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Monochromie gegen Workspace-4.0-Burn-outs

Komplexe Alleskönner vs. unaufgeregte Grundausstattung: Lensvelts Idee von zeitmäßer Büroeinrichtung.

von Kathrin Spohr, 02.11.2016

„Coolworking“, „Collage Office“ oder „Your office is a playground“ – allein die Titel, die Hersteller wie Actiu, Vitra und Cascando für ihre Präsentationen auf der diesjährigen Orgatec wählten, sprachen Bände: Willkommen in der Arbeitswelt 4.0!

Überall auf der Messe waren Workspaces inszeniert, die bunt fröhlichen Spielwiesen, coolen Lounges und sogar gemütlichen Wohnzimmern glichen. Die campusartigen Arbeitsmodelle der erfolgreichen dot.com-Firmen Google, Facebook & Co haben bei den Büromöbelherstellern Spuren hinterlassen.

Komplexe Alleskönner
Unterstützt wurden die Konzepte von frischen Möbeln und Produkten in vielen Farben, die vor allem eins im Sinn hatten: das Prinzip der Modularität und Flexibilität auszureizen, um möglichst individuellen Arbeitssituationen gerecht zu werden. Tische lassen sich klappen, vergrößern, verkleinern, anbauen, sind mobil. Innovative Stühle, wie der Sonderling Kinema Active Chair, greifen das flexible Arbeiten an höhenverstellbaren Tischen auf und ermöglichen das Sitzen und Stehsitzen. Möbel werden digitalisiert: So präsentierte Sedus etwa Tische mit Qi-Ladestationen. Damit kann ein Mitarbeiter beim Betreten eines großen Büros in Echtzeit ablesen, wo beispielsweise ein freier Arbeitsplatz verfügbar ist oder wo sich die Kollegen zur Projektbesprechung befinden.

Darüber hinaus ist der Bereich der akustisch wirksamen Produkte enorm angewachsen: Schallabsorbierende Materialien gibt es als textile Wandpaneele in allen denkbaren Kolorits und Formen, sie werden in Tische, Regale und eben in zonierende Alkoven-Sitzmöbel integriert. Und auch das Thema „Arbeiten und Regeneration“ wurde erweitert, etwa um den neuen Klimastuhl des Herstellers Klöber, der auf die Körpertemperatur Einfluss nehmen und sie stabil halten kann.

Emotional Playground
Doch stehen bei den vorgestellten Möbelpräsentationen keineswegs nur die rein funktionalen Aspekte im Zentrum, um Alltag und Abläufe in den Open Space Offices zu optimieren. Es geht auch darum, die Arbeitswelt zu emotionalisieren, Komfortzonen im Büro zu schaffen. Oder, wie der britische Designer Tom Dixon ergänzt, um eine „Kulisse mit humaner Ästhetik, welche die schwindenden Grenzen zwischen Arbeit, Zuhause und Entertainment Spaces stützt“. Und so tut die Branche derzeit sehr viel, um das passende Rüstzeug für ein Ambiente zu bieten, in dem Mitarbeiter sich künftig wohl fühlen können und leistungsfähig sind. Schließlich möchten Arbeitgeber attraktiv sein. So gesehen kann man sagen: Die Ansprüche an Büromöbel wachsen. Sie müssen heute nicht nur ergonomisch funktional sein, sondern vielseitig, flexibel, attraktiv und human, da Büros eben mehr und mehr domestiziert werden.

Das hat Tom Dixon auch dazu bewegt, die glamouröse Workspace Collection zu gestalten, die warme und glänzende Materialien wie Holz, Kupfer, Glas in Möbeln, Leuchten und Accessoires zusammenbringt. Eintönig waren die Inszenierungen auf der Orgatec keineswegs.
Es geht nicht um Möbel
Umso mehr stach dann zwischen all dieser Vielfarbigkeit eine kompakte, meterhohe, komplett aus hellgrauen Büromöbeln bestehende Installation hervor – eine fast klinische Sterilität mit dem Titel Boring Collection. Sie umfasst die Grundausstattung für ein Büro: Boring Task Chair, Boring Visitor Chair, verschieden große, auch höhenverstellbare „langweilige“ Tische, Schränke, Sichtschutzpaneele, Wanduhr und Papierkorb. Dabei sind alle Materialien, egal ob Stahl, Melaminplatten oder Textilpolsterung im selben monochromen Grau gehalten.

Pure Ironie? Nicht wirklich. „Ein Statement“, sagt Cees van Beuzekom vom niederländischen Hersteller Lensvelt über seine Produkte und ergänzt schmunzelnd: „Wir brauchen doch auch einen Arbeitsort, an dem man sich danach sehnen darf, um Punkt 17 Uhr den Stift aus der Hand zu legen und nach Hause zu gehen.“ Es ist ein interessantes Gedankenspiel in diesem Umfeld geballter Büro-4.0-Visionen: Wie viel kuratierte Wohlfühlatmosphäre hält man am Arbeitsplatz eigentlich aus? Wer jeden Tag in einen wunderschönen, bunten Work Campus geht, den plagt am Ende vielleicht doch ein schlechtes Gewissen oder der gilt als Spielverderber, wenn er sich trotzdem unwohl fühlt oder pünktlich nach Hause gehen mag.

Back to the basics
Doch Boring Collection, das sind wirklich schöne, minimalistische Möbel mit guten, kompakten Proportionen. Primär hat das renommierte Architekturbüro Space Encounters die Kollektion für Lensvelt jedoch aus einem anderen Beweggrund gestaltet: Günstige Büromöbel sehen meistens schlecht aus. Da sie dem Diktat strenger Normierungen und Bestimmungen unterliegen, explodieren die Preise, wenn sie ästhetisch schön gestaltet werden. Nach dem Motto: Was nützt einem eine toll konzipierte, innovative Büroarchitektur, wenn sie am Ende dann doch aus Kostengründen mit hässlichen Büromöbeln bestückt wird? Zu oft hatten die Architekten von Space Encounters genau das erlebt. Daher also die Idee, eine Kollektion zu entwerfen, die nicht den Anspruch hat, herausstechend schön zu sein. Sondern der es mit geradlinigen, archetypischen funktionalen und zurückhaltenden Formen in dezentem Grau gelingt, die Aufmerksamkeit auf die Umgebung zu lenken.

Ein schicker Werbefilm des Designbüros Lernert & Sander, das auch für Modelabels wie Hermès, Viktor & Rolf oder COS tätig ist, visualisiert zusätzlich mit Ästhetik und Ironie den Grundgedanken: Nicht die Möbel, sondern das Leben im Büro ist zentraler Punkt. Der Countdown bis zum Arbeitsende wird zum Thema, in dem der zerknüllte Papierball als „universelles Symbol für Langeweile im Büro“ dient.
Werbefilm von Lernert & Sander
Überdosis Work and Play
Auf dieser Orgatec ist es schon entspannend, mal Möbel zu sehen, die nicht überstrapazierte Alleskönner sind und auch nicht primär gute Arbeitslaune kommunizieren wollen. Gerade weil sie so simpel und monochrom ist, bietet die Boring Collection genügend Freiraum und Inspiration, ein modernes Büro spielwiesentauglich zu machen. „Ob sich die Mitarbeiter tatsächlich in einem Unternehmen wohl fühlen, das entscheidet am Ende nicht das Ambiente, sondern die wirklich humanen, zwischenmenschlichen Faktoren“, sagt Designer Daniel Lorch, der erstmals mit seinem Label L&Z auf der Orgatec vertreten ist und ganz unaufgeregt Workspace Fundamentals präsentiert. Sein Interesse gilt neuen Materialien, Technologien und den grundlegenden Bedürfnissen für zeitgemäße Arbeitsräume.

Und auch den Studierenden der Peter Behrens School of Art reichen die aktuellen Büro-4.0-Arbeitsmodelle nicht aus, wie sie in ihrer Orgatec-Ausstellung Afterwork workout zeigten. Laurent Lacour, Professor für Corporate Design an der Düsseldorfer Hochschule dazu: „Ist der Playground oder der Coffee Shop eine Lösung – oder braucht man radikalere, authentischere und individuellere Lösungen?“

Wir brauchen also dringend das nächste Trendupdate für den polychromen Work Campus. Die Boring Collection markiert den Anstoß dazu. Sie wurde gerade für die Finalisten des renommierten und Impuls gebenden Dutch Design Award nominiert. Und damit ist die Diskussion eröffnet!

Weitere Antworten auf die Fragen zur Arbeitswelt der Zukunft finden Sie in unserem großen Special zur Orgatec 2016.

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