Design Miami 2015: Lässige Prozesse
Fokus auf die Gegenwart: die exzentrischen bis bissigen Exponate der Sammlerschau unter Palmen.
Sammlerschau unter Palmen: Die 11. Ausgabe der Messe Design Miami hat das Handwerk in all seinen Facetten gefeiert. Der Prozess des Machens war dabei elementarer Bestandteil des fertigen Produkts. Auch einige exzentrische bis bissige Stücke waren im Trubel auszumachen, der den Fokus im Vergleich zur Schwestermesse Design Miami Basel stärker auf die Gegenwart verlegte.
Basel und Miami: Gegensätzlicher könnten die beiden Standorte kaum sein. Üben sich in der Schweiz selbst Milliardäre in Zurückhaltung, wird in Miami mächtig auf die Pauke gehauen. Unzählige Rolls-Royces und Ferraris drehten ihre Runden vor dem postmodernen Convention Center in South Beach – dem Schauplatz der Art Basel-Winteredition. Wie energetische Verstärker wirkten jene schweren Regen- und Gewitterwolken, die ab dem zweiten Previewtag regelrechte Wasserfälle über den Besuchern der weltgrößten Kunstmesse ausgossen. Der abendliche Partymarathon kam trotzdem wieder auf Hochtouren.
Palmen und Flamingos
Etwas ruhiger ging es beim Ableger Design Miami zu, für den zwei weiße Zelte direkt gegenüber vom Messeeingang errichtet wurden. Im Inneren trafen sich zumeist alte Bekannte. Schließlich waren fast alle Galerien auch im Juni auf der Schwestermesse Design Miami Basel präsent gewesen. Trotz aller Beständigkeit gaben sich die Aussteller Mühe, eine sichtbar lässigere Gangart als in der Schweiz einzuschalten: Weniger Klassiker der Moderne. Mehr zeitgenössische Stücke mit ironischem Unterton. Fast könnte man meinen, als ob die neue Grafik und Typografie der Messe auf die Auswahl der Produkte abgefärbt hätte. Deren Design stammt vom französischen Grafiker Pierre Le-Tan, der gängige Miami-Klischees wie Palmen, Flamingos und Art-déco-Gebäude in feine Handzeichnungen übersetzte – ganz ohne digitale Werkzeuge, doch dafür mit charmanten wie charaktervollen Unvollkommenheiten.
Hybride Heimat
Für eine Überraschung sorgten wieder einmal Fernando und Humberto Campana, die eine weitere Facette ihrer Heimat zum Thema gemacht haben: die farbenkräftigen und detailreichen Sattlerarbeiten aus dem Nordosten Brasiliens. Den Anstoß für diese Spezialisierung lieferten vor knapp einhundert Jahren berittene Nomaden, die bei den Handwerkern in der Region besonders prunkvolle und auffällige Sättel in Auftrag gaben. Ein Meister, der diese Tradition in der dritten Generation fortführt, ist der 75-jährige Espedito Seleiro. Die Campana-Brüder entwickelten mit ihm zusammen die Möbelkollektion Cangaço, die am Stand der Galerie Firma Casa aus São Paulo präsentiert wurde: bunte, von Zickzack- und Rocaillemustern überzogene Sessel, Stühle und Regale, die noch eine weitere Spezialität aus dem Nordosten Brasiliens einbringen: Flechtwerk in bester Tradition der Wiener Kaffeehausstühle. Das Zusammenspiel der Elemente gleicht einer bunten, poppigen Melange, die beide Handwerkstechniken in die Gegenwart holt.
Animalische Möbel
Gleich ein weiterer Hingucker der Campana-Brüder war am Stand der New Yorker Galerie Friedman Benda zu sehen. Das Sofa Pirarucu wird von einem vergleichsweise braven Sockel aus dicht gestellten Bambusstämmen getragen. Darüber dienen quietschgelbe Häute von Knochenfischen als schriller Überzug – und lassen das kompakte Möbel wie einen bissigen Kommentar auf die belanglos weichgespülte Wirklichkeit der derzeitigen Möbelmessen erscheinen. Tierisch ging es auch am Stand der New Yorker Galerie R & Company weiter, die die Arbeiten eines weiteren designaffinen Bruderpaares präsentierte.
Einen Namen haben sich die Zwillinge Nikolai und Simon Haas aus L.A. mit ihren animalischen und sexuell aufgeladenen Möbeln gemacht. Ganz in diesem Sinne zeigen sich die Sessel, Bänke und Objekte aus der Kollektion Afreaks, für die die Brüder mit Stickerinnen – ihren „Haas-Sisters“ – aus einem Township in Südafrika kooperierten. Bei der Auswahl der Farben und Muster ließen sie den Handwerkerinnen freie Hand. „Wir geben den ‚Haas-Schwestern‘ eine Plattform, auf der sie ihre Stimmen als Künstlerinnen entwickeln können, ohne dass wir ihnen unsere eigenen Prinzipien auferlegen“, erklärt Simon Haas. „Uns ist es wichtig, die Kunst der Xhosa-Frauen aus dem üblichen Kontext der Touristenmärkte herausrücken“, fügt Nikolai Haas hinzu. Das alles wird mit einer Leichtigkeit und Nonchalance serviert, dass man die freundlichen Kreaturen einfach gern haben muss.
Sportive Möbel
Eine wohnliche Turnstunde wurde unterdessen nur wenige Meter weiter am Stand der Galerie Secondome aus Rom inszeniert. Das Mailänder Designer-Duo Alberto Biagetti und Laura Baldessari hat seine Kollektion Body Building als ein luxuriöses „Anti-Fitnessstudio“ konzipiert. Dessen Elemente sind zwar durchaus für Übungen geeignet, doch nicht unbedingt so, wie ihre Form suggeriert. Agnelli wirkt wie eine Gruppe von Turnringen, entpuppt sich jedoch als voluminöser Leuchter aus felleingefassten Neonringen. Cavallina Argento ist ein bequemes Sitzmöbel aus silber eingefärbtem Sattelleder, dessen Form an ein Turnpferd erinnert. Und hinter Yoga verbirgt sich ein lederner Teppich, dessen Muster die grafischen Markierungen von Turnhallen-Böden aufgreifen. Worum es hier geht? Ganz einfach: Indem das Funktionale in einer ästhetischen Grauzone verortet wird, sollen die Dinge umso stärker betrachtet, hinterfragt und ausprobiert werden. „Schluss mit dem stummen, unscheinbaren Objekt!“, ruft diese Kollektion dem Betrachter zu.
Asphalt in der Vertikalen
Das Spiel mit der Wahrnehmung verfolgte auch die New Yorker Galerie Chamber mit der Kollektion Black Gold von Quintus Kropholler. Ein Möbel, das jedes Architektenherz höher schlagen lässt, ist zweifelsohne der Paravent mit einer Beschichtung aus Asphalt. „Selbst in unserer technologisch getriebenen Gesellschaft blieb das Material weitgehend unverändert, und die Schönheit und sein Potenzial bleiben ungesehen“, erklärt der niederländische Gestalter. An der Schnittstelle von Architektur und Möbel steht ein Regal, das der Brite Joseph Walsh für die Londoner Galerie Sarah Myerscough entwarf. Ein Bündel Schichtholz ist von ihm gedreht, verzerrt und verbogen worden, bis eine kraftvoll-skulpturale Form entstanden ist, die an zwei gespannte Bögen erinnert. Auch hier ist in der Form der Prozess ablesbar – ein Kriterium, das hoch gehandelt wurde auf dieser Sammlerschau.
Fokus auf die Gegenwart
Gewiss, auch diesmal waren die üblichen Verdächtigen zu sehen: Die Pariser Galerie Patrick Seguin präsentierte erneut ein transportables Haus von Jean Prouvé aus dem Jahr 1939. Die New Yorker 1950 Gallery setzte die Leuchten Serge Mouilles (um 1960) in Szene, während die Galerie Jousse Entreprise aus Paris das Sofa Déclive von Pierre Paulin präsentierte – von dem insgesamt nur drei Stück existieren. Dennoch lag der Fokus dieser Messe nicht mehr ganz so eindeutig auf der Vergangenheit wie sechs Monate zuvor in Basel. Das Wohnen soll wieder Spaß machen und über das fast schon zwanghafte Abarbeiten am Erbe der Moderne hinausgehen. Dass die Besucher mit dieser Botschaft in den abendlichen Rummel der Palmenstadt entlassen wurden, konnte auch als hoffnungsvoller Indikator für die kommenden Möbelmessen gelsen werden.