Stories

Dysfunctional: Designausstellung in Venedig

An der Schnittstelle von Skulptur und Gebrauchsobjekt: Eine Ausstellung im Palazzo Cà d‘Oro in Venedig.

von Norman Kietzmann, 15.05.2019

Zur Kunstbiennale in Venedig hat im Palazzo Cà d‘Oro am Canal Grande die Ausstellung Dysfunctional eröffnet. Die Galerie Carpenters Workshop zeigt dort mehr als 50 Arbeiten an der Schnittstelle von Skulptur und Gebrauchsobjekt. Zu den 23 beteiligten Gestaltern zählen Namen wie Maarten Baas, Studio Drift, Mathieu Lehanneur und Virgil Abloh – Louis-Vuitton-Designer, Instagram-Star und Streetwear-König. 

Während der Kunstbiennale in Venedig mischt auch die Mode kräftig mit. Die Fondazione Prada stemmt die erste Retrospektive von Jannis Kounellis nach dem Tod des 2017 verstorbenen Vorreiters der Arte Povera. Die Fondation Louis Vuitton zeigt Arbeiten des französischen Künstlers und Filmemachers Philippe Parreno. Neu in der Lagune ist hingegen die Anwesenheit von limitierten Designobjekten. 
Kunstsinniger Baron
Das Konzept der hochpreisigen Sammler-Editionen am Übergang von Kunst und Design ist längst etabliert. Und doch ist hier vor allem der Kontext ungewöhnlich. Die Arbeiten werden inmitten der Kunstsammlung des 1922 verstorbenen Barons Giorgio Franchetti gezeigt. 1895 hatte er den Palazzo Cà d‘Oro erworben, um dort Werke von Tiziano, Van Dyck und Mantegna zu zeigen. Der Bau am Canal Grande stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert und gilt als wichtiges Werk der venezianischen Gotik am Übergang zur Renaissance. Franchetti restaurierte den heruntergekommenen Palast und vermachte ihn 1915 zusammen mit seiner Sammlung dem italienischen Staat. Der kunstsinnige Baron war sogar selbst als Gestalter tätig und hat im Erdgeschoss ein aufwändiges Mosaik anlegen lassen – wohl wissend, dass dieser Bereich des Hauses regelmäßig vom winterlichen Hochwasser überflutet wird. 
Räumliche Symbiose 
„Das Mosaik ist ein Meisterwerk. Daher wollten wir es nicht übertrumpfen, sondern eine Eintracht erzeugen“, sagt Julien Lombrail beim Rundgang durch die Ausstellung. Er ist Mitgründer der Galerie Carpenters Workshop, die er 2006 mit Loïc Le Gaillard in London eröffnete. Im Erdgeschoss fällt vor allem der Leuchter Inside A Forest Cloud von Nacho Carbonell ins Auge. „Wenn man in diesen Raum eintritt, schaut man direkt hinaus auf den Canal Grande. Diese Verbindung wollten wir beibehalten. Darum haben wir den Leuchter in der Mitte etwas erhöht, damit er den Ausblick regelrecht umrahmt“, erklärt der spanische Gestalter. Die Leuchtkörper werden von offenen Netzstrukturen umschlungen, die aus Bronze und Glas gefertigt sind und mit den Mustern und Farben des marmornen Mosaikbodens korrespondieren. 
Symbol des Aufbruchs
Das zentrale Werk im Palazzo Cà d’Oro ist das Gemälde San Sebastiano von Andrea Mantegna aus dem Jahr 1506. „Giorgio Franchetti hat es von einem Sammler gekauft und dafür fast genauso viel bezahlt wie für den gesamten Palazzo. Es gibt eine lateinische Inschrift, die sagt, dass nur das Göttliche stabil und alles andere in Bewegung ist. Es ist also ein Vanitas-Motiv, was für die Renaissance sehr ungewöhnlich ist. Es war ja eine sehr optimistische und keine tragische Epoche“, sagt die Direktorin des Cà d’Oro-Museums, Claudia Cremonini. Es war ihre Idee, an dieser Stelle eine eigens für Venedig angefertigte Neuauflage des Fragile Future Chandelier von Studio Drift auszustellen. „Die LEDs haben wir mit echten Löwenzahn-Samen beklebt. Sie sind fagil und damit auch ein Vanitas-Motiv. Doch zugleich verkörpern sie ein Symbol des Aufbruchs und des Neuanfangs“, erklärt Studio-Drift-Mitbegründerin Lonneke Gordijn. 
Auf Mond-Fühlung 
Vergänglichkeit offenbart zugleich die Serie Moments of Happiness von den Verhoeven Twins. Auf den ersten Blick erinnern die Arbeiten an Seifenblasen, die jeden Moment zerplatzen könnten. Dabei sind sie mitsamt irisierender Farbverläufe aus Glas gefertigt. Doch nicht alle Sammlerstücke sind aus hochwertigen Rohstoffen oder durch handwerkliche Raffinesse entstanden. Für den Leuchter Tide Colour von Stuart Haygarth reicht selbst Plastik-Müll, den er an verschiedenen Stränden aufgesammelt hat. „Meine Arbeit dreht sich um das Erheben von Dingen, die sonst eher übersehen werden. Die Farben der Kunststoff-Abfälle sind eine Referenz an das bunte Murano-Glas. Die Kugel-Form der Leuchte lässt an den Mond denken. Er bestimmt die Gezeiten, durch die der Müll an die Küsten gespült wird“, erklärt der Londoner Gestalter, der seine Leuchten-Unikate auch aus gefundenen Brillen, Autospiegeln oder Partyknallern konstruiert. 
Dualität der Gegenwart 
Im zweiten Obergeschoss öffnet sich der Palazzo Cà d’Oro zu einer Loggia, deren Maßwerk an den Dogenpalast am Marktplatz erinnert. Hier werden Stühle, Bänke sowie eine Leuchte aus der Serie Alaska Alaska von Virgil Abloh gezeigt. Sie stehen leicht schief, als würden sie langsam im Boden versinken. Der Louis-Vuitton-Designer und Gründer des hippen Streetwear-Labels Off-White sieht darin nicht nur ein Sinnbild für den Klimawandel, sondern ebenso die Dualität der heutigen Welt. Denn die Form der Shaker-Inspirierten Möbel ist haargenau der Stuhlserie Makerad entlehnt, die Abloh in diesem Jahr bei Ikea in Produktion bringt. Alles Zufall? „Der eine Stuhl ist eine limitierte Edition aus Bronze. Der hölzerne Ikea-Stuhl wird dieselbe Form haben, nur demokratischer und verfügbarer sein. Produktverständnis und Preispunkt sind sehr unterschiedlich. Und doch existieren sie zur selben Zeit“, sagt Virgil Abloh, der vor seinem Mode-Engagement Architektur studiert hat. In Venedig, so scheint es, sind die Dinge ständig im Fluss. 

Dysfunctional, bis zum 24. November 2019 im Palazzo Cà d’Oro in Venedig.


Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Carpenters Workshop Gallery

www.carpentersworkshopgallery.com

La Biennale di Venezia

www.labiennale.org

Mehr Stories

Digitale Werkzeuge in der Innenarchitektur

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Natursteinästhetik in Keramik

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Creative Britannia

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Auf stilvoller Welle

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Spektrum der Ruhe

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Rauchzeichen aus dem Abfluss?

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Design als kulturelles Gedächtnis

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Alles Theater

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Zurück zur Kultiviertheit

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Dialog der Ikonen

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Leben im Denkmal

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Mission Nachhaltigkeit

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Zwischen Zeitenwende und Tradition

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Spiel der Gegensätze

Best-of Outdoor 2025

Best-of Outdoor 2025

Outdoor mit System

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

ITALIENISCHE HANDWERKSKUNST

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Glas im Großformat

Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Surrealistische Vielfalt in Paris

Highlights von der Maison & Objet 2025

Highlights von der Maison & Objet 2025

Aus der Linie wird ein Kreis

Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

NACHHALTIGKEIT TRIFFT DESIGN

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

Flora und Fauna

Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Vom Eckkonflikt zum Lieblingsraum

Geschichte und Gegenwart des Berliner Zimmers in fünf Beispielen

Geschichte und Gegenwart des Berliner Zimmers in fünf Beispielen

Möbel als Kulturgut zelebrieren

COR feiert seinen 70. Geburtstag

COR feiert seinen 70. Geburtstag

Nachhaltig Platz nehmen

Vestre produziert die Sitzbank Tellus aus fossilfreiem Stahl

Vestre produziert die Sitzbank Tellus aus fossilfreiem Stahl

Historische Moderne

Best of Interior 2024 geht an das Studio AADA

Best of Interior 2024 geht an das Studio AADA

Design nach Wunsch

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Rendezvous mit Prouvé

Die Highlights der Design Miami Paris 2024

Die Highlights der Design Miami Paris 2024

Begehbare Kunstwerke, Teil 2

Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns

Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns

Westfälische Werte

Sitzmöbel von KFF aus Lemgo erobern die Welt

Sitzmöbel von KFF aus Lemgo erobern die Welt

Ikone der Moderne

Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur

Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur