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Spielerische Spekulationen

Die Ausstellung New Normals von Konstantin Grcic in Berlin

Wie die Zukunft aussieht, wenn es nach Konstantin Grcic geht? Ein bisschen bunt, ein bisschen bedrohlich, ein bisschen amüsant, ein bisschen selbstverliebt und manchmal rätselhaft. In seiner neuen Ausstellung „New Normals“ im Berliner Haus am Waldsee zeigt der deutsche Designer Objekte und Installationen, für die er eigene Entwürfe „gehackt“ hat.

von Jasmin Jouhar, 28.01.2022

Drei Bürostühle, von einem Kreuz aus Gerüststangen resolut auf Abstand gehalten, dazu blinkt eine Warnlampe. Ein anderer Bürostuhl, mit drei Gymnastikbändern auf Zug in ein Gerüstgestell eingespannt. Zwei Barhocker, die mit einem neonorangenen Fahrradschloss eng an einen gelben Rammschutz-Bügel gekettet sind. Konstantin Grcic mutet seinen Möbeln einiges zu in seiner Einzelausstellung New Normals im Haus am Waldsee, kuratiert gemeinsam mit Anna Himmelsbach und Ludwig Engel. Die Objekte werden nicht auf weißen Sockeln verherrlicht oder in atmosphärischen Wohnlandschaften inszeniert. Grcic hat sie mit anonymen, industriell gefertigten Produkten und Materialien kombiniert und zu kleinen Szenerien arrangiert, den „New Normals“.

„Ich mag das Haus am Waldsee“, sagte der Designer beim Presserundgang vergangene Woche. „Es ist kein neutraler Ausstellungsraum, sondern ein Wohnhaus mit Details und Charakter.“ Doch die Frage sei gewesen, so Grcic weiter, wie man Möbel in einem ehemaligen Wohnhaus ausstellen könne, ohne dass sie zu Einrichtung würden. Seine Lösung: die Dinge durch einfache Eingriffe verändern oder „hacken“, wie er es in Anlehnung an den Computerjargon nennt. So könne man Gewissheiten unterlaufen und Denkprozesse anregen.

Woran wir uns gewöhnen müssen
„New Normals“ sind für Konstantin Grcic neue Objekte oder Phänomene, die uns im ersten Moment fremd seien, aber morgen schon normal erschienen. „Wir müssen uns daran gewöhnen“, meint der Designer. Als Beispiele nennt er das Smartphone oder die Überwachungskameras im öffentlich Raum. „Die sehen wir gar nicht mehr.“ Gerade in der ersten Phase der Pandemie war der Begriff der „neuen Normalität“ allgegenwärtig. Als reine Pandemie-Bewältigung möchte er die Ausstellung dennoch nicht verstanden wissen.

Seine Installationen sollen spielerische Spekulationen darüber sein, wie die nächsten „New Normals“ wohl aussehen könnten, in fünf oder zehn Jahren. Welche Zukunftsbilder Grcic allerdings konkret im Kopf hatte, als er Kunststoffhockern Antennen aufsetzte und einem großen Glastisch Motorrad-Lenkerspiegel, das verriet er nicht. „Die Szenen sind keine Prophezeiung“, ließ er lediglich wissen. Die Besucher*innen sollen selbst assoziieren. Vielleicht dienen die kleinen, beweglichen Spiegel dazu, bei den ewigen Videocalls zu kontrollieren, ob die Frisur noch sitzt? Vielleicht sind es auch aggressive Überwachungswerkzeuge, mit hinter der Spiegelfläche verborgener Kamera?

Eine Mayday für alle Fälle
Wer sich in der Ausstellung auf solche narrativen Gedankenspiele einlässt, merkt schnell: Es ist keinesfalls entschieden, ob die Zukunft schön wird oder schrecklich – oder beides. Manche Installationen wirken dystopisch, wie die Drehstühle im Blinklicht-Alarm. Andere eher spaßig, wie die beiden zur Liegewiese zusammengeschobenen Sofas mit dem rosa Gymnastikball unter dem Netzhimmel. Wieder andere sind ziemlich erratisch – oder warum sind die vier Hocker mit einem Felsbrocken verkabelt und blinken?

Eine Sonderrolle spielt die tragbare Leuchte Mayday: Für einen Bestseller hat Konstantin Grcic eigens für die Ausstellung eine Wandhalterung aus rotem Blech mit integrierter Steckdose entworfen, „eine Art Feuerlöscher“. In jedem Raum der Ausstellung hängt so ein Mayday-Feuerlöscher an der Wand, bereit für alle Fälle, ob Not- oder Ernstfall. Das Hacken der eigenen Entwürfe hat aber noch eine weitere Dimension: Damit möchte Grcic anschaulich machen, wie wandelbar die Funktion von Gegenständen im Gebrauch sein kann. „Als Nutzer*innen sind wir aufgefordert, uns die Dinge zu eigen zu machen“, sagte er. „Sie so zu verändern, dass es sie besser macht.“ Ihn habe es als Designer schon immer interessiert, wie die Menschen mit alltäglichen Dingen wie Möbeln lebten, wie sie sie nutzten.

Großer Auftritt für den Feuerwehrschlauch
Nicht zuletzt zeigt die Ausstellung auch, wie fasziniert Konstantin Grcic vom Kosmos der industriellen Massenherstellung ist – eine Faszination, die sich von Anfang an wie ein roter Faden durch seine Arbeit zieht. Indem er seine eigenen, „prominenten“ Entwürfe für internationale Designunternehmen mit seriell gefertigten Produkten und Materialien kombiniert, rückt er diese anonymen Erzeugnisse ins Licht der Aufmerksamkeit. Große Auftritte bekommen unter anderem ein leuchtend gelber Feuerwehrschlauch, Rigipsplatten, Kabelrinnen, Bodenschwellen, Bootsluken und Aluminiumrohre. Einige dieser Objekte sind „heavy duty“, sie müssen im normalen Leben Schwerstarbeit leisten. Andere stammen aus dem Kontext der Vulgärtechnologie, wie die Selfiesticks, die LED-Anzeige, die Satellitenschüsseln oder die Antennen. Gewöhnliche, allgegenwärtige Objekte, über deren funktionale und ästhetische Präsenz wir uns normalerweise kaum Gedanken machen. Hier, im Kontext eines Ausstellungshauses, und auf Augenhöhe mit Grcics Möbeln, werden sie als das erkennbar, was sie eben auch sind: Design.

Konstantin Grcic
New Normals
Haus am Waldsee
21. Januar bis zum 8. Mai 2022

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Haus am Waldsee

hausamwaldsee.de

Konstantin Grcic

konstantin-grcic.com

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