Begehbare Wendejacke
Inside-Out-Effekt: Umbau eines Renaissance-Klosters in der italienischen Kleinstadt Gonzaga.
Wie Renaissance und Gegenwart in Verbindung treten, zeigt der Umbau eines früheren Klosters in der italienischen Kleinstadt Gonzaga. Unter der Federführung des Büros LR Architetti wurden die bestehenden Räume behutsam an zeitgemäße Bedürfnisse des heutigen Ausstellungs- und Verstaltungsortes angepasst, während ein baufälliges Treppenhaus durch einen zeitgenössischen Bau ersetzt wurde. Außen Ziegel, innen Beton.
Die Spuren der Zeit sind am Kloster Santa Maria in Gonzaga deutlich zu erkennen. Der 1490 nahe der Ruinen einer römischen Villa errichtete Bau erlebte immer wieder Phasen des Wachstums und des Niedergangs. Schon im späten 16. Jahrhundert zogen sich die Mönche der Eremiten-Bruderschaft zurück und überließ den Komplex dem Marquis Luigi Gonzaga als Wohnhaus. Später ging es in den Besitz der Gemeinde über und diente als Sitz der Stadtbibliothek sowie als Veranstaltungsort mit Ausstellungen und Konzerten für die Region.
Adaption des Vorhandenen
Weil ein Teil des Nordflügels baufällig geworden war und das zentrale Treppenhaus gesperrt werden musste, entfiel die bisherige Nutzung des Obergeschosses. Genau an dieser Stelle kamen nun die Architekten Sara Lonardi und Enrico Maria Raschi vom Büro LR Architetti ins Spiel, die 2010 den Wettbewerb zur Neugestaltung des früheren Klosters für sich entscheiden konnten. Den sichtbarsten Teil ihres Eingriffs markiert das neue Treppenhaus, das seinen baufälligen Vorgänger am Nordflügel des Klosters ersetzt. Bei der Fassadengestaltung setzte das Architektenduo aus Mantua auf ein bewährtes wie wirkungsvolles Prinzip: Sie „durchbohrten“ das massive Backstein-Volumen mit drei präzise gesetzten Öffnungen, die den Rhythmus der vorhandenen Substanz weiterführen, ohne sich ihr anzubiedern.
Inside-Out-Effekt
Die neue Eingangstür sowie das Fenster im Obergeschoss sind in ihrer Höhe exakt an die Pendants des Altbaus angepasst worden. Lediglich in der Breite wurden die Proportionen etwas gestreckt, sodass ein formaler Übergang zum zweiten Fenster auf halber Höhe des Anbaus entsteht. Dieses Fenster vollzieht einen „Knick“ um die Ecke und gibt durch seine geweitete Glasfront einen Blick ins Innere frei. Die Architekten überraschen an dieser Stelle mit einer Umkehrung der Materialität.
Hinter der Fassade aus Ziegelstein tritt ein Treppenhaus mit Fahrstuhl zutage. Die karge Erscheinung der aus Sichtbeton gearbeiteten Wände und Stufen wird durch ein filigranes Metallgeländer zusätzlich verstärkt. Durch die sichtbar gebliebene Verschalung mit schmalen, horizontalen Holzleisten findet die Struktur der Backsteinfassade einen stimmungsvollen Widerklang auf der Oberfläche des Betons. Der Anbau wirkt auf diese Weise wie eine begehbare Wendejacke, bei der Innen und Außen vor dem geistigen Auge des Betrachters nach Belieben verdreht werden können.
Neue Zugänge
Auch die übrigen Räume erfuhren eine Veränderung. Im Kreuzgang des Innenhofs überwinden hölzerne Rampen den feinen Höhenunterschied zur steinernen Schwelle – und erschließen den Bau so nun barrierefrei. Die Außenseite der Rampen wird jeweils von einem offenen Regal flankiert, das zur Präsentation von Zeitschriften, Flyern und Programmankündigungen ebenso genutzt werden kann wie als temporäre Sitzbank. Für eine Verbesserung der Infrastruktur sorgt der Umbau der früheren Hausmeisterwohnung zu Toiletten und Serviceräumen, die nun sowohl das Erdgeschoss als auch das Obergeschoss des ehemaligen Klosters ergänzen.
Aus der Feder der Architekten stammen auch die beweglichen Ausstellungswände aus Sperrholz, die mit einer Linoleumschicht versiegelt wurden und von einem Stahlgestell in aufrechter Position gehalten werden. Mit ihrer rauen, sperrigen und unglamourösen Erscheinung schließt sich der Bogen zu den übrigen Interventionen, mit denen Sara Lonardi und Enrico Maria Raschi einem in die Jahre gekommen Renaissance-Gemäuer behutsam auf die Sprünge geholfen haben.
FOTOGRAFIE Marco Introini
Marco Introini