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Aufbruchstimmung

Antoine Roset über die Zukunft des Möbelherstellers Ligne Roset

Der Möbelhersteller Ligne Roset schaut auf eine über 160-jährige Geschichte zurück. Mit den Cousins Antoine und Olivier Roset hat nun die fünfte Generation der Familie das Ruder übernommen, auch wenn ihre Väter, Pierre und Michel Roset, mit dem Unternehmen noch immer aktiv verbunden sind. Wir sprachen mit Antoine Roset über kreative Freiräume, handwerkliche Erdung und die Zukunft der Messen.

von Norman Kietzmann, 05.01.2022

Antoine Roset, wie würden Sie die Besonderheiten eines Familienunternehmens beschreiben?
Ein Familienunternehmen hat Vor- und Nachteile. Fangen wir mit den Nachteilen an. Die Leitung liegt in den Händen der Familie. Es ist ihr Kapital, das in die Firma einfließt und sie am Leben hält. In guten Jahren ist das in Ordnung. In weniger guten Jahren ist es hingegen eine ziemliche Herausforderung. Denn man hat keinen Fonds oder andere Investoren im Hintergrund, die einem helfen. Man muss also davon leben können und gleichzeitig die Firma so leiten, dass nicht alles Geld im ersten Monat ausgeben wird. Denn sonst wird es in den folgenden Monaten schwierig.

Und die Vorteile?
Da gibt es viele! Familienunternehmen haben die Eigenart, langfristig zu denken. Auch können wir frei entscheiden, was wir machen wollen. Damit meine ich nicht, dass wir nur unsere Launen ausleben. Aber auf kreativem Niveau können wir eine sehr viel präzisere oder bissigere Haltung einnehmen als andere Marken. Ich denke, dass Ligne Roset einen unangepassten, antikonformistischen Charakter besitzt. Wenn etwas nicht funktioniert, sagen wir: Okay, wir haben es zumindest probiert und fangen nun etwas Neues an. Fehlschläge sind ein Teil von dem, was es heißt, kreativ zu sein. Ein weiterer Punkt ist die menschliche Seite. Diese familiäre Nähe ist etwas, das auch unsere Mitarbeiter schätzen.

Man kann in einer Familie offener reden?
Absolut. Ich habe meinen Cousin, meinen Onkel und meinen Vater an der Seite. Wir leiten das Unternehmen zu viert. Jeder sagt, was er denkt. Wir diskutieren, manchmal reiben wir uns auch. Doch Business ist Business. Was im Büro passiert, bleibt dort. Danach läuft alles wieder normal. Bei jeder Entscheidung sagen wir immer: No Bullshit.

Wie genau ist die Arbeit zwischen den Generationen aufgeteilt?
Die junge Generation bestimmt 90 Prozent des operativen Geschäfts. Wir haben die Verantwortung für die Direktoren in Frankreich sowie in den ausländischen Märkten. Wir arbeiten an der Zulieferkette, an der Produktion sowie am Transport. Die ältere Generation unterstützt uns. Mein Vater Pierre kümmert sich um Dinge im Vertrags- oder Finanzbereich. Oliviers Vater Michel kümmert sich vor allem um die Produktentwicklung, darin ist er fast als Einziger involviert.

Gibt es Konflikte zwischen den Generationen?
Das kommt vor (lacht). Aber glücklicherweise ist das normal, wie bei einem Paar. Wenn man sich nicht von Zeit zu Zeit streitet, stimmt etwas nicht. Manchmal teilen wir Jüngeren nicht die Meinung unserer Väter. Doch sie hören zu und wollen verstehen. Olivier und ich haben gelernt, sie zuerst reden zu lassen, damit sich niemand genervt fühlt. Dann erklären wir uns. Es geht also darum, Standpunkte zu teilen. Und das braucht immer auch ein wenig Diplomatie (lacht).

Interessant ist hierbei der Rollentausch zwischen den Generationen. Der Sohn des Kreativen geht in die Finanzen. Der Sohn des Finanziers übernimmt das Kreative. Wie kam es dazu?
Das war so nicht geplant. Aber ja, Olivier kümmert sich um die Finanzen. Ich habe einen Background im Verkauf und Marketing. Kommunikation und Kreation sind mehr meine Sache. Olivier und ich wollen ein gutes Gleichgewicht finden. Auch unsere Väter haben immer geschaut, was der andere macht und sich besprochen. Am Ende werden die Entscheidungen immer gemeinsam getroffen.

Inwieweit hat Covid-19 die Möbelbranche verändert?
Alle Aktivitäten und Services, die Menschen zusammenbringen, sind abrupt gestoppt worden. Man konnte nicht mehr ins Restaurant gehen, nicht mehr reisen. Als die Leute zu Hause waren, haben sie sich viele Gedanken über ihre Einrichtung gemacht. Das gesparte Geld ist sehr schnell wieder investiert worden – in die Möblierung, ins Heimwerken und in die Gartenarbeit. Im Juni 2020 haben wir eine Rekordzahl an Bestellungen erhalten. Es war der stärkste Monat in der Firmengeschichte. Wir dachten zunächst, dass dieser Moment zwei, drei Monate anhalten und dann wieder abflachen würde. Das wäre normal. Doch das ist nicht passiert. Wir sind seitdem auf sehr hohem Niveau geblieben.

Die Wartezeiten auf ein neues Polstermöbel sind auf bis zu 52 Wochen angestiegen. Warum geht es nicht zügiger?
Wir haben es noch nicht geschafft, die Produktion um 20 Prozent anzuheben. Das hat mehrere Gründe. Wir fertigen in Frankreich in einer Fabrik mit ungefähr 650 Mitarbeitern. Ein Teil der Produktion erfolgt mithilfe von Maschinen. Das betrifft vor allem den Zuschnitt der Stoffe sowie der Schäume. Dann gibt es aber auch zwei sehr handwerklich geprägte Bereiche: das Nähen und das Polstern. Hier brauchen wir neue Mitarbeiter mit Savoir-faire. Doch die finden sich nicht so schnell. Bis ein Polsterer die Herstellung eines Togo-Sofas beherrscht, dauert es anderthalb Jahre.

Um schneller Mitarbeitende zu finden, haben Sie eine eigene Polsterschule gegründet. Erzählen Sie mehr davon.
Die Idee dazu hatten wir bereits ein Jahr vor der Pandemie und die Region Rhône-Alpes unterstützt uns dabei. Eine Besonderheit ist das System der Rekrutierung. Denn wir wählen die Bewerber nicht nach ihrem Lebenslauf aus, sondern aufgrund ihrer Fingerfertigkeit. Wir nutzen zurzeit einen Teil eines Fabrikgebäudes dafür. Langfristig wollen wir der Schule ein eigenes Gebäude widmen und sowohl eine Ausbildung in der Polsterei als auch in der Näherei anbieten.

Wie lange dauert die Ausbildung?
Es sind 600 Stunden, die sich ungefähr über ein halbes Jahr erstrecken. Das ist doppelt so lange wie es normalerweise dauert. Eine klassische Polsterschule bildet in 300 Stunden aus. Das machen wir auch. Doch dann kommen noch einmal 300 Stunden in der Polsterei von Ligne Roset dazu. Das zeitgenössische Polstereigewerbe ist beinahe ein anderer Beruf. Das ist vergleichbar mit der Patisserie. Es gibt Leute, die wissen, wie man einen klassischen Kuchen macht oder eine Mousse au Chocolat. Und dann gibt es jene Art von Patisserie, die auf Bestellung arbeitet und Torten in der Form eines Baumes auf den Teller zaubert. Das erfordert eine ganz andere Kompetenz.

Lassen Sie uns in die Zukunft schauen. Ligne Roset hatte nicht geplant, an der Kölner Möbelmesse imm cologne teilzunehmen. Dafür wird die neue Kollektion Ende März im Pariser Kunst- und Kulturzentrum Palais de Tokyo vorgestellt. Was ist der Grund für diese Entscheidung?
Wir hatten im März 2021 bereits für ein Event mit Partnern das Palais de Tokyo gemietet. Die Messen waren zu diesem Zeitpunkt ja ausgefallen. Dann hat uns die Präfektur von Paris mitgeteilt, dass wir den Termin aufgrund der Covid-Zahlen absagen müssen. Also haben wir alles digital abgehalten. Dennoch hat uns das die Augen geöffnet, wie wir etwas machen können, das über die klassische Messe-Präsentation hinausgeht. Selbst wenn alle Firmen in der Vergangenheit immer schöne Stände hatten, blieb es dennoch eine Messe, immer dieselbe Sache. Doch hier haben wir etwas anderes gesehen, das überaus interessant ist. In einer Umgebung wie dem Palais de Tokyo werden die Produkte antikonformistisch und zeitgenössisch in Szene gesetzt.

Es gibt eine Reibung zwischen den neuen Möbeln und Leuchten und den teils ruinenartigen Räumen: ein Effekt, der sich in Messehallen schwer realisieren lässt. Haben Messen womöglich ausgedient?
Nein, wir glauben nur, dass es für die Messen im Januar schwierig sein wird, wieder so international zu sein wie früher. Wir werden sehen, was hier in Europa mit der fünften Welle passiert. Die Menschen aus Nordamerika können vielleicht reisen. Doch die Besucher aus dem asiatisch-pazifischen Raum werden sicher nicht kommen. Selbst wir Europäer wissen nicht, was wir machen können. Also haben wir uns für das Modell Palais de Tokyo entschieden, wo wir alle einladen, sich für drei Tage die Kollektion anzuschauen. Wer es nicht nach Paris schafft, kann es digital erleben. Wir erweitern sozusagen die Präsenz des Physischen durch das Digitale. Wir werden sehen, wie das läuft. Wir wissen heute noch nicht, ob wir zur imm cologne und zur Maison & Objet zurückkehren werden. Es ist wichtig für uns als junge Generation, nicht stehen zu bleiben in einem System, das sich seit Jahrzehnten eingespielt hat. Für den Moment halten wir uns die Hände frei, etwas anderes auszuprobieren.

Ein weiterer Schritt ist der geplante Relaunch Ihrer Webseite. Was haben Sie da geplant?
Wir werden im September 2022 eine neue digitale Plattform für Ligne Roset vorstellen. Dabei geht es nicht in erster Linie um einen Onlinehandel. Das Digitale ist ein Service, um die Kunden zu erreichen. Ob Ältere oder Jüngere: Sie alle nutzen das Digitale, weil es die einfachste Art ist, um an Informationen zu gelangen. Darum braucht die Webseite eine sehr gute User Experience. Und sie muss alle Informationen liefern, die gesucht werden. Es wird zwar einige Produkte zu kaufen geben, doch nur einen Teil der Kollektion. Wir möchten kein reiner Onlinemarktplatz sein. Darum wollen wir auf dieser Plattform mehr Bilder, aber auch mehr Filme zeigen: Man soll sich nicht nur von links nach rechts durch ein Menu klicken können. Wir wollen eine wirkliche Erfahrung teilen.

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Ligne Roset

Fertigungsstandorte von Ligne Roset mit ca 800 Mitarbeitern. 95% der Sitz-, Kasten-, Kleinmöbel und Accessoires werden hier gefertigt. Das seit 1860 bestehende Familienunternehmen exportiert in 5. Generation weltweit in 70 Länder und begeistert überall Menschen für hochwertige französische Möbel. Anspruchsvolle und zeitlose Ästhetik prägen die Marke sowie ein hohes Maß an Innovation und Kreativität. Möbel von Ligne Roset werden im gehobenen stationären Handel, in Exklusivgeschäften sowie über einen eigenen Onlineshop vertrieben. Darüber hinaus sind Hotels, Sternerestaurants, Kreuzfahrtschiffe und Luxusboutiquen ein wichtiges Geschäftsfeld.

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