Menschen

Gespühr für innere Logik

Interview mit dem niederländischen Designduo Julia Dozsa und Jan van Dalfsen

Julia Dozsa und Jan van Dalfsen geben sich nicht mit dem Offensichtlichen zufrieden, sondern denken bei ihren Projekten stets um die Ecke. 1997 gründeten sie in Amsterdam das Studio Dozsa & van Dalfsen, spezialisiert auf Architektur und Industriedesign. Wir haben das Duo in Paris getroffen und über kreative Synergien, materielle Verwandlungen sowie Wohnformen gegen die Einsamkeit gesprochen.

von Norman Kietzmann, 17.09.2025

Sie haben den Beistelltisch Courbell für Ligne Roset gestaltet. Was ist die Idee dahinter?
Julia Dozsa: Der Name Courbell steht im Französischen für Kurve. Und genau die zeigt sich in der tragenden Struktur: zwei gespiegelte Bögen aus Metall, die leicht zueinander versetzt sind. Auf ihnen liegt die gläserne Tischplatte auf und wird außen von vier Beinen eingefasst. So kann auf eine weitere Befestigung der Platte verzichtet werden. Die Transluzenz des Glases macht die beiden Metallkurven sichtbar. Sie bilden ein spannungsvolles Detail.

Jan van Dalfsen: Die ursprüngliche Idee war, mit nur einem Gestell eine ganze Familie unterschiedlicher Tische realisieren zu können. Das erste Modell ist in einer ovalen Ausführung und in einer Größe erhältlich. Doch es könnten weitere Modelle folgen, die dann alle auf demselben Rahmen basieren. Je weiter die gespiegelten Kurven verschoben werden, desto größer kann die Platte sein. Mit der Position der Metallkurven verändert sich auch das grafische Erscheinungsbild des Gestells, das durch die Glasplatte hindurch zu sehen ist.

Die Statik wird gewissermaßen zum dekorativen Element.
Jan van Dalfsen: Genau. Wir sind hier ganz in der Nähe des Eiffelturms. Auch er hat eine tragende Struktur, die gleichzeitig wie ein schönes Ornament wirkt. Man kann nicht unterscheiden, was was ist. Genauso ist es bei diesem Tisch: Das Gestell hat eine statische Funktion und ist zugleich dekorativ.

Wie kommen Sie auf neue Ideen?
Julia Dozsa: Das kann sehr unterschiedlich sein. Kunst ist oft eine Inspiration. Aber es können auch alltägliche Wege sein. Einmal waren wir mit dem Fahrrad unterwegs in Limburg im Süden der Niederlande. Die Landschaft sah aus wie auf einem Landschaftsgemälde aus dem 17. Jahrhundert. Dort haben wir viele Vögel gesehen. Und irgendwie haben sich diese Bilder in unserem Gedächtnis abgespeichert. Und so kam uns die Idee für die Beistelltische Apuso und Rondone für Ligne Roset, deren Namen beide Schwalbe bedeuten. Die Möbel besitzen etwas sehr Weiches und Elegantes. Natürlich übernehmen wir die Formen aus der Natur nicht eins zu eins. Sie werden von uns abstrahiert, wodurch etwas sehr Zeitloses entsteht.

Jan van Dalfsen: Interessant ist hierbei auch ein Wandel in der Materialität. Als wir die Tische Ligne Roset vorschlugen, hatten wir sie in dunklem und hellem Holz konzipiert. Dann verging einige Zeit und wir bekamen plötzlich einen Prototypen aus Travertin zugeschickt. Es war fantastisch, weil die Möbel dadurch wie Skulpturen aus Stein anmuten. Die Verbindung zwischen den vertikalen und horizontalen Elementen erinnert ein wenig an die Kapelle in Ronchamp von Le Corbusier. Die Ablage wirkt auf einmal wie ein Dach – und aus dem Möbel wird plötzlich eine kompakte Architektur.

Wie arbeiten Sie als Team?
Julia Dozsa: Jan ist Architekt und ich bin ausgebildete Designerin. Wir arbeiten also zusammen, haben aber unterschiedliche Hintergründe. Und genau deswegen funktioniert es. Ich beginne hauptsächlich mit der Idee. Jan kümmert sich mehr um die Details und auch um den technischen Teil. Er kennt sich besser mit Materialien aus und hat aufgrund seines Hintergrunds im Bauwesen eine andere Sicht auf die Dinge. Der Entwurf ist für uns wie ein Dialog. Wir reden viel. Und daraus entsteht eine Synergie, bei der eins plus eins stets mehr als zwei ergibt.

Worin liegt das Geheimnis eines guten Entwurfs?
Julia Dozsa: Ich denke, es braucht in gewisser Weise einen Widerspruch. Wenn es überall nur Kurven, Kurven, Kurven gibt, ist es nicht interessant. Spannung entsteht erst dann, wenn runde Formen mit scharfen Linien zusammenwirken. Bei der Tischleuchte Eki, die wir 2024 für Ligne Roset entworfen haben, sind Schirm und Sockel aus einem Marmorblock gearbeitet. Mehrere vertikale Einschnitte öffnen den Schirm und lassen so das Licht nach außen dringen. Diese geraden Linien stehen in scharfem Kontrast zur weichen, runden Form des Schirms. An den Stellen, an denen der Marmor dünner ist, kann das Licht passieren. Aus einem schweren Material wird plötzlich etwas sehr Leichtes. Es wirkt fast wie Papier. Genau das macht es interessant.

Wie würden Sie Schönheit definieren?
Julia Dozsa: Es ist der Moment, in dem man überrascht wird. Ich betrachte etwas und bin fasziniert. Vielleicht gibt es eine Verbindung zur Natur? Ich entdecke Dinge, die wie Teile eines menschlichen Körpers oder eines Tiers aussehen. Mitunter weiß ich gar nicht genau, warum – und bin dennoch interessiert. Mir gefallen Entwürfe, die einen poetischen Touch haben, wie zum Beispiel die Arbeiten von Andrea Branzi oder Isamu Noguchi. In ihnen stecken eine völlig eigene Handschrift und Arbeitsweise, die aus einem Objekt mehr machen als das, was es eigentlich ist. Es bekommt eine andere Dimension.

Jan van Dalfsen: Gerade in der Zeit von Instagram geht es vor allem um Bilder, was stets nur zu einem äußeren Ergebnis führt. Ich denke, dass Dinge, die einer inneren Logik folgen, einen umso mehr überraschen. Schönheit hat mit intrinsischen Werten zu tun.

 

Sie gestalten nicht nur Möbel und Leuchten, sondern sind auch in der Architektur und Innenarchitektur aktiv. In Haarlem haben Sie ein Projekt realisiert, das die Typologie der „Hofje“ neu belebt. Erzählen Sie uns mehr dazu.
Julia Dozsa: Hofjes sind Wohnanlagen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert in den Niederlanden. Sie bestehen aus kleinen Plätzen mit kleinen Häusern, die einst von den reichen Leuten der Stadt für arme Frauen errichtet wurden, die allein waren und sich kein Leben anderswo leisten konnten. Nun gibt es wieder ein neues Interesse an ihnen, weil sie die soziale Interaktion verstärken. In den Niederlanden gibt es immer mehr Bauträger, die solche Hofjes für ältere Menschen schaffen. Doch wir haben dieses Projekt speziell für junge Menschen in einem vernachlässigten und heruntergekommenen Viertel entworfen.

Um ihnen ein Leben fernab von Social Media zu zeigen?
Julia Dozsa: Genau. Einsamkeit ist keine Frage des Alters. Viele junge Menschen haben keine Freunde mehr, weil sie nur noch an ihrem Smartphone hängen. Zum Glück passiert hier langsam ein Umdenken. Ich höre von Gruppen junger Menschen, die mit den sozialen Medien aufhören und damit glücklich sind. Sie haben plötzlich viel mehr Zeit, weil sie nicht mehr stundenlang aufs Handy schauen. Und sie entdecken, dass sie mit anderen Menschen reden können. Ich denke, Architektur kann dabei wirklich helfen.

Wie genau?
Jan van Dalfsen: Für unser Projekt in Haarlem haben wir fünf kleine Gebäude um einen Hof gruppiert, der zugleich als Gemeinschaftsgarten dient. Und wir haben mit einer altmodischen Art der Fensterkonstruktion gespielt. In die Gebäudeecken haben wir große Erker platziert, die die Blickkontakte intensivieren. Auch haben wir die Türen in zwei Hälften geteilt. Man öffnet also den oberen Teil der Tür, während der untere Teil geschlossen bleibt. So können sich die Nachbarn sehen und miteinander reden, ohne gleich das Innere des Hauses zu betreten. Glauben Sie uns: Das verbessert die soziale Interaktion enorm!

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Ligne Roset

Fertigungsstandorte von Ligne Roset mit ca 800 Mitarbeitern. 95% der Sitz-, Kasten-, Kleinmöbel und Accessoires werden hier gefertigt. Das seit 1860 bestehende Familienunternehmen exportiert in 5. Generation weltweit in 70 Länder und begeistert überall Menschen für hochwertige französische Möbel. Anspruchsvolle und zeitlose Ästhetik prägen die Marke sowie ein hohes Maß an Innovation und Kreativität. Möbel von Ligne Roset werden im gehobenen stationären Handel, in Exklusivgeschäften sowie über einen eigenen Onlineshop vertrieben. Darüber hinaus sind Hotels, Sternerestaurants, Kreuzfahrtschiffe und Luxusboutiquen ein wichtiges Geschäftsfeld.

Zum Showroom

Dozsa & van Dalfsen

www.dozsa-en-van-dalfsen.nl

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