Stories

Der Netzwerker

Studiobesuch bei dem Südtiroler Netzwerker

Harry Thaler ist ein gestalterischer Tausendsassa. Er entwirft Häuser, Fahrräder, Stühle, Gläser. Wir haben den Südtiroler Designer in seinem Silo-Studio in Lana bei Meran besucht. Bei einem Espresso mit Blick über die Berge sprach er über Architektur als Passion und Partys bei Tyler Brûlé.

von Claudia Simone Hoff, 27.11.2019

Das Industriegebiet von Lana liegt an der Schnellstraße nach Meran. Schon von weitem sieht man den Turm. Mitten auf einem Parkplatz, umgeben von Sheddach-Gebäuden ragt er 25 Meter in die Höhe. Der Betonklotz war einmal ein Silo, in dem die Holzspäne der benachbarten Tischlerei lagerten. Nun arbeitet hier Harry Thaler, neben Matteo Thun und Martino Gamper der wohl bekannteste Designer Südtirols. Vor vier Jahren ist Thaler aus London in seine Heimat zurückgekehrt und hat sich ein wenig Themse-Flair an seinen Arbeitsplatz geholt. Das Silo hat er gemietet und als Studio ausgebaut, gegen alle Widerstände. Er erzählt, dass der Besitzer des Silos zuerst nur den Kopf über seine Idee geschüttelt habe, dessen Frau ihn dann aber überredete, dem Projekt zuzustimmen. Auch die Baubehörde musste erst mühsam überzeugt werden. Inzwischen haben sich auch andere Querdenker und Kreative hier angesiedelt: Es gibt ein extravagantes Blumenstudio, bei Pur Südtirol werden Produkte aus der Region verkauft – wobei das Interiordesign von Harry Thaler stammt – und gegenüber kann man sich im Backshop der Meraner Mühle mit Getreide und Mehlen eindecken.

Das Silo-Studio
Auf jeder der fünf Etagen des ehemaligen Silos ist nur ein einziger Raum untergebracht – dazu gehören eine Werkstatt, ein Showroom, das Büro und eine Wohnküche. Ein Luftschacht erstreckt sich über die volle Höhe des Gebäudes, was sich zu einem ziemlich beeindruckenden Raumerlebnis fügt. Die Betonwand funktioniert mit ihren schmalen Holzregalen als eine Art Ausstellungs-Space, der sich ständig wandelt. Gerade reihen sich dort die 2,5 Millimeter dünnen Metalle auf, aus denen Thalers Pressed Chair (von Nils Holger Moormann) gefertigt wird – seine Abschlussarbeit am Royal College of Art, die ihm sogleich seinen Durchbruch als Designer brachte. Eine Wendeltreppe aus schwarzem Stahl erschließt die einzelnen Geschosse.

Betritt man das Gebäude, ist man gleich mittendrin im Geschehen. Dem selbst entworfenen Werkstattschrank, der mit einer Holzklappe komplett verschlossen werden kann, steht ein großer Arbeitstisch gegenüber. Überall liegen Werkzeuge, Materialproben und Prototypen herum. Spätestens hier ahnt man: Harry Thaler liebt es zu werkeln und auszuprobieren. Kein Wunder, denn er hat vor seinem Designstudium in London eine Ausbildung zum Goldschmied gemacht. Das Handwerk prägt seine Arbeit als Designer auch heute noch und zeigt sich insbesondere an Thalers Herstellungs-, Material- und Detailverliebtheit. Auch zuhause in Algund, nur wenige Kilometer von seinem Studio entfernt, hat er sich eine kleine Werkstatt eingerichtet und probiert dort Prototypen aus.

Die Südtirol-Connection
Neben seinen Qualitäten als Designer ist Harry Thaler besonders gut darin, die richtigen Leute miteinander bekannt zu machen – seien es Hoteliers, Gastronomen, Handwerker oder Designer. Das funktioniert in Südtirol besonders gut, da die Region klein und gerade die Designszene überschaubar ist. Und egal, wohin man blickt: Überall tauchen Entwürfe von Harry Thaler auf. Eine seiner bekanntesten Arbeiten dürfte fast jeder Südtirol-Besucher schon einmal gesehen haben: die Geschäfte von Pur Südtirol, die es neben Bozen und Meran demnächst auch in Brixen, Bruneck und sogar in der Schweiz geben wird. Als Art Director ist Thaler nicht nur für die Gestaltung der Läden und gastronomischen Räume zuständig, sondern hat mit Pur Manufactur gleich ein eigenes Label entwickelt. Thaler, befreundete Designer und vor Ort ansässige Handwerker entwerfen und fertigen Dinge für die Küche und den gedeckten Tisch – aus Materialien wie Holz und Leinen und mit Handwerkstechniken, die typisch sind für die Region wie das Drechslerhandwerk oder die Stickerei.

Dass Südtirol in den letzten Jahren immer wieder als (Design-)Destination ausgerufen wird, hat auch ein wenig mit Harry Thaler zu tun. Für seinen Freund Tyler Brûlé, den Gründer der Lifestyle-Magazine Wallpaper und Monocle, hat er in Meran ein Haus eingerichtet. Inzwischen hat der umtriebige Kanadier in Meran auch einen Monocle-Shop eröffnet, neben Filialen in London, Zürich und Tokio wohlgemerkt. Harry erzählt, dass Brûlé zweimal im Jahr ein Fest veranstaltet, zu dem viele kreative und designaffine Menschen eingeladen werden, insbesondere die junge Generation, die sich nicht in Konkurrenz zueinander sähe, sondern das Miteinander schätze, wie Thaler sagt. „Tyler hat hier ziemlich viel bewirkt“, ergänzt er noch.

Das Multitalent
Harry Thaler arbeitet immer wieder auch als Architekt. „Die Architektur hat als Passion angefangen“, erzählt er. Selbst kein ausgebildeter Architekt, arbeitet er bei seinen Bauprojekten mit Bauingenieuren, Geometern und Statikern zusammen. Die Architektur schätzt er als gute Einnahmequelle, aus der manchmal auch Produkte hervorgehen. In Bozen hat Thaler vor einem halben Jahr sein viertes Architekturprojekt abgeschlossen: ein Einfamilienhaus aus Beton mit 200 Quadratmetern Wohnfläche auf einem sehr kompakten Grundstück. Und Harry Thaler wäre nicht Harry Thaler, würde er sich nicht auch dort noch um das letzte Detail kümmern. So hat er mit den Kindern des Bauherrenpaares einen Workshop veranstaltet, bei dem sie die Türgriffe des Familienhauses mitgestalten konnten. Sie wurden anschließend in Metall gegossen und ihre Handabdrücke verewigt.

Hört man dem Designer zu, merkt man, dass es gerade diese vermeintlich kleinen gestalterischen Dinge sind, die ihn besonders faszinieren an seinem Job. Vielleicht macht ihn gerade diese Eigenschaft so erfolgreich – gemeinsam mit seinem bodenständigen, bescheidenen und netten Wesen. Spricht man den Designer auf den in Südtirol noch immer latent vorhandenen Nationalismus an, fällt seine Antwort eindeutig aus: „Sono cento per cento italiano“, sagt er und gießt noch etwas Espresso nach.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Studio Harry Thaler

harrythaler.it

Das Sytem Südtirol

Architekten, Designer & Handwerker

www.dear-magazin.de

Wie sich Südtirol mit guter Gestaltung neu erfindet

Touristische Positionierung durch Hotelarchitektur

www.dear-magazin.de

Mehr Stories

Best-of Raumausstattung 2024

Neue Tapeten, Farben & Textilien

Neue Tapeten, Farben & Textilien

Formal-Informal

Ligne Roset editiert Michel Ducaroys Polsterprogramm Kashima

Ligne Roset editiert Michel Ducaroys Polsterprogramm Kashima

CO2-Neutral und plastikfrei

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Karcher Design setzt Nachhaltigkeit ganzheitlich um

Perfekte Imperfektion

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Sebastian Herkner taucht die Bauhaus-Klassiker von Thonet in neue Farben

Der Ikea-Effekt

Wenn aus Arbeit Liebe wird

Wenn aus Arbeit Liebe wird

Best-of Outdoor 2024

Möbelneuheiten für das Wohnen unter freiem Himmel

Möbelneuheiten für das Wohnen unter freiem Himmel

Ein Herz für Vintage

Wie der Hersteller COR gebrauchte Möbel neu editiert

Wie der Hersteller COR gebrauchte Möbel neu editiert

Kuratierter Kraftakt

Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Die Macht der Visualisierung

Wie Raumplanungen digital zum Leben erweckt werden

Wie Raumplanungen digital zum Leben erweckt werden

Best-of Tableware 2024

Neuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch

Neuheiten für die Küche und den gedeckten Tisch

Ein Kessel Buntes in Paris

Die Neuheiten von Maison & Objet und Déco Off 2024

Die Neuheiten von Maison & Objet und Déco Off 2024

Skandinavische Designtradition

Das schwedische Unternehmen Kinnarps im Porträt

Das schwedische Unternehmen Kinnarps im Porträt

Dimensionen der Weichheit

Neuheiten von der imm cologne 2024

Neuheiten von der imm cologne 2024

Bühne für den Boden

Vorschau auf die Domotex 2024

Vorschau auf die Domotex 2024

Was darf ich für Dich tun

KI – Künstliche Intelligenz oder Kreative Invasion?

KI – Künstliche Intelligenz oder Kreative Invasion?

Wrestling & Fabelwesen

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Neues von der Design Miami und Alcova Miami

Alles auf einmal

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Breite Eleganz

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Fischgrätplanken von PROJECT FLOORS in neuen Formaten

Alles auf eine Bank

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Die Möbelkollektion Semiton von García Cumini für Arper

Homeoffice im Wandel

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 2

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 2

Blick ins Homeoffice

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Gestaltende über Lösungen für das Arbeiten zu Hause – Teil 1

Ruf der Falte

Paravent-Ausstellung in der Fondazione Prada Mailand 

Paravent-Ausstellung in der Fondazione Prada Mailand 

Best-of Fliesen 2023

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Sinn für Leichtigkeit

Alberto-Meda-Ausstellung in der Mailänder Triennale

Alberto-Meda-Ausstellung in der Mailänder Triennale

Bunte Becken

Die Colour Edition von DuPont Corian

Die Colour Edition von DuPont Corian

Wohnliche Exzentrik

Fabian Freytag gewinnt Best of Interior Award 2023

Fabian Freytag gewinnt Best of Interior Award 2023

Ton, Steine, Onyx, Wachs

Die Neuheiten der Fliesenmesse Cersaie 2023 in Bologna

Die Neuheiten der Fliesenmesse Cersaie 2023 in Bologna

Wohnliche Technik

Smart-Home-Lösungen von Gira zwischen Hightech und Hygge

Smart-Home-Lösungen von Gira zwischen Hightech und Hygge

Leben im Ommm

Die Verbeigung des Wohnraums ist Farbtrend und Gefühls-Seismograph

Die Verbeigung des Wohnraums ist Farbtrend und Gefühls-Seismograph

50 Jahre Togo

Ligne Roset feiert das Kultsofa der siebziger Jahre

Ligne Roset feiert das Kultsofa der siebziger Jahre