Virgil Abloh vs. Dieter Rams
Zwei Designikonen in neues Licht gerückt
Zum 100. Firmenjubiläum legt Braun die von Dieter Rams gestaltete Wandanlage Hifi System wieder auf – in einer Kooperation mit dem Modedesigner und Streetwear-König Virgil Abloh. Auch ein Wecker erstrahlt in leuchtenden Farben.
Zugegeben, Dieter Rams und Hip-Hop-Kultur in einen Topf zu werfen, klingt etwas überraschend. Doch genau das ist das Ziel von Kooperationen, deren unangefochtener Meister derzeit Virgil Abloh ist. Der Gründer des Labels Off-White, Chefdesigner der Louis-Vuitton-Herrenkollektion und derzeit hippster Name des Modeuniversums, hat einen Master in Architektur am Illinois Institute of Technology in der Tasche. Der parallele Blick vom Mode- ins Produktdesign liegt daher nahe. Bisher hat der 40-Jährige mit Vitra, Ikea, Baccarat, Mercedes-Benz sowie den Designgalerien Carpenters Workshop und Kreo zusammengearbeitet. Der neueste Coup ist ein Projekt mit Braun, jenem Elektrohersteller, den Dieter Rams in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zur weltweit tonangebenden Marke verwandelt hat.
Wiedergeburt einer Legende
Viel ist von Rams’ Erbe nicht geblieben. Die stilprägende Audiosparte von Braun wurde 1991 eingestellt. Und die heutigen Rasierapparate und Küchengeräte gehorchen keineswegs mehr der puristischen Designdoktrin des Meisters, sondern wirken leider etwas beliebig. Lediglich die Uhren und Wecker stammen noch aus seiner Feder, ebenso wie die leicht modifizierte Zitronenpresse. Klangaffine Designenthusiasten müssen seit Dekaden antiquarisch auf die Suche gehen, um einen echten Rams zu ergattern. Genau damit ist nun Schluss. Denn pünktlich zum 100. Firmenjubiläum wird die ikonische Wandanlage Hifi System neu aufgelegt. Nicht eins zu eins wie zum Entstehungsjahr 1965, sondern in einer sorgsam modifizierten Form.
Kodierter Glanz
Genau hier kommt Virgil Abloh ins Spiel. Unter dem neuen Namen Functional Art hat er die Anlage mit einer verchromten, statt wie im Original rein matten Aluminiumoberfläche ausgestattet. Der Unterschied ist enorm. „Der Chromeffekt erlaubt diesem ‚funktionalen Kunstwerk', sich in einen Spiegel zu verwandeln, der wie ein Fenster in die Vergangenheit wirkt“, erklärt Virgil Abloh. Das glänzende Material ist für ihn ein Zeichen des Aufbruchs und der Erneuerung. Schon die Bauhaus-Stahlrohrmöbel waren verchromt. Die US-amerikanischen Autos der Fünfzigerjahre mit ihren aerodynamischen Flügeln ebenso. Und in der Hip-Hop-Kultur gelten Grills als Statussymbol: aus glänzendem Metall gefertigte Blenden, die den oberen, unteren Zahnreihen vorgelagert werden.
Nun kann man natürlich einwenden, dass sich Dieter Rams mit Bling-Bling nie eingelassen hätte. Doch Abloh und seine in London ansässige Kreativagentur Alaska Alaska haben gründlich in den Braun-Archiven recherchiert und einige überzeugende Referenzen gefunden: den Rasierer SM31 aus dem Jahr 1962 und den Toaster HT2 von 1963. Auch sie standen für Fortschritt und Veränderung: in Materialität und Form greifbare Modernität. Virgil Abloh hat das glänzende Gewand nun mit der Anlage Hifi System gepaart. Und es steht ihr ausgesprochen gut.
Mies van der Rohe und Jazz
„Das ‚funktionale Kunstwerk‘ hebt nicht nur die ursprüngliche Funktion der HiFi-Wandeinheit als bestes Audiogerät seiner Zeit hervor, sondern unterstreicht auch die Qualität und die hochwertigen Materialien, die seine Langlebigkeit gewährleisten. Es erbringt hierbei den Beweis, dass gutes Design einfach, nützlich und langlebig ist“, so Virgil Abloh. Zur Präsentation der Anlage wurde ein Film gedreht. Nicht irgendwo, sondern in Mies van der Rohes berühmten Farnsworth House. Auch die Musik hat der gelegentlich als DJ auftretende Designer beigesteuert. „Der Track wurde in Zusammenarbeit mit The Chopstars, den epochalen Sounddesignern aus Houston, konzipiert. Das Ergebnis sind zerlegte und neu zusammengefügte Jazz-Klassiker. Für mich verkörpert dieser Track den Braunschen Ethos von gutem Design – es ist zeitlos und dazu gedacht, über viele Jahre hinweg geschätzt und genossen zu werden“, sagt Virgil Abloh.
Rotierender Klang
Natürlich ist diese Strategie nicht neu. Alle Möbeldesignmarken geben ihren Klassikern ab und an ein farbliches Update, um den Anschluss an den Zeitgeist nicht zu verlieren. In diesem Fall jedoch ist ein Produkt zu neuem Leben erweckt worden, das seit mehr als vier Dekaden vom Markt verschwunden war. Ein interessanter Nebenaspekt ist die Rehabilitierung einer totgeglaubten Technologie: Denn das Modul, das durch die vertikale Verbindung zum tiefer platzierten Plattenspieler prominent hervorgehoben wird, ist ein Tonbandgerät. Die Rotation der beiden großformatigen Rollen übersetzt den Klang in eine visuelle Sprache und erlaubt eine Lesbarkeit der Zeit – je nachdem, wie viel Band bereits gespielt wurde. Eine audiophone Uhr, wenn man so will. Die Wandanlage wird in Kürze in limitierter Edition erhältlich sein.
Farbige Impulse
Bereits jetzt kann über die Online-Shops von Braun und Off-White der zweite Teil der Kooperation geordert werden: der 1987 von Dieter Rams und Dietrich Lubs gestaltete Wecker BC02. Dieser wird nun in zwei Sonderfarben und einem Co-Branding mit Ablohs eigenem Label editiert: in leuchtendem Orange sowie einem hellen, leicht ins Gräuliche tendierenden Blau. „Die Farben stechen bewusst aus dem Kontext jeder Inneneinrichtung heraus und markieren diese Objekte“, bringt Virgil Abloh die Wirkung auf den Punkt. Den Griff in den Farbtopf hat übrigens auch Dieter Rams in den Siebzigern vollzogen, als verschiedene Braun-Haushaltsgeräte in leuchtenden Rot-, Gelb- und Orangetönen erhältlich waren. Das Spiel mit der Oberfläche gehört also mit dazu – auch für die, die sich der Oberflächlichkeit stets entzogen haben.