London Design Festival 2014: Mehr Show als anderswo
Lose yourself in design forderte das London Design Festival 2014.
Lose yourself in design verkündet das diesjährige London Design Festival 2014. Offenbar als Qualitätsversprechen gedacht, kehrt sich der Slogan in der Praxis um. Lautstarke Präsentationen finden sich in der britischen Hauptstadt fast an jeder Ecke, auf der Suche nach Qualität werden die Wege allerdings weit.
Die Tauben sind ein Problem. Der erbitterte Kampf, der seit Jahren um die Lufthoheit am Trafalgar Square tobt, macht vor dem Projekt A Place Called Home zum London Design Festival 2014 nicht halt. Während für die gefiederten Stadtbewohner Fütterungsverbot und Bejagung mit einem Falken angesagt ist, muss für die in Grau geplanten Holzvögel am Giebel von Jasper Morrisons Home-Interpretation ein Topf weißer Farbe genügen. „Jasper is ok with this“, bestätigt ein Assistent die Zustimmung des Designpuristen zur farblichen Änderung der Holztauben, um die lebendigen Artgenossen abzuschrecken. So werden aus grauen Holztauben Minuten vor der Projektpräsentation weiße Klone, und der Frieden am Trafalgar Square ist für den Moment wieder hergestellt.
Flexibel Wohnen
Ein paar Meter weiter drehen Anna Murray und Grace Winteringham, die Macherinnen bei Patternity, froh gelaunt am Kaleidoskop-Glücksrad, während Raw Edges einen wirklich interessanten Ansatz für ein zeitgemäßes Zuhause gefunden haben. Dank beweglicher Wände auf Gleitschienen lässt sich deren dreigeteiltes Raumgefüge bedarfsorientiert variieren. Für mehr Platz im Bad wird der Wohnbereich per Schiebewand verkleinert, der gegenüber liegende Schlafbereich schrumpft bei Tag zum Stauraum für Kopfkissen und Federdecke, bei Nacht expandiert der gestauchte Raum zu einer geräumigen Schlafstatt. Hier beweist Design seine Legitimation, weil es Idee und Konzept in eine funktionsfähige Lösung für den Alltag umsetzen kann. Auch wenn die Designer Yael Mer und Shay Alkalay mehr im Blitzlichtgewitter von Tagespresse und Festivalbesuchern stehen als das 1:1-Modell.
Traumhafte Fahrt
In London ist Design halt mehr als anderswo Show. Vollmundige Präsentationen gehören beim London Design Festival unvermeidlich dazu. Dass Ideen auch aus sich selbst heraus funktionieren können, hat Dominic Wilcox mit seinen Entwürfen schon öfter bewiesen. Aus kunterbunten Glasstücken ist sein Autoentwurf Sleeper-Car für das Jahr 2059 gebaut. Eine vielfarbige Glaskuppel auf vier Rädern, die ganz auf die Utopie eines in Zukunft seligen Reisens im Schlaf fokussiert. Das Zukunftsvehikel fährt selbstverständlich autonom, der Fahrgast ruht weich auf einer Matratze, den Blick durch die transluzente Hülle gen Himmel gerichtet. Während Wilcox bei den Bedürfnissen und Träumen der Reisenden bleibt, forscht Body Architect Lucy McRae an den Grenzen der Technologie. Für künftiges Fortbewegen in der Schwerelosigkeit werden in ihrem Konzept die Reisenden vakuumiert. Attraktiv futuristisch glänzt die silbrige Ganzkörper-Folienverpackung, die neugierigen Probanden entschlüpfen dem Versuchsaufbau augenscheinlich mit eher gemischten Gefühlen.
Die von der Automarke Mini initiierte Ideensammlung Future of Mobility gehört zu den interessanteren Vorstellungen, die es als Teil des Ausstellungslabels Designjunction zu sehen gibt. Auch Sanitärhersteller Laufen setzt sich hier wohltuend ab mit einer Präsentation diverser Prototypen von Konstantin Grcic aus neuartiger Saphirkeramik. Ansonsten versuchen die Ausstellungsmacher offenbar, den drei Etagen des ehemaligen Sorting Office den chaotischen Charme eines Basars zu verleihen, ohne jedoch die fein gewebte, inspirierende Atmosphäre eines solchen verstanden zu haben.
Faszination Atmosphäre
Auch bei der Double Space-Installation im Viktoria & Albert-Museum spielt die Atmosphäre eine wichtige Rolle. Diese speist sich aber nur bedingt aus der technoiden Konstruktion, die Barber Osgerby im Auftrag vom Autobauer BMW für die Raffael-Galerie ersonnen hatten. Unbestreitbar geht die Faszination des Raumes von den großformatigen Wandteppichen aus. Wie eine geteilte Flugzeugtragfläche spannt sich die Installation der Designer in der Längsachse des Ausstellungsraums, die Darstellungen aus dem 16. Jahrhundert scheinen perspektivisch verzogen in der spiegelnden Oberfläche wieder. Das britische Königshaus machte die obligatorische Zustimmung zur Bespielung des Saales allein von der technischen Sicherheit der Inszenierung abhängig.
Qualitität der Einzelgänger
Ein Gefühl dafür, was die Qualität einer gelungenen Inszenierung und eines Festivals ausmachen kann und könnte, erlebt man in London wiederholt jenseits der großflächigen Präsentationen wie 100 % Design oder Tent in verstreut liegenden Einzelausstellungen, beispielsweise in Islington, Shoreditch, Brompton und Clerkenwell.
In der Galerie Fumi sind filigrane Glasarbeiten des Amerikaners Jeremy Maxwell Wintrebert zu sehen, der auch mit einem Projekt im Victoria & Albert-Museum vertreten ist. Einen Block weiter im Showroom des Labels SCP beeindrucken die Produkte von Ishinomaki Laboratory. Nach dem Tsunami im März 2011 in Japan zunächst als Hilfsprojekt für die lokale Bevölkerung entstanden, werden die hochästhetischen Produkte mit DIY-Charme mittlerweile international vertrieben. Als kuratierte Version einer DIY-Online-Plattform versteht sich The Saturday Market Project. Ein Angebot aus Werkzeugen mit wertiger Optik, ausgewählten Materialien und designorientierten Bausätzen richtet sich seit Juni von der britischen Hauptstadt aus an eine handwerklich orientierte Klientel.
Hand-crafted im Trend
Überhaupt scheint der Trend zu handgefertigten Produkten ungebrochen, vielleicht aber auf einen Höhepunkt zusteuernd. Hand-crafted steht manufactured gegenüber, das gilt für Möbel und Leuchten gleichermaßen wie für Tableware und Accessoires. Eine Spur, der auch The New Craftsmen folgt. Das britische Unternehmen sieht sich als Vermittler von hochqualifizierten Handwerkern und qualitätsbewussten Kunden und dabei auch als Bewahrer und Förderer alter Handwerkstechniken und -traditionen.
Dass alte (Handwerks-)Kunst ganz prächtig mit zeitgenössischem Design zusammengeht, beweist sich in einer Kollaboration des kanadischen Herstellers Bocci mit Mallett Antiques. Im Treppenhaus des Eyl House, einem ehemaligen Bischofspalast, scheinen über eine Höhe von 14 Metern semi-verspiegelte Leuchten vom Typ 57 in einem Geflecht aus Messingdraht zu schweben. Während bei Mallett Antiques farbige Wände, dicke Teppiche und Möbel aus dem 18. und 19. Jahrhundert den visuellen Widerpart zu Boccis Design liefern, scheinen im Showroom von Yohji Yamamoto die Entwürfe von Torsten Neeland in einem gleichgerichteten Dialog mit der Mode zu stehen. Unter dem Titel Urban Nomads präsentiert Neeland schlichte, langlebige Produkte – Kleiderständer, Kleiderbügel, ein Tablett, aus Ahorn und Kork gefertigt. Ebenfalls der Langlebigkeit verpflichtet, aber dennoch an modischen Trends orientiert, ist die neue Strickkollektion von Möbelbezugsstoffen bei Kvadrat, für Designer Alfredo Häberli eine Fortsetzung der erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Stoffhersteller.
Zwischen Kunst und Design
An der Schnittstelle von Kunst und Design lassen sich die Arbeiten einordnen, die in der neu eröffneten Londoner Dependance der Pariser Designgalerie Kreo präsentiert werden. Die Bouroullec-Brüder, Hella Jongerius und Doshi Levien sind hier mit frischen Entwürfen in kleinen Editionen vertreten, ebenso wie David Dubois, Alessandro Mendini und Jasper Morrison. Konstantin Grcic hat zur Eröffnung London Calling kreiert, eine persönliche Erinnerung an seine Zeit an der Themse und eine Hommage an die spiralförmigen Treppen der alten Routemaster-Busse. Die fünfstufige Treppenkonstruktion für die Bibliothek ist aus heller Eiche gefertigt. Mit From then On setzen Formafantasma ihre konzeptionelle Entwurfslinie mit beeindruckender Konsequenz und Qualität fort. Die Auseinandersetzung mit zeitlichen Dimensionen ist bei Established & Sons zu sehen, die damit auch einen Rückblick auf die zehnjährige Firmengeschichte verbinden.