Gebaute Hierarchie
Das Phantom im Hochhaus: Die Chefetage hat sich der neuen Arbeitswelt angepasst.

Wo ist sie eigentlich? Warum ein ganzes Geschoss? Und ist das Essen dort wirklich besser? Die Chefetage ist eines der großen Rätsel unseres Arbeitsalltags. In jeder größeren Firma soll es eine geben. Doch zu sehen bekommen sie die wenigsten. Ist sie am Ende nur ein Phantom, das uns das Fürchten lehren soll? Ganz nach dem Motto: „Der Chef sieht alles!“. Wir haben uns auf die Suche nach einem der letzten Dinosaurier der Bürowelt gemacht. Und tatsächlich, er lebt noch!
Die gute Nachricht vorab: Auch die Arbeitgeber haben an Komfort eingebüßt und sich dem gesellschaftlichen Wandel fügen müssen. Zumindest ein bisschen. War die Chefetage früher noch ein exklusiver Herrenclub inklusive Holzvertäfelung, Minibar und Zigarrenduft, sieht sie heute fast wie ein regulärer Arbeitsplatz aus. Und Frauen bringen nicht mehr nur den Kaffee.
Ab nach oben
Die Chefetage ist eine Erfindung der Industrialisierung – doch erst mit dem Bau von Hochhäusern bekam das Geschoss, das exklusiv der Unternehmensleitung als Arbeitsplatz diente, seinen festen und meistens ganz oben liegenden Platz in der Büroarchitektur des 20. Jahrhunderts. Das belegt der Ausspruch „Um zur Chefetage zu kommen, musste man den Aufzug nehmen.“ Doch wer es an diesen besonderen Ort geschafft hatte, der genoss ein privilegiertes Leben innerhalb der Bürowelt: Weniger Menschen auf mehr Fläche, Einzelbüros mit schöner Aussicht und Orte, die allein der Erholung und dem Wohlbefinden dienen sollten. Sogar Schwimmbäder gab es ganz oben. Das Geschoss sollte von außen schwer einsehbar – deswegen am besten hoch oben – und nur denen zugänglich sein, die dort auch hingehörten. Aus Sicherheitsgründen, versteht sich. Und so wurde die Chefetage zum Synonym für die Herrschaft der Oberen und zum gebauten Ausdruck für Hierarchie: unten der einfache Angestellte, oben das gehobene Management.
Unten ist es sicherer
Doch anstatt sich, wie manch anderer Dinosaurier der „alten Welt“, von alleine abzuschaffen, unterzog sich die Chefetage in den letzten Jahren einer Frischzellenkur. Vor allem Unternehmen, die jung sind oder jung sein wollen, schafften eine Neuinterpretation des Büroklassikers. So ließ sich der Medienkonzern Axel Springer seine Vorstandsetage in der Berliner Konzernzentrale, in der immerhin ganze vier Firmenlenker sitzen, von dem Architekteteam Kai Nikolaus Grüne, Caspar Teichgräber und Martin Schmitt in eine Art Startup-Arbeitswelt verwandeln. Die individuellen Einzelbüros wurden verkleinert und Gemeinschaftsräume dafür vergrößert. Die Planer erhoffen sich dadurch „kürzere Kommunikationswege“ und mehr gemeinsames Arbeiten. Für Grüne und Schmitt steckt in der Thematik eine Menge Sprengkraft, denn „wenn Räume aufgebrochen und Ebenen miteinander verbunden werden, stehen auch Firmenstrukturen, Hierarchien und lieb gewonnen Rituale zur Diskussion.“ Das muss ein Vorstand erstmal mitmachen.
Und auch für Chris Middleton vom Architekturbüro Kinzo „muss die Chefetage als Vorreiter mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es um den viel propagierten Wechsel von der Zelle zur offenen Bürolandschaft geht. Aus meiner Sicht hat die Chefetage noch lange nicht ausgedient, wohl aber das Chefzimmer in Form eines Einzelbüros“. Mit der von ihm und seinen Partnern gestalteten Soundcloud-Zentrale hat er gleich das passende Beispiel und zudem einen Ort geschaffen, in dem sich das Chefzimmer nicht mehr vom Rest der Räume unterscheidet. Das nennt man dann eine gebaute „flache Hierarchie“. Und im New Yorker Goldman-Sachs-Tower wurde das oben-unten-Prinzip nach 9/11 vollständig auf den Kopf gestellt: Dort sitzen die wichtigen Mitarbeiter mittlerweile (fast) ganz unten hinter bombensicheren Scheiben, da diese Büros am schnellsten evakuiert werden können.
Jeder wie er will
Dass die Chefetage in ihrer klassischen Ausführung noch immer existiert und auch in Zukunft ihre Berechtigung haben wird, hat nicht nur mit dem Wunsch nach einer gebauten Hierarchie zu tun. Die Unternehmensführung, aber auch andere Abteilungen benötigen räumliche Nähe, die eine bessere Kommunikation und konzentriertes Arbeiten ermöglicht. Daher muss die Frage, ob eine Chefetage noch zeitgemäß ist und wenn ja, in welcher Form und Gestalt (und in welchem Geschoss), am Ende jedes Unternehmen für sich selbst beantworten. Eine Standardlösung gibt es jedenfalls nicht mehr.
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