vorne bringt und den Planeten Erde zu einem besseren Ort zum Leben macht.

...

Es diskutierten: Jorunn Sannes, Bjarne Melgaard, Sir Peter Cook, Yael Reisner, Bjarke Ingels, Matthias Böttger, Paul Finch, Kim Nielsen, Johannes Schwaninger, Gunda Schwaninger, Gro Bonesemo, Aaron Betsky, Olafur Eliasson, Patrick Schumacher, Peter Trummer, Tom Kovac, Hernan Diaz Alonso, Oliver Salway.


Zurück zum ersten Abend des Dark Side Club 2012.
Was noch im Salon der Dunkelheit passierte, lesen Sie in unserem Special.


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Dark Side Club

www.darksideclub.org

Dark Side Club 2012

www.designlines.de

Dark Side Club 2010

www.designlines.de

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