XXII. Triennale: die Länderbeiträge
Die spannendsten Beiträge der 22 Nationen auf der XXII. Triennale.
22 Nationen sind mit eigenen Beiträgen auf der XXII. Triennale präsent, die vom 1. März bis zum 1. September in Mailand zu sehen ist. Das von Chefkuratorin Paola Antonelli gesetzte Thema Broken Nature: Design Takes on Human Survival wird von ihnen auf vielfältige Weise interpretiert. Wir haben die spannendsten Beiträge genauer unter die Lupe genommen – darunter auch von einem Land, das bisher noch gar nicht existiert.
Wenn sich Länder an einer Ausstellung beteiligen, wird es hoch offiziell. Die Mailänder Triennale untersteht dem Bureau International des Expositions, das 1928 in Paris gegründet wurde und sich auch um die Ausschreibung der Weltausstellungen kümmert. „Der Prozess ist sehr kompliziert und alles andere als unmittelbar. Der italienische Außenminister sendet eine Ankündigung zu all den Ländern und jedes Außenministerium muss zusagen und bestimmen, wer die Rolle des Kommissars übernehmen soll“, erklärt Paola Antonelli, Kuratorin der XXII. Triennale.
Der Auswahlprozess war von Rückschlägen keineswegs gefeit. „Nachdem wir die Regierungen kontaktiert hatten, gab es in mehreren Ländern Wahlen. Einige von ihnen wollten anfangs mitmachen, doch dann hat die neue Regierung die Gelder gekürzt“, sagt Paola Antonelli. Die Beiträge von Senegal und Kamerun sind damit in letzter Minute ausgefallen. Dennoch sind mit Kuba und Haiti zwei Länder vertreten, die nur sehr selten an internationalen Ausstellungen teilnehmen und etwas frischen Wind in das Gefüge der Industrienationen einbringen. Unter den 22 Ländern sind vor allem die folgenden sieben Beiträge herausgestochen.
Australien: Theatre of the Alienated Land
Theatre of the Alienated Land ist ein Film von Grandeza Studio (Amaia Sánchez-Velasco, Gonzalo Valiente und Jorge Valiente) und Miguel Rodríguez-Casellas sowie Studenten der Technischen Universität Sidney. Anstelle einer didaktischen oder dokumentarischen Auseinandersetzung mit der zunehmenden Auflösung des Great Barrier Reef vor der Nordostküste Australiens wird ein fiktionales Szenario entworfen: Nachdem die australische Regierung das Riff unter die Beobachtung von Robotern stellt und dem Zerfall eher zuschaut als einzugreifen, wendet sich das Blatt. Eine Bewegung namens Xenofeminist International Corporation (in Anlehnung an das 2015 vorgestellte Xenofeminist Manifest der Gruppe Laboria Cubonicks) übernimmt die politische und wirtschaftliche Kontrolle über das Riff und die umliegenden Landgebiete und setzt das Wohl der Natur an oberster Stelle. Der Beitrag ist für seine humorvolle Aufbereitung eines ernsten Themas mit dem ersten Preis der Triennale ausgezeichnet worden: einer goldenen Biene.
Österreich: Circular Flows
Der zweite Preis, eine schwarze Biene, ging an den österreichischen Beitrag. Circular Flows ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Wiener Designteam EOOS und dem Wasserforschungsinstitut (Eawag) der ETH Zürich. Die kommissarische Leitung übernahm Christoph Thun-Hohenstein vom Wiener Museum für Angewandte Künste MAK. „Der Stickstoffkreislauf auf der Welt ist als Bedrohungsszenario gleich groß wie der Klimawandel“, sagt EOOS-Mitbegründer Harald Gründl. Weil Stickstoff in Kläranlagen nur zu maximal 60 Prozent entfernt wird, kommt es zu einer Überdüngung der Küstengebiete.
Allein in Europa werden derzeit sechzig Zonen ausgewiesen, in denen der hohe Stickstoffanteil die Algen wachsen ließ, diese abstarben und schließlich der Sauerstoffgehalt so stark abnahm, dass kaum noch Leben möglich ist. „Die Lösung, die wir zeigen, ist eine Toilette, die den Urin separiert. Im Urin sind über 90 Prozent vom Stickstoff enthalten, den wir über die Nahrung aufnehmen. Die Eawag hat einen Prozess entwickelt, mit dem man Urin in einen hochwertigen Dünger für die Landwirtschaft umwandeln und den natürlichen Kreislauf wieder schließen kann“, erklärt Harald Gründl.
Niederlande: I See That I See What You Don’t See
Der niederländische Beitrag I See That I See What You Don’t See widmet sich den verschwimmenden Grenzen zwischen Natur, Technologie und Kultur. „Wir Niederländer haben immer unsere eigene Landschaft kreiert. Dabei haben wir jetzt ein Level an Kontrolle entwickelt, bei dem jegliche Wahrnehmung von Natur ausgeschaltet ist. Alles in dieser Landschaft ist 24 Stunden am Tag auf Produktion ausgerichtet“, erklärt Kommissar Guus Beumer vom Het Nieuwe Institute in Rotterdam. Die Ausstellung zeigt mehrere Schaukästen, die sich mit der Künstlichkeit von Landschaft ebenso auseinandersetzen wie mit der allgegenwärtigen Lichtverschmutzung. „Die Qualität der Dunkelheit ist für uns ein spannender Ansatz. Es gibt diesen urbanen Mythos von einem Stromausfall in Los Angeles, bei dem viele Menschen zum ersten Mal die Sterne über sich gesehen haben und neun Monate später erstaunlich viele Babys geboren wurden. Dieser Perspektivwechsel durch die Absenz von Licht fasziniert uns“, sagt Guus Beumer.
Deutschland: Carceri d’invenzione
Der deutsche Beitrag Carceri d’invenzione stammt vom Fotografen und Filmemacher Armin Linke in Zusammenarbeit mit Giulia Bruno und Giuseppe Ielasi. Die Organisation übernahm da Berliner Haus der Kulturen der Welt. Der Titel wurde von Giovanni Battista Piransis gleichnamiger Bilderserie aus dem Jahr 1750 von imaginativen Kerkerdarstellungen entlehnt und bezieht sich auf den Ausstellungsort im Triennale-Gebäude: ein 1963 von den Architekten und Bildhauern Carlo Ramos, Carlo Bassi und Goffredo Boschetti geplantes Betontreppenhaus. In dieser rauen, vom Tageslicht abgeschotteten Umgebung werden fünf Installationen gezeigt, die Eingriffe in die Natur ebenso thematisieren wie die darüber geführte Debattenkultur.
Cuba: Art and Revolution – The National Art Schools of Havanna
50 Jahre nach der letzten Teilnahme an der XIV. Triennale von 1968 kehrt Kuba nach Mailand zurück. Unter der Leitung von Kommissarin Norma Rodríguez Derivet und dem Kurator Jorge Fernández Torres wird der Fokus auf die Nationalen Kunsthochschulen von Havanna gelegt, die zwischen 1961 und 1965 erbaut worden sind. Vom kubanischen Architekten Ricardo Porro stammt die Musik- und Bildhauerei-Hochschule, vom italienischen Architekten Roberto Gottardi die Hochschule der Darstellenden Künste und von seinem Landsmann Vittorio Garatti die Schule für Ballett und zeitgenössischen Tanz. „Die Schulen sind ungewöhnliche Beispiele organischer Architektur, die eine Verbindung und gegenseitigen Austausch mit der tropischen Natur herstellen und dem Zahn der Zeit widerstehen konnten“, erklärt Jorge Fernández Torres.
USA: RECKONstruct
Dass die derzeitige Politik des Weißen Hauses keineswegs die Teilnahme an einer Triennale torpediert, zeigt der US-amerikanische Beitrag RECKONstruct: eine Zusammenarbeit vom Kommissar Gregory Norris von SHINE (Sustainability and Health Initiative for NetPositive Enterprise) am MIT und dem Kurator Russel Fortmeyer. Während sich die anderen Länderschauen ebenso wie die Broken Nature Hauptausstellung vom Möbeldesign bewusst distanzieren: Genau hier wird es erstaunlich interieurbetont mit Stühlen, Hockern, Körben, Leuchten oder Fahrradzubehör aus vollständig recyceltem Kunststoff oder biobasierten Werkstoffen. Zu den Exponaten gehört der Drehstuhl Smart Ocean von Humanscale, der aus im Meer eingesammelten Plastikflaschen und Fischernetzen gefertigt wird und mit bloßem Auge von keinem „normalen“ Drehstuhl aus neuen Kunststoffen zu unterscheiden ist.
Stefano Mancuso: Nation of Plants
Nicht jeder Länderbeitrag muss von einer existierenden Nation stammen. Einen interessanten Vorstoß hat der Neurobiologe Stefano Mancuso mit der Nation der Pflanzen gesetzt. „Die Ausstellung basiert auf der Idee, dass einer der Wege, eine katastrophale Zukunft für die Menschen abzuwenden, in einem radikalen, neuen Zugang zu Pflanzen liegt. Dabei geht es nicht nur um das, was Pflanzen uns bieten, sondern vielmehr die Frage, was wir von ihnen lernen können“, erklärt Stefano Mancuso. Hintergrund sind aktuelle Studien, die belegen, dass auch Pflanzen Sinnesorgane besitzen, dass sie Erinnerungen speichern und untereinander kommunizieren. Die Ausstellung führt durch mehrere Instagram-taugliche Räume hindurch, die vom Marco Balich – dem Choreografen mehrerer Olympia-Eröffnungsfeiern – in Szene gesetzt wurde. Der Rundgang mündet in einem Raum, wo dem bislang nicht existierenden Land eine eigene Verfassung gewidmet wird.