Stories

Kreis im Spiel

Von wegen nur schrill und bunt: In der Hochphase des postmodernen Designs setzte Peter Maly auf klare Geometrien.

von Norman Kietzmann, 03.06.2014

Von wegen nur schrill und bunt: In der Hochphase des postmodernen Designs gestaltete Peter Maly eine Serie von Polstermöbeln, die mit klaren Geometrien Geschichte schrieb. Durch die Kombination aus runden Formen und verchromten Stahlgestellen erwies der Hamburger Gestalter nicht nur dem Bauhaus und der Wiener Werkstätte Referenz. Er meisterte den Spagat, den Zeitgeist zu bedienen und ihm im selben Atemzug zu entfliehen.

Alles ist eine Frage der Zeit. Galten die Möbel der fünfziger und sechziger Jahre lange als verlässliche Fundgrube für neue (alte) Designideen, stehen nun auch die wilden Achtziger im Fokus. Nicht nur zur diesjährigen Mailänder Möbelmesse feierten die frühen Arbeiten von Michele de Lucchi, Matteo Thun oder Nathalie du Pasquier eine Wiederkehr. Auch die Jungdesigner lassen es sich derzeit kaum nehmen, mit unverkennbaren Referenzen an die Memphis-Ära aufzuwarten. Doch so italienaffin die Rückblende zunächst erscheint. Auch an Deutschland ist die Postmoderne keineswegs spurlos vorbeigegangen. Als die Gute Form plötzlich nicht mehr gut genug war, musste mit dem bisherigen Kurs auf radikale Weise gebrochen werden. 

Radikaler Umbruch
Zeitgleich entstanden im Jahr 1983 in Deutschland zwei Möbel, die unterschiedlicher kaum sein könnten und dennoch den Sprung in den Designbücher geschafft haben. Auf der einen Seite steht ein Readymade: Consumer‘s Rest Lounge Chair von Frank Schreiner alias Studio Stiletto ist ein gewöhnlicher Einkaufswagen aus dem Supermarkt, den Schreiner durch Auftrennen der Vorderseite und Verbiegen der beiden Seitenteile in einen Freischwinger verwandelte. Um den mangelnden Sitzkomfort auszugleichen, wurde die Innenseite des „Möbels“ mit einer weichen, transparenten Kunststofffolie verkleidet – ein Material, das zu diesem Zeitpunkt nur in der Industrie Verwendung fand. 

Brachte Schreiner den Einkaufswagen durch das Entfernen der Räder zum Stillstand, ging Peter Maly den umgekehrten Weg. Zyklus heißt der Sesselklassiker, den der Hamburger Gestalter für Cor entwickelt hatte, und der – anders als Consumer‘s Rest Lounge Chair – kein Objekt für Sammler blieb. Bis heute wird das Möbel in Serie produziert und hat seine Alltagstauglichkeit unter Beweis gestellt.


Von der Puppenstube ins Wohnzimmer
Bereits der Ausgangspunkt des Entwurfs war ungewöhnlich. Schließlich diente als Vorlage ein Puppensessel von Peter Malys Tochter. Mithilfe eines strengen Neun-Zentimeter-Rasters wurde das Spielzeug Stück für Stück abstrahiert und modifiziert, bis es seine namensgebende, kurvige Gestalt erhielt. Anstelle frei mäandernder Formen setzte Peter Maly auf eine stringente innere Logik. Ganz gleich, ob die konvex gekrümmten Rückenlehnen und Sitzflächen oder die aus gebogenem Stahlrohr gefertigten Armlehnen: Sämtliche Rundungen bilden exakte Ausschnitte von Kreisen und treten so den kubischen Proportionen der Architektur entgegen.

„Die Form ist strengste Geometrie und dennoch sehr organisch. Das ist ein merkwürdiger Widerspruch. Aber gut, der Kreis ist dem Körper schon näher als das Quadrat “, erklärt Peter Maly seinen Entwurf. Einen i-Punkt setzte er ihm gleich auf doppelte Weise: Sowohl die zylindrische Kopfstütze als auch die beiden Räder, auf denen die Hinterbeine ruhen, folgen der vollständig ausgeführten Kreisform. Die übrigen Bauteile sind ebenso exakt proportioniert. So bilden Rückenlehne und Sitzfläche jeweils einen Halbkreis, während die stählernen Armlehnen einen Viertelkreis ausführen.

Schrittweise Argumentation
Für den Designer wie auch den Hersteller markierte der Entwurf eine gestalterische Neuausrichtung. „Cor hat zu dieser Zeit hauptsächlich Vollpolstermöbel produziert. Und dann kam plötzlich so ein filigranes Gerät mit einer Stahlstruktur auf Rollen daher. Das war schon ein großer Schritt“, sagt Peter Maly. Um Händler und Kunden von der neuen Formensprache zu überzeugen, unternahmen Helmut Lübke und Maly eine mehrmonatige „Aufklärungstour“ durch alle wichtigen deutschen Städte. Während Zeichnungen an den Wänden den Entwurfsprozess illustrierten, beschrieben der Unternehmer und der Designer den ausgestellten Sessel in Worten.

Zwischen Bauhaus und Wiener Werkstätte
Der Erfolg von Zyklus ebnete den Weg für eine Gruppe weiterer Polstermöbel in den frühen neunziger Jahren, denen ebenso die Kreisform zugrunde lag. Das Sofa Cirrus (1992) sorgte mit seinen seitlich drehbaren Rückenlehnen für einen spielerischen Auftritt. Beim Sessel Pando (1992) konnte die Sitzposition durch Gewichtsverlagerung stufenlos variiert werden. Und 1998 folgte mit Circo der „kleine Bruder“ des Zyklus. Der drehbare Sessel verfügt über eine kreisförmige Sitzfläche und wird von einer wahlweise gepolsterten oder gegurteten Rückenlehne umschlossen, die wiederum selbst einen Halbkreis bildet. 

Indem Peter Maly runde Formen mit verchromten Stahlgestellen kombinierte, erwies er nicht nur dem Bauhaus Referenz. Vor allem in der schwarz-weiß gegurteten Version des Circo, bei dem die Rückenlehne einem Schachbrettmuster gleicht, tritt ein weiterer Einfluss des Hamburger Gestalters zutage: die Wiener Werkstätte unter Josef Hoffmann. „Der Quadratle-Hoffmann war mir immer sehr sympathisch und sicher eines meiner Vorbilder, wie später auch Mies van Rohe“, sagt Peter Maly. 

Weiterhin aktuell
Dass Zyklus und Circo bis heute produziert werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Schließlich ging es vielen postmodernen Möbeln an den Kragen, als in den späten neunziger Jahren die Zeichen ganz auf Minimalismus standen. Der Grund für den Erfolg von Peter Malys Entwürfen liegt genau an dieser Stelle: Sie meistern den Spagat, den Zeitgeist zu bedienen und ihm im selben Atemzug zu entfliehen. Auch wenn die Herkunft des Zyklus unverkennbar in den achtziger Jahren liegt, wirkt das Möbel keineswegs veraltet. Dieser Umstand ließe sich ebenso auf die inzwischen eingestellten Modelle Cirrus und Pando übertragen. „Wir überlegen, ob wir die Entwürfe als Edition der achtziger Jahre wieder auflegen“, erklärt Peter Maly. Der Zeitpunkt wäre dafür jedenfalls richtig gewählt.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Studio Peter Maly

Design und Innenarchitektur

www.peter-maly.de

Cor Sitzmöbel

www.cor.de

Mehr Stories

Best-of Raumausstattung 2024

Neue Tapeten, Farben & Textilien

Neue Tapeten, Farben & Textilien

Formal-Informal

Ligne Roset editiert Michel Ducaroys Polsterprogramm Kashima

Ligne Roset editiert Michel Ducaroys Polsterprogramm Kashima

CO2-Neutral und plastikfrei

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Perfekte Imperfektion

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Der Ikea-Effekt

Wenn aus Arbeit Liebe wird

Wenn aus Arbeit Liebe wird

Best-of Outdoor 2024

Möbelneuheiten für das Wohnen unter freiem Himmel

Möbelneuheiten für das Wohnen unter freiem Himmel

Ein Herz für Vintage

Wie der Hersteller COR gebrauchte Möbel neu editiert

Wie der Hersteller COR gebrauchte Möbel neu editiert

Kuratierter Kraftakt

Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Die Macht der Visualisierung

Wie Raumplanungen digital zum Leben erweckt werden

Wie Raumplanungen digital zum Leben erweckt werden

Best-of Tableware 2024

Neuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch

Neuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch

Ein Kessel Buntes in Paris

Die Neuheiten von Maison & Objet und Déco Off 2024

Die Neuheiten von Maison & Objet und Déco Off 2024

Skandinavische Designtradition

Das schwedische Unternehmen Kinnarps im Porträt

Das schwedische Unternehmen Kinnarps im Porträt

Dimensionen der Weichheit

Neuheiten von der imm cologne 2024

Neuheiten von der imm cologne 2024

Bühne für den Boden

Vorschau auf die Domotex 2024

Vorschau auf die Domotex 2024

Was darf ich für Dich tun

KI – Künstliche Intelligenz oder Kreative Invasion?

KI – Künstliche Intelligenz oder Kreative Invasion?

Wrestling & Fabelwesen

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Alles auf einmal

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Breite Eleganz

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Alles auf eine Bank

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Homeoffice im Wandel

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 2

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 2

Blick ins Homeoffice

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Ruf der Falte

Paravent-Ausstellung in der Fondazione Prada Mailand 

Paravent-Ausstellung in der Fondazione Prada Mailand 

Best-of Fliesen 2023

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Sinn für Leichtigkeit

Alberto-Meda-Ausstellung in der Mailänder Triennale

Alberto-Meda-Ausstellung in der Mailänder Triennale

Bunte Becken

Die Colour Edition von DuPont Corian

Die Colour Edition von DuPont Corian

Wohnliche Exzentrik

Fabian Freytag gewinnt Best of Interior Award 2023

Fabian Freytag gewinnt Best of Interior Award 2023

Ton, Steine, Onyx, Wachs

Die Neuheiten der Fliesenmesse Cersaie 2023 in Bologna

Die Neuheiten der Fliesenmesse Cersaie 2023 in Bologna

Wohnliche Technik

Smart-Home-Lösungen von Gira zwischen Hightech und Hygge

Smart-Home-Lösungen von Gira zwischen Hightech und Hygge

Leben im Ommm

Die Verbeigung des Wohnraums ist Farbtrend und Gefühls-Seismograph

Die Verbeigung des Wohnraums ist Farbtrend und Gefühls-Seismograph

50 Jahre Togo

Ligne Roset feiert das Kultsofa der siebziger Jahre

Ligne Roset feiert das Kultsofa der siebziger Jahre