Jäger und Sammler
Sebastian Herkner über die neue Form der Aufbewahrung
Partner: Ligne Roset
Schränke sind weit mehr als klobige Kisten. Und auch Regale haben im digitalen Zeitalter keineswegs ausgedient. Die gängigen Stauraum-Typologien werden inhaltlich wie formell neu definiert. Davon ist Sebastian Herkner überzeugt. Wir trafen den Offenbacher Designer in Paris und sprachen mit ihm über wohnliche Bühnen, kaschierte Bars und kompakte Zirkuselefanten.
Sitzmöbel sind die Stars der Inneneinrichtung. Aufbewahrungsmöbel werden eher als ruhige Gesellen wahrgenommen. Worin liegt die Herausforderung, wenn man einen Schrank oder ein Regal entwirft?
Eigentlich braucht man ja kaum noch Stauraum. Weil man nicht mehr so viel für Bücher und CDs ausgibt. Viele Freunde, die lesen, tun dies nur noch auf dem Tablet. Heute geht es eher darum, etwas zu präsentieren. Das Stauraummöbel ist zu einem Präsentationsmöbel geworden. Darin zeigt man schöne Sachen, die man auf dem Flohmarkt gekauft oder von einer Reise mitgebracht hat. Ein Souvenir aus Indien zum Beispiel oder ein paar Teller oder eine schöne Skulptur. Wir sind alle Jäger und Sammler von besonderen Sachen geworden. Es ist ja auch viel schöner so, als wenn sich alle mit denselben Dingen umgeben. Aufbewahrungsmöbel sind heute Bühnen, um diese Dinge wirken zu lassen.
Das Aufbewahrungssystem Janus von Ligne Roset, das Anfang Juni im Pariser Palais de Tokyo vorgestellt wurde, zielt genau in diese Richtung. Was hat es mit Deinem Entwurf auf sich?
Michel Roset hat mich nach einem Aufbewahrungsmöbel gefragt. Mir gefiel die Idee der Veränderlichkeit. So kam ich auf die Idee des römischen Gottes Janus, der einen Kopf mit zwei Gesichtern hat. Das Möbel hat Türen, die man um 180 Grad umklappen kann. Im geschlossenen Zustand wird das Innere wie ein Schrein verdeckt. Im geöffneten Zustand, wird es freigegeben, während nun die Außenseiten verdeckt werden. Das Möbel hat zwei Zustände oder – wenn man so will – zwei Charaktere. Man kann gar nicht sagen, ob der eine der Standard-Look ist oder der andere. Darum schnappen die Türen in beiden Positionen ein, sodass ein haptisches und akustisches Signal entsteht. Es war mir wichtig, dass es immer vollwertig aussieht.
Man könnte auch sagen, das Möbel hat eine öffentliche und eine private Seite.
Absolut. Eine Anfangsidee war eine Minibar mit beleuchteten Böden und Spiegel, um Kristallgläser und eine Flasche Gin aufzubewahren. Wenn Besuch kommt, dem ich die Bar oder einen anderen Inhalt nicht zeigen möchte, schließe ich die Türen. Dann sieht man nur die offenen Ablagen an den Seiten, wo vielleicht ein paar Bücher, Vasen oder Skulpturen stehen.
Die Hausbar hat durch die Coronapandemie eine ganz neue Rolle gefunden.
Früher ist man in eine Bar gegangen, jetzt zelebriert man das Erlebnis zu Hause. Die Umsätze von Bier sind ja während der Pandemie runtergegangen. Doch bei Wein und Spirituosen sind sie gestiegen. Da haben sich einige mit einer neuen Hausbar ausgestattet. Und das wird sicher auch so bleiben. Man empfängt Freunde bei sich zu Hause und macht einen schönen Aperitif, statt sich unterwegs zu treffen.
Wie hast Du die Coronazeit erlebt?
Ich habe weitergearbeitet und auch mein Team nicht wie andere Büros in Kurzarbeit geschickt. Wir sind ja insgesamt zu acht. Mein Mann Manuel ist auch mit dabei. Aber ich habe sechs Designer, die ich nonstop bezahlt habe. Das heißt, dass wir an vielen Produkten weitergearbeitet und auch mit vielen neuen Projekten begonnen haben. Da sind in den letzten drei Jahren einige Dinge aufgelaufen. Darum war es gut, dass wir die nun endlich zeigen konnten.
Welche Spuren hinterlässt die Coronakrise im Möbelbereich?
Es ist ja kein Möbelhersteller insolvent gegangen. Das ist ein tolles Zeichen. Es gibt jetzt den Trend, dass viel mehr Unternehmen in Europa produzieren wollen wegen all der Lieferschwierigkeiten. Auf einmal spürt man auch die Abhängigkeiten von Russland. Und schon fragt man sich: Was bedeutet eine Abhängigkeit von China, wenn es einen Krieg mit Taiwan anfängt? Das Land kann ja auch mit Sanktionen behaftet werden. Darum wollen die Firmen wieder mehr in Europa produzieren. Doch gibt es das Know-how noch? Die Fertigungsstätten? Das sind Fragen, die kommen werden. Und dann natürlich das Thema der Nachhaltigkeit. Auch hier geht es um Fragen wie: Wo wird etwas produziert? Wie wird produziert? Welche Materialien kommen zum Einsatz? Das ist wesentlich wichtiger geworden.
Auch verändern sich die Raummaße: Wohnraum wird zunehmend kompakter.
Die Polsterkollektion Taru, die ich für Ligne Roset entworfen habe, funktioniert auch für kleine Apartments. Die haben wir 2020 vorgestellt und im letzten Jahr um einen Sessel und jetzt um ein kleines Ecksofa ergänzt. Sie hat etwas von einem Zirkuselefanten. Größe ist tatsächlich ein Thema. Denn es werden immer weniger Neubauwohnungen gebaut, weil die Zinsen hochgehen. Außerdem sind die Baukosten um 30 Prozent gestiegen. Es wird eine Wohnungsverknappung geben. Das wird schlimm, weil die Leute mehr als die Hälfte des Einkommens in die Miete stecken müssen. Aber man muss es auch nicht so pessimistisch sehen. Ich glaube, wir haben alle eine Verantwortung dafür, wie es weitergeht. Es geht nur gemeinsam. Da muss der Staat wahrscheinlich mehr regulieren, damit die Schere nicht noch weiter auseinander geht.
Verändern Materialknappheit und hohe Einkaufspreise die Gestaltung?
Material schon. Vielleicht kommt irgendwann der Gedanke: Muss ein Möbel wirklich so tief sein oder so breit? Holz ist ja auch sehr teuer geworden. Ich habe den Tisch Savignyplatz für Man of Parts mit einer Platte aus sechs Zentimeter starker Eiche entworfen. Wenn man eine Platte aus nur vier Zentimeter dicker Eiche nehmen würde, wäre der Tisch natürlich um 30 Prozent günstiger. Und sechs Zentimeter dickes Holz bekommt man auch nicht so leicht. Hier kann man sicher einiges hinterfragen.
Die Ausstellung Homo Faber in Venedig feiert das Handwerk und die Macher. Du hattest für die Ausgabe im vergangenen April einen Raum kuratiert. Welche Rolle spielt die Intelligenz der Hände?
Es gibt sicher viele Spezialistenberufe, die nur noch wenige Menschen ausüben, die das Wissen weitergeben können. Das Know-how im Handwerk stirbt langsam aus. Auf Murano, hat mir Luca Nichetto gesagt, haben in den letzten Monaten viele kleine Betriebe mit fünf, sechs Mitarbeitern zugemacht, was vor allem an den derzeit hohen Energiepreisen liegt. Deswegen fand ich Homo Faber in Venedig ganz spannend, weil dort viele Spezialisten waren, auch viele junge Leute. Das Problem ist, dass allerdings auch dort nur diejenigen hingehen, die sich ohnehin schon mit der Materie beschäftigen. Viel wichtiger ist es daher, die jungen Leute, die noch zur Schule gehen, dafür zu begeistern. Aber die wollen alle Influencer werden.
Was kann man tun?
Man muss den Wert des Handwerks höher setzen. Ich habe gestern gelesen, dass man in Deutschland ein freiwilliges soziales Jahr plant, bei dem man nicht nur im Krankenhaus arbeiten kann, sondern auch im Handwerk. So sollen die Leute an das Thema besser herangeführt werden. Handwerk ist ein wichtiger Wirtschaftszweig. Dazu zählen ja nicht nur Dachdecker und Schreiner, sondern auch die Automobilindustrie, der Maschinenbau und natürlich die Möbelindustrie. Da fehlen so viele Leute. Das ist eine wirkliche Herausforderung.
Ligne Roset
Fertigungsstandorte von Ligne Roset mit ca 800 Mitarbeitern. 95% der Sitz-, Kasten-, Kleinmöbel und Accessoires werden hier gefertigt. Das seit 1860 bestehende Familienunternehmen exportiert in 5. Generation weltweit in 70 Länder und begeistert überall Menschen für hochwertige französische Möbel. Anspruchsvolle und zeitlose Ästhetik prägen die Marke sowie ein hohes Maß an Innovation und Kreativität. Möbel von Ligne Roset werden im gehobenen stationären Handel, in Exklusivgeschäften sowie über einen eigenen Onlineshop vertrieben. Darüber hinaus sind Hotels, Sternerestaurants, Kreuzfahrtschiffe und Luxusboutiquen ein wichtiges Geschäftsfeld.
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