Koloman Moser: Der Universalgestalter
Visionär der Jahrhundertwende: die große Koloman-Moser-Retrospektive in Wien.
Er verband Malerei, Grafik, Design, Innenraumgestaltung, Mode und Bühnenbild zu einem Gesamtkunstwerk: der Wiener Gestalter Koloman Moser (1868-1918), dem das Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) zurzeit eine große Retrospektive widmet. Seine Wirkung reicht über seine Zeit hinaus. Selbst Oswald Mathias Ungers hat schon ein Hochhaus in Form eines Koloman-Moser-Blumenkorbes entworfen.
Wien war um 1900 der Mittelpunkt der zivilisierten Welt. Wer etwas in der Kunst und Kultur auf sich hielt, war dort oder kam zumindest so oft wie möglich vorbei. Paris war mächtig eifersüchtig auf die Konkurrenz an der Donau. Böse Zungen behaupteten sogar, in der Ville Lumière – immerhin die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts – würden langsam die Lichter ausgehen. Der Grund für den Aufstieg von Wien lag im Zusammenschluss der Künste, die sich um die Jahrhundertwende herum besonders stark befeuerten.
Motor und Netzwerker
Ein Name, der dabei immer wieder auftaucht, ist Koloman Moser. „Man würde diesen leidenschaftlichen Motor der Moderne heute als innovativen Erneuerer und begnadeten Netzwerker bezeichnen“, sagt Christoph Thun-Hohenstein, Generaldirektor des Wiener Museums für Angewandte Kunst (MAK), das die Arbeit von Koloman Moser noch bis Mitte April Revue passieren lässt. Die große Werkschau folgt dem Werdegang des gebürtigen Wieners in fünf chronologisch aufgebauten Kapiteln: vom Maler zum Allround-Gestalter und schließlich wieder zurück zur Malerei.
Nach seinem Malerei-Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien gehörte Koloman Moser 1892 zu den Mitbegründern des Siebener-Clubs, der als Keimzelle der Wiener Secession galt. Auch an deren Gründung 1897 war Moser beteiligt, der zwei Jahre später auf Wunsch von Otto Wagner an die Kunstgewerbeschule (die heute Hochschule für Angewandte Kunst) berufen und 1900 zum Professor für dekoratives Zeichen und Malen ernannt wurde.
Forderung nach Raumkunst
Der entscheidende Schritt erfolgte im Jahr 1903, als Koloman Moser zusammen mit dem Architekten Josef Hoffmann und dem industriellen Fritz Waerndorfer die Wiener Werkstätte gründete. Die Grenze zwischen Kunst und Kunsthandwerk, zwischen Malerei, Grafik, Möbel und Architektur sollte überwunden werden – ein Anspruch, der dazu führte, dass Moser 1905 zusammen mit Gustav Klimt und anderen Mitstreitern aus der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs austrat. „Wir forderten nämlich, daß nicht bloß rein malerische Ausstellungen veranstaltet werden, sondern auch der Raumkunst Gelegenheit zu selbständigen Veranstaltungen gegeben werde“, begründete er später in seiner Autobiografie Mein Werdegang diesen Schritt.
Aus der Fläche in den Raum
Erste Erfahrungen in der Gestaltung sammelte Moser 1901 mit der Ausstattung seines eigenen Hauses – das zum Türöffner für viele weitere Aufträge wurde. In der Wiener Ausstellung ist die Schlafzimmereinrichtung mit wandmontierten Kleiderschränken und Ablagen zu sehen. Schon hier fällt ein Dekor ins Auge, das Koloman Moser auch in den weiteren Jahren begleiten wird: das schwarze Quadrat, das er auf dem Boden zum Schachbrettmuster multipliziert. Im Falle des Schlafzimmers dient das Quadrat auch zur Hervorhebung der Türgriffe. Die Konturen der weißen Möbelkuben werden durch schwarz gestrichene Außenkanten betont, die den Möbeln grafische Klarheit und Eleganz gleichermaßen geben.
Ein Großprojekt der Wiener Werkstätte war die Ausstattung des Sanatoriums Westend in Purkersdorf 1904, bei dem Josef Hoffmann sehr eng mit Koloman Moser bei der Gestaltung der Möbel und Inneneinrichtung zusammenarbeitete. In der Eingangshalle wurden von Moser konzipierte Armlehnen-Sessel platziert, die mit ihren schachbrettartig verschlungenen Sitzflächen die Blicke auf sich zogen. Der Entwurf ist im Jahr zuvor für den Wiener Korbwaren-Produzenten Prag-Rudniker entstanden und gilt bis heute als bekanntestes Möbel von Koloman Moser.
Tassen, Dosen, Geldscheine
Dass sein Œuvre jedoch viel weiter gefasst ist, zeigt die Wiener Ausstellung mit rund 500 Exponaten, die zum Großteil aus der Sammlung der MAK stammen und mitunter erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Koloman Moser entwarf für die Wiener Werkstätte neben Möbeln und Leuchten auch Schalen, Dosen, Tassen, Untersetzer, Tabletts, Vasen, Kassen, Uhren, Kleider, Spiegel oder Kerzenleuchter. Bemerkenswert ist ebenso der Fokus auf Schmuck, darunter Ketten, Ringe, Broschen, Hutnadeln, Manschettenknöpfe oder Krawattennadeln, die in Gold, Silber und Email ausgeführt wurden. Selbst der offizielle 100-Kronen-Geldschein der Österreichisch-Ungarischen Staatsbank sowie Briefmarken für die Kaiserliche Königliche Österreichische Post stammen aus seiner Feder.
Verbindung zu Superstudio und Ungers
Zwischen 1904 bis 1906 entstand für die Wiener Werkstätte eine Serie von Arbeiten aus weiß gestrichenem Eisenblech, deren Oberflächen mit einem gleichförmigen Quadratmuster durchstanzt wurden. Die Vasen, Blumenständer, Körbe und Bonbonnièren wirken mit ihrem streng gerasterten Gitterwerk wie Architekturmodelle von Hochhäusern mit teils gigantomanischen Ausmaßen. Koloman Moser hat damit die Blaupausen geliefert für die Architektur-Dystopien der Sixties-Gruppe Superstudio bis hin zu realen Gebäuden: Das von Oswald Mathias Ungers entworfene und 1985 fertig gestellte Torhaus der Messe Frankfurt wirkt wie eine Eins-zu-Eins-Umsetzung eines Koloman-Moser-Blumenkorbes aus dem Jahr 1904.
Zurück zur Malerei
Mit ihren handwerklich sehr aufwändigen und daher auch sehr kostbaren Arbeiten erreichte die Wiener Werkstätte nur einen sehr kleinen Kundenkreis – ein Umstand, der Koloman Moser dazu veranlasste, 1907 aus dem Unternehmen auszutreten. Im Anschluss widmete er sich bis an sein Lebensende 1918 fast ausschließlich der Malerei. Das letzte Ausstellungskapitel Abschied von der Einheit der Künste gibt einen Überblick über dieses Spätwerk, mit dem Moser zum Ausgangspunkt seines Schaffens zurückkehrt. Es ist eine stilistische Reise, die inspiriert und zeigt, wie wertvoll der Blick über den Tellerrand der erlernten Profession sein kann: heute genau wie vor einhundert Jahren.
KOLOMAN MOSER. Universalkünstler zwischen Gustav Klimt und Josef Hoffmann, noch bis zum 22. April im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK)