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Wohnratgeber 9: Garten und Terrasse

Es muss nicht immer Flechtwerk sein: Die neuen Gartenmöbel setzen auf klare Geometrien.

von Norman Kietzmann, 27.05.2014

Die Verschmelzung von Innen und Außen geht in eine neue Runde. Wurde die Domestizierung des Gartens in den vergangenen Jahren vor allem mit kunstvoll geflochtenen Sesseln und Sofas betrieben, zeigen sich die neuen Gartenmöbel ungleich strenger. Statt das Chaos des wuchernden Grüns mit dekorativen Formen aufzugreifen, sorgen klare, geometrische Formen für einen industriell gefärbten Gegenpol. Während viele der neuen Gartenmöbel überhaupt nicht mehr als solche zu erkennen sind, hat auch die Flut der Klassiker und Re-Editionen das Wohnen im Freien erfasst. 

01 Das Sofa
Es muss nicht immer Flechtwerk sein. Für sein Sofa Dandy für Roda unternahm Rodolfo Dordoni erst gar nicht den Versuch, eine gartentypische Formensprache zu finden und florale, dekorative Elemente mit einzuflechten. Das Möbel transferiert die Anmutung und den Komfort gepolsterter Sofas aus dem Innenraum geradewegs hinaus ins Freie. Den Grund: eine atmungsaktive und wetterbeständige Drainagepolsterung sowie eine eigens entwickelte Stoffkollektion, die eine angenehme Haptik mit wasserabweisenden Eigenschaften in Einklang bringt. 

Einer Architektur des Sitzens gleicht das System Docks von Romero Vallejo für Gandia Blasco. Die Polster und Kissen werden von einer aus Aluminium gefertigten Plattform getragen, die an eine luxuriöse Ausführung der klassischen Europalette denken lässt. Aufgrund ihres geringen Gewichts können die Plattform-Module leicht transportiert, gestapelt oder in ihrer Anordnung variiert werden, sodass einzelne Sitzinseln bis hin zu ganzen Sitzlandschaften zusammengestellt werden können. Doch trotz aller Strenge: Mit ihren vertikalen und horizontalen Durchlässen erzeugt die Aluminiumkonstruktion ein differenziertes Licht- und Schattenspiel am Boden, das mit dem Sonnenstand variiert.

Auch wenn Kunststoff im Wohnraum derzeit einen schweren Stand hat, ist das Material im Außenbereich nicht wegzudenken. Welche Qualitäten einem Plastikmöbel zu entlocken sind, zeigt Philippe Starck mit seinem Sofa Uncle Jack für Kartell. Der Entwurf besticht durch seine Transparenz bei einer gleichzeitigen Reduktion der gestalterischen Mittel. Indem die breite Sitzfläche mitsamt ihrer überhohen Rückenlehne ohne statische Verstärkungen oder dekorativen Elemente auskommt, werden die Be-Sitzer des Möbels nicht nur optisch zum Schweben gebracht. Auch verschmilzt das durchsichtige Möbel im ungenutzten Zustand mit seiner Umgebung. Mit einer Breite von 190 Zentimetern und einer Höhe von 95 Zentimetern markiert das 30 Kilogramm schwere Sofa zugleich eine technische Innovation: Es ist das größte Spritzgussobjekt, das bislang in einem Stück erzeugt wurde.


02 Die Liege
Puristisch zeigt sich die Sonnenliege Mirto, die Antonio Citterio für B&B Italia entworfen hat. Die Liege ist Teil einer Kollektion, die auch mehrere Tische sowie einen Faltsessel im Stil eines Filmregisseur-Stuhls umfasst. Der Entwurf kombiniert einen schlanken Rahmen aus Druckguss-Aluminium mit einem präzise bespannten Hightech-Textil. Diskretion herrscht auch in puncto Bewegung. Anstatt mit großen Rädern die eigene Mobilität zu betonen, genügen zwei winzige Rollen an den Fußenden, um das wohlproportionierte Gefährt an einen neuen Stadtort zu bewegen. 

Dass Südamerika auf der Landkarte des Designs an Boden gewinnt, unterstreicht das neue Möbellabel TOG, das während der Mailänder Möbelmesse 2014 vorgestellt wurde. Auch wenn die Produktion der Objekte in Italien erfolgt, hat das Unternehmen seinen Sitz in Brasilien. Die meisten Entwürfe der ersten Kollektion entstammen der Feder von Philippe Starck, der allerdings kaum mehr als eine Abwandlung seiner Kunststoffarbeiten für Driade und Kartell aus den neunziger Jahren aus dem Hut zauberte. Wagemutiger ging der italienische Designer Nicola Rapetti ans Werk, dessen aus Polyethylen gefertigte Chaiselongue Amber Fame an einen amorphen Körper erinnert und von vier passenden Hockern ergänzt wird. 

03 Der Sessel
Inspiration für seinen Sessel Poncho fand das Designerduo Paolo Lucidi und Luca Pevere bei der Befestigung von LKW-Planen. Die komfortablen Polster werden durch ein wasserabweisendes Gewebe vor Nässe geschützt, das mit groben Kevlar-Schnüren an einem metallenen Rahmen vertäut wurde. Die Besonderheit des Entwurfs liegt in seiner Intimität. Anstatt eine leichte, immaterielle Struktur zu bilden, schmiegt sich der Sessel wie ein schützender Kokon um seinen Be-Sitzer. Wagt sich der Möbelhersteller Living Divani mit diesem Entwurf zum ersten Mal vom Innen- in den Außenbereich, geht der Outdoor-Spezialist Dedon den umgekehrten Weg. Der von Stephen Burks gestaltete Sessel Ahnda überträgt die Anmutung eines geflochtenen Gartenmöbels in den Wohnraum. Anstelle wetterresistenter Kunststoffschlaufen werden besonders weiche Stoffbänder verflochten, die den Komfort des Möbels erhöhen und zudem mit schimmernden Farben aufwarten.

Ein Klassiker an der Gartenfront ist das Sesselduo Acapulco & Condesa. Beide Entwürfe unterscheiden sich lediglich durch die Höhe der Rückenlehne und durften bereits in den fünfziger Jahren auf keiner Pool-Party fehlen. Waren die Möbel über lange Zeit nur antiquarisch zu beziehen, wurden sie nun vom französischen Hersteller Sentou wieder aufgelegt. Die Produktion erfolgt zwar nicht im namensgebenden Acapulco, sondern in einem Problemviertel von Mexiko-Stadt, wo junge Erwachsene mit fairer Bezahlung von der Straße geholt werden sollen. 

04 Der Stuhl
Auf ein 125-jähriges Jubiläum blickt in diesem Jahr der Klappstuhl Bistro von Fermob zurück. Der Zeitgenosse des Eiffelturms war ursprünglich für die Tanzlokale am Pariser Seine-Ufer entwickelt worden. Dank seiner handlichen wie widerstandsfähigen Metallkonstruktion sowie einer Palette von 24 Farben wurde der Stuhl zum Synonym für Garten- und Terrassenkultur schlechthin. Einen Grund für die schnelle Verbreitung war eine gesetzliche Verordnung. So konnten französische Limonadenverkäufer die ungleich höhere Gewerbesteuer für eine feste Terrasse umgehen, wenn ihre Kunden auf einem Bistro-Stuhl in der Sonne ihre Limonade tranken. 

Ein weiterer französischer Gartenklassiker ist das Modell A von Tolix, das 1934 von Xavier Pauchard entwickelt wurde. Obwohl der Entwurf in keiner Designsammlung fehlen darf, hielt sich der kommerzielle Erfolg über lange Zeit in Grenzen. Erst als das Familienunternehmen 2006 von seiner früheren Finanzbuchhalterin Chantal Andriot übernommen wurde, kam frischer Wind in die Produktion. Das Unternehmen bezog eine neue Fabrik und erweiterte seine Produktpalette mit neuen Modellen und Farben. Dass sich das Engagement gelohnt hat, zeigt ein Besuch in Paris. Ganz gleich, ob am Canal St. Martin, im Marais oder in St. Germain: Die leicht unförmig wirkenden Stahlmöbel sind aus keinem In-Lokal mehr wegzudenken und haben längst weltweit erfolgreich Fuß gefasst. 

Obwohl nur fünf Jahre zwischen der Entwicklung des Modell A von Tolix und dem 1939 vorgestellten Landi-Stuhl vergangen sind, trennen beide Gartenmöbel Welten. Der Entwurf des Zürcher Künstlers und Gestalters Hans Coray ist der erste Stuhl, der vollständig aus Aluminiumdruckguss gefertigt wurde und anders als seine stählernen Vorgänger nicht zu rosten drohte. Durch die Kombination einer dreidimensional verformten Sitzschale mit einem getrennten Untergestell entstand eine vollkommen neue Typologie im Sitzmöbelbereich, die weiteren Klassikern wie dem Plastic Side Chair (1950) von Charles und Ray Eames den Weg ebnete. Nachdem die Produktion des Landi-Stuhls einen eher unglücklichen Verlauf genommen hatte, erfuhr der Klassiker nun durch Vitra eine Wiederauflage – und dürfte nun ein ähnliches Revival erleben wie das Modell A von Tolix zuvor.

05 Der Tisch
Etwas weiter zurück auf der Zeitschiene bewegen sich Ronan und Erwan Bouroullec mit ihrem Tischprogramm Officina für Magis. Gefertigt aus gehämmertem Schmiedeeisen, erliegt das Möbel ganz dem Charme des 19. Jahrhunderts. „Wir wollten mit diesem alten Produktionsprozess arbeiten und ihm eine neue visuelle Sprache geben“, erklären die beiden Brüder ihren Ansatz. Aufgrund seiner leicht unebenen Oberfläche verliert Schmiedeeisen seine industrielle Härte. Weil der Zufall in ihre Entstehung mit eingewoben wurde, wirken die Tische lebendig. Sie scheinen auf seltsame Weise bereits gealtert zu sein scheinen und stiften Vertrauen. 

Der entscheidende Punkt liegt genau an dieser Stelle: Die neuen Gartenmöbel lassen die dekorativen Formen der vergangenen Jahre hinter sich und erfüllen das Bedürfnis nach Archaik und Zeitlosigkeit mit Ausflügen in die industrielle Tradition. Die Uhren des Alltags sollen damit nicht automatisch zurückgestellt werden. Im Gegenteil: Es geht um verlässliche und handfeste Werte – im ideellen wie im materiellem Sinne. Indem Ikonen des frühen 20. Jahrhunderts ihre Aktualität beweisen, erhält die Domestizierung des Gartens keinen Dämpfer, sondern eine wohltuende, zeitliche Erdung.

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