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Die Architektur einer Messe

Der Salone, für Designer ein Muss, für Architekten eine nette Abwechslung. Und manche bringen sogar etwas mit: Bühnen für Möbel.

von Jeanette Kunsmann, 20.04.2016

Für Designer ist der Salone del Mobile ein Muss, für Architekten eine willkommene Abwechslung. Doch auch letztere sind seit einigen Jahren mehr und mehr beruflich hier – und wer keinen Stuhl oder Tisch vorstellt, bringt eine Bühne nach Mailand: den Messestand.

Rem Koolhaas war sicher nicht der Erste, aber er hat die Aufgabe mit einem gewissen Stolz etabliert. Und so kam es, dass seine Messestände für den Möbelhersteller Knoll International auch immer im experimentellen Kontext verortet waren, eher als Kunst- und Architekturausstellungen dienten als für schnöde Produktpräsentation. Wobei Dienen ein gutes Stichwort ist. Sind Möbel aus Sicht des Architekten oft ein nötiges Übel innerhalb der gebauten Architektur, wird Architektur hier auf der Messe zu ihrer Bühne, zum Diener des Möbels. Ein Paradox der Messearchitektur. Wenngleich die Rolle des Architekten durchaus im klassischen Sinne Wirkung zeigt – was auf dem diesjährigen Salone del Mobile wieder auf den Ständen vieler Hersteller zu sehen war.

Allen gemein ist offenbar eine besondere Bindung zwischen Auftraggeber und Architekten sowie eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe – denn auch wenn die Rollen eindeutig verteilt sind, profitieren alle Beteiligten. Bei OMA und Knoll zeugen die Messeauftritte von einer gewachsenen Kontinuität. Seit 2013, dem 75-jährigen Firmenjubiläum von Knoll, pflegen beide Partner ihre Kooperationen, die mit dem OMA-Counter Tools for Life begann.

Vom Möbel zum Messestand: Was passt da besser, als Architektur und Design als ein verbindendes Gesamtkunstwerk zu verstehen? Für den diesjährigen Messeauftritt This is Knoll überrascht OMA mit einem wahren Feuerwerk zwischen Mies van der Rohe und postmoderner Materialcollage, zwischen Travertin und gefärbter Spiegelwand. Für die Rotterdamer Architekten ist der neue Stand, der die vorigen Knoll-Stände mit ihren berühmten Vorhängen (eine enge Zusammenarbeit mit Rem Koolhaas Lebensgefährtin Petra Blaisse und ihrem Studio Inside Outside) ablöst, eine „hypermoderne Version“ von Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon.

Mit diesem offensichtlichen Blick in die Architekturgeschichte und der Ikone der Moderne als Referenz sorgt OMA auf der Möbelmesse natürlich für Aufsehen. Durch die diagonale Standaufteilung öffnet sich der Stand zur Messeumgebung, schafft aber auch einzelne Raumsituationen, in denen die Möbelneuheiten präsentiert werden: eine kluge Inszenierung mit einer perfekten Bühne, für die die Architekten gleich die passende Choreographie bedacht haben. Rem Koolhaas und sein Team treiben das Spiel auf die Spitze, sodass auch die Statue Morgen von Georg Kolbe nicht fehlen durfte. Und sie gehen ins Detail: Dass der temporäre Messestand zu Teilen weitaus besser ausgeführt wurde als die im vergangenen Jahr eröffnete Fondazione Prada, beruht vielleicht auf den zur Verfügung stehenden Budgets.

Auch der Messestand von dem italienischen Hersteller Cassina wirft einen sehnsüchtigen Blick zurück in die Moderne. Artdirektorin Patricia Urquiola bedient sich dabei ebenfalls eines temporären Pavillons als architekturhistorische Referenz – in diesem Fall aus dem Jahr 1955: Der Sonsbeek Pavilion, entworfen von dem Architekten und Designer Gerrit Rietveld für die Skulpturenausstellung im Arnheimer Sonsbeek-Park. Ähnlich wie der Barcelona-Pavillon wurde auch diese Ikone rekonstruiert und konnte 1965 auf Initiative einiger niederländischer Architekten im Skulpturengarten des Kröller-Müller Museums mit dem neuen Namen Rietveld Pavilion wiedereröffnet werden.

Für Cassina spiegelt der Rietveld Pavilion perfekt den Charakter seines minimalen und erkennbaren Designs wider. Mit seinen vielen Räumen bildet er eine als Wohnhaus inszenierte Bühne mit insgesamt 900 Quadratmetern Fläche. Dass der wiederbelebte Rietveld-Bau als Messestand einen passenden Rahmen für die ausgestellten Möbel bietet, liegt nahe: Cassina hat 2016 nicht nur Rietvelds Utrecht Armchair mit neuen Polstermustern wiederaufgelegt, auch den berühmten Rot-Blauen-Stuhl von 1917 gibt es dank Cassina 100 Jahre später auch in Schwarz-weiß-grün. Der Rietveld Pavilion ist zum Glück in den Farben des Originals gemauert worden, auch wenn die Steine auf der Möbelmesse in Mailand aus Styropor waren. Merke: Bereits rekonstruierte, einst temporäre Bauten der Moderne lassen sich bestens beliebig reproduzieren.

David Chipperfield geht für seinen diesjährigen Messestand der norditalienischen Möbelfirma Driade weiter zurück in der Geschichte: nämlich in die Antike. Inspiriert von einer Villa in Pompei zeigt sich sein Messestand pur und minimal. Man erkennt die Handschrift David Chipperfields nur, wenn man weiß, dass der britische Architekt, der seit 2014 Artdirektor bei Driade ist, die Struktur gestaltet hat. Oder wenn man den Driade-Showroom in der Mailänder Via Borgogna kennt, der mit seinen hellgrauen Oberflächen eine ähnliche Farbigkeit besitzt.

Die finnische Marke Artek pflegt mit dem Berliner Büro Kuehn Malvezzi eine eingespielte Zusammenarbeit, wenn es um die Gestaltung ihrer Messestände geht.

Da Kuehn Malvezzi sowohl Ausstellungen konzipieren und kuratieren, als auch selbst Möbel entwerfen, treffen bei dieser Kooperation ähnliche Verständnisse von Architektur, Kunst und Technik zusammen. Bereits 2015, zum 80-jährigen Firmenjubiläum von Artek, hatten Kuehn Malvezzi für den finnischen Möbelhersteller einen klaren, reduzierten Messestand gestaltet. 2016 wird es etwas bunter bei Artek: Das Team überzeugt mit einer kräftigen Farbkombination aus Königsblau und Weiß. Wände und Böden bilden dabei eigene Raumecken, die wie ein auseinandergeschnittenes und -geschobenes Ganzes wirken. Zu sehen sind hier nur wenige Neuheiten, wie die neuaufgelegte Kiki-Kollektion von Ilmari Tapiovaara. Im Zentrum steht eine Ausstellung von Aaltos Holzverformungsexperimenten.

Arper ist neben Kartell eine der wenigen Firmen, die sich mit einem introvertierten Stand von der Messe abkapseln und so einen wirklich abgeschlossenen und dadurch ruhigen Raum schaffen. 1989 gegründet, arbeitet die italienische Möbelfirma nun seit 16 Jahren eng mit dem Büro Lievore Altherr Molina aus Barcelona zusammen. Resultat dieser Kooperation sind neben den vielen gelungenen Möbeln auch die Messeauftritte von Arper, die das Studio Lievore Altherr Molina seit 2001 durchgehend betreut. Hier ist alles aus einem Guss: Architektur, Möbel, Corporate Design. Eine perfekte Symbiose.

„Anfangs haben wir selbst die Standarchitektur für alle Messen entworfen“, sagt die Designerin Jeannette Altherr, „dann aber, mit der zunehmenden Komplexität und Größe des Stands, einen Partner für die Architektur gesucht.“ So zeichneten 2009 die Mailänder Architekten Migliore & Servetto für die Gestalt des Arper-Standes verantwortlich, 2011 das New Yorker Studio SO-IL, während 2013, 2015 und in diesem Jahr das Büro 2x4 aus Madrid den Messestand konstruiert hat. Eine perfekte Aufteilung, denn Lievore Altherr Molina konnten sich so auf Creative Direction, Storytelling und die Präsentation der Möbel konzentrieren.

Dass Möbel in einer ihrer Bestimmung ähnlichen Umgebung inszeniert werden, erscheint als logische Konsequenz. Bleibt die Frage: Was interessiert die Stararchitekten an diesen Miniarchitekturen, die nach sechs Tagen wieder abgebaut werden? Dass die Konzeption von Messeständen für sie wirtschaftlich sinnvoll ist, kann dabei nur ein Aspekt sein. Vielleicht ist es mehr ein Zeichen für die wiedererlangte Erkenntnis, dass Architektur und Möbel zusammengehören. Das Paradox der Messearchitektur ist eine Erfindung der Postmoderne. Wir können es beweisen.

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