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Domotex 2017: Auf nachhaltigen Füssen

Sichere Nummer: Böden werden umweltbewusster, vielfältiger, realistischer, aber leider nicht visionärer.

von Markus Hieke, 18.01.2017

Mit der Domotex 2017 legte die Deutsche Messe in Hannover erneut einen internationalen Auftritt hin. Mehr als 80 Prozent der insgesamt 1.409 Aussteller stammte aus dem Ausland, womit sie die weltweit führende Plattform für Bodenbeläge jeder Art bleibt. Anlaufpunkte für Besucher waren auch dieses Jahr wieder die Formate Innovations@Domotex und Carpet Design Awards. Erstmals durchgeführt wurde das Konzeptprojekt Young Designer Trendtable, dessen Ergebnisse sich von all den industriell gefertigten Bodenbelägen durch ihren experimentellen Charakter abhoben.

Betrachtet man die Produkte der Messe, muss zunächst zwischen den drei Bereichen textile und elastische Bodenbeläge, Parkett und Laminat sowie zeitgenössische handgefertigte Teppiche unterschieden werden. Während Designboden- und Teppichbodenhersteller verstärkt auf umweltverträglichere Herstellung achten, verfügen Laminathersteller über immer authentischer wirkende Holz- und mancherorts Steinoptiken. Daneben entwickeln sich Holzböden mitunter zu rustikaleren Strukturen. Indem ihre Oberflächen durch verschiedene Verfahren bearbeitet werden, entstehen Used Looks verschiedener Art. Einzig der handgefertigte Teppich wird als solcher auch dieses Jahr nicht neu erfunden, sondern zeigt sich als Medium für immer wieder neue, handwerklich meisterlich umgesetzte Motive.

Alles ist möglich
In einem sind sich die Hersteller aller Kategorien jedenfalls einig: Heute sei alles möglich. Für jeden Kundenwunsch gibt es eine passende Lösung, jedes noch so kleine Problem scheint behoben. Scheint. Denn trotzdem wirkt die Branche stellenweise hilflos, jede verbesserte Echtholznachahmung wird als Fortschritt gefeiert, zeiteffektiveres Verlegen als Pluspunkt. So debütierte beispielsweise das neue belgische Unternehmen Floorify mit seinem Click-Vinylboden Rigid Core. Sein Kern ist durch eine besondere Zusammensetzung steifer als andere Produkte, der Boden ist wasserfest und schallabsorbierend. Nur fragt man sich als Besucher, ob hier nicht ein kleines Missverständnis vorliegt. Während die Gesellschaft sich verstärkt nach Natürlichem sehnt, liefert die Industrie etwas, das immer besser an das natürliche Original heranreicht und doch aus Kunststoff besteht.

Kunststoff auf Kork
Diese grundverschiedene Auffassung begründet sich freilich im deutlichen Preisunterschied zwischen Echtholz und Kunststoff. Aber auch andere Aspekte erklären den Erfolg von Holzimitationen. Das portugiesische Label Wicanders aus dem Hause Amorim stellte eine Erweiterung seiner Kork-LVT-Kollektion Hydrocork vor. Für Freunde von Korkeigenschaften, denen aber das Aussehen von Korkböden nicht gefällt, wird die natürliche Basis mit einer Deckschicht aus Vinyl versehen. Zur Wahl stehen neue Holz- und Steinoptiken, das Material sei „grün“, da es mit weniger Komponenten auskommt als herkömmliche LVT-Böden und weil die Schicht wesentlich dünner ist.

Duftender Heuboden
Deutlich näher dran am grünen Leben zeigt sich da das Schweizer Unternehmen Lico mit seinem Boden Pur. Ebenfalls auf einer Basis aus Kork werden hier Gebirgsheu und Kräuter verpresst und aufgebracht – sicher nichts für den normalen Wohnbereich, aber durchaus sinnvoll da, wo Naturverbundenheit betont werden soll. Auf ganz anderem Weg versucht Forbo Flooring, die Umweltfreundlichkeit seines Linoleumbodens hervorzuheben. Für Marmoleum Cocoa werden zerkleinerte Schalen von Kakaobohnen in die Masse gemischt. Der normalerweise glatte Boden bekommt dadurch eine raue Struktur.

Vom Recycling zum Teppich
Im Bereich der textilen Beläge zeigt Aquafil aus Italien mit Metallic Long-Space einen Weg, wie aus recyceltem Material Neues werden kann. Für den Teppichboden werden zu hundert Prozent ausrangierte Nylon-Fischernetze zum sogenannten Econyl-Garn verwertet. Die Oberfläche wirkt dabei leicht gold oder silbern schimmernd. Ein Konzept, das es mit Metal-X-Collection von Tapibel aus Belgien gleich ein zweites Mal gibt. Die Tufting-Technologie weiterentwickelt haben daneben Fletco. Für die Kollektion Stony Beach arbeiten die Dänen mit einer strukturierten Schlinge, die es ihnen erlaubt, vierfarbige Muster zu fertigen, ohne zu drucken. Der Rücken verzichtet auf PVC und Bitumen, da er rein aus Textil besteht.

Handgefertigte Teppiche
Dass Nachhaltigkeit nicht nur für industrielle Produkte Thema ist, zeigt unter den handgeknüpften Teppichen – die ja ohnehin für die Ewigkeit geschaffen sind – der Schweizer Hersteller Sahar. In der Remix-Kollektion wird alte Seide aus verschiedenen Quellen zu Teppichen gewoben, die sich durch ihre teils kräftig leuchtenden Farbverläufe auszeichnen. Jedes Stück bleibt dabei ein Unikat. Der Berliner Teppichdesigner Jürgen Dahlmanns hat sich dieses Jahr für sein Label Rug Star mit der Tufting-Technik angefreundet. Diese ermöglicht ihm etwa so wunderbar detaillierte, florale Motive wie bei NewClassic Mughal, die sich teils dreidimensional vom dunklen Hintergrund abheben.

Ausgezeichnete Ware
Zum zwölften Mal wurden im Bereich handgefertigte Teppiche die Carpet Design Awards in acht Kategorien verliehen. Nominiert wurden 24 Produkte, die etwa alte Muster neu interpretieren oder ganz neue Fertigungsideen aufweisen. Für das beste Design der Studiokünstlerteppiche ausgezeichnet wurde Vlisco Recycled von Simone Post. Sie erzähle „eine klare Geschichte und setzt das Thema Teppich-Recycling auf frische Art und Weise um“, so die Jury unter Vorsitz der New Yorker Teppich-Designerin Stephanie Odegard. Außerdem unter den Preisträgern: Sterling Rugs mit Super Moon für das beste moderne Design Superior, Rug & Kilim mit Scandinavian Flatweave 2 in der Kategorie bestes Flachgewebe-Design sowie Hossein Rezvani mit Shiraz Sabz als bestes klassisch-modernes Design.

Boden mit Zukunft
Eines der Highlights der Domotex 2017 war das neue Format Young Designer Trendtable. Mit dem Münchner Designer Stefan Diez als Mentor wurden fünf junge Designstudios eingeladen, sich Gedanken über zukünftige Bodenbeläge zu machen. Entstanden sind fünf sehr verschiedene Konzepte, die in einem Punkt wieder zusammenfinden: ihre Aussicht auf Langlebigkeit der Produkte – emotional in diesem Fall. „Wenn wir anfangen, Dingen eine Emotion zu geben, dann behalten wir sie. Und das ist etwas, das das Handwerk tun kann“, drückt es Hanne Willmann, eine der beteiligten Designer, es aus.

Junge Visionen
Willmann sieht das Potenzial in der Authentizität von Böden, darin, den handwerklichen Prozess sichtbar zu machen. Für die Präsentation auf der Messe lieferte die in Berlin lebende Designerin gleich vier verschiedene Ansätze. Den Kontrast zwischen Materialeigenschaften wie hart, weich, industriell, handwerklich sucht Bilge Nur Saltik aus der Türkei und England, und fügte einen Hochflorteppich mit kleinen Steinmosaiken, Holz und weiteren Materialien zusammen zu einer Bahn. Die Schotten Jane Briggs und Christy Cole extrahierten ihr grafisches Muster aus Kurt Schwitters Merzbau in Hannover und übertrugen es in erdigen Grün- und Grautönen auf ein Holzparkett, das als Fischgrätmuster verlegt wird. Vom Niederländer Klaas Kuiken stammt der Ansatz, Boden in Bewegung zu versetzen. Dabei bewegen sich kleine Bodenplatten, die die Bewegung einer Person für kurze Zeit festhalten. Um Akzente ging es schließlich bei Victoria Willmotte aus Frankreich. Granit und Marmor werden als Rechteck im Raster oder wild als Freiform zu quadratischen Platten zusammengefügt, die Fugen und Räume erhalten einen Akzent aus farbigem Kunstharz.

Die jungen Designer haben damit an etwas gearbeitet, das den meisten Ausstellern leider fehlt: an einer Vision. Warum müssen künstliche Beläge eigentlich immer realistischer aussehen und nicht etwa betont künstlich und doch handwerklich? Mehr Mut zu Konzeptprodukten wäre wünschenswert, dafür weniger doppelter Boden. Ein Großteil der Aussteller ist sich zunächst immerhin in dem Punkt einig, dass Böden nachhaltiger werden müssen. Die Formel zum guten Produkt könnte zukünftig ja auch lauten: Mehr Authentizität dank weniger Fake.

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Domotex

www.domotex.de

Domotex 2016

An die Basis

www.designlines.de

Domotex 2013

Das nette Extra Design

www.designlines.de

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