Damenstrumpf für Pfadfinder
Die neue Pfadfinder-Zentrale in Buenos Aires setzt auf Sinnlichkeit und Interaktion.
Das argentinische Architekturbüro BAAG (Buenos Aires Arquitectura Grupal) setzt mit der neuen Pfadfinder-Zentrale in Buenos Aires auf ein siegreiches Doppel: Im Zusammenspiel aus Holz und Beton verwandelt sich die Architektur in ein begehbares Möbelstück mit interaktiver Mission.
Auch wenn Pfadfinder eine natürliche Affinität fürs Zelten hegen: Ganz ohne feste Behausungen geht es auch bei dieser Jugendbewegung, die in den 1910er Jahren den gesamten Globus erfasste, nicht. Mit rustikalen Blockhütten oder miefigen Vereinsheimen hat das neue Pfadfinder-Hauptquartier in Buenos Aires jedoch kaum etwas gemeinsam. Der Entwurf von BAAG (Buenos Aires Arquitectura Grupal) vermeidet klare, hierarchische Strukturen ebenso wie eine strikte Trennung zwischen Innenraum und Stadt.
Fließende Räume
2007 ist das Büro von den Architekturstudenten Gabriel Monteleone, Griselda Balian, Maria Emilia Porcelli und Gaston Noriega gegründet worden und sorgt derzeit vor allem mit innovativen Wohnbauten in der argentinischen Hauptstadt für Aufsehen. Beim Entwurf der 340 Quadratmeter großen Pfadfinder-Zentrale stand vor allem der pädagogische Ansatz im Mittelpunkt. Anders als in normalen Schulgebäuden gibt es keine verschließbaren Klassenzimmer, sondern ein verwobenes Geflecht verschiedener Lernzonen, die sich über den zweigeschossigen Bau verteilen. „Unser Ziel ist es, mit jedem Projekt auf einen spezifischen Ort zu reagieren und somit neue Formen, Prozesse und Aktionsfelder zu erzeugen“, erklären die Architekten ihren Ansatz.
Gegen den Status Quo
Eine zentrale Aufgabe fällt der Möblierung zu, die untrennbar mit der Architektur verbunden ist. Wandelbare Regal- und Schranksysteme aus lokal gewonnenem Paradise-Tree-Holz unterteilen die Etagen in einzelne Bereiche. Mithilfe aufklappbarer Paneele, Fenster und Türen können diese Räume je nach Bedarf miteinander verbunden werden, sodass sich immer wieder unverhoffte Sichtachsen öffnen. Anstatt das Raumgefüge in einen unverrückbaren Status quo einzufrieren, kann es von den Kindern und Jugendlichen mit wenigen Handgriffen immer wieder neu konfiguriert werden. Auch zwischen den Geschossen haben die Architekten für Blickverbindungen gesorgt und steigern so die kommunikative wie interaktive Wirkung dieses Gemeinschaftsbaus.
Symbiose aus Beton und Holz
Wie ein Korrektiv zur warmen Materialität der Einbaumöbel wirken die Decken aus unbehandeltem Sichtbeton. Lediglich die Unterseite des Daches, wo ein großes Oberlicht viel Tageslicht ins Innere des Gebäudes hineinholt, erscheint in einem Holzgewand. Indem auf einen Dachstuhl verzichtet wurde, weitet sich die zweite Etage auf doppelte Raumhöhe und geht nahtlos in eine zum Hof ausgerichtete Terrasse über. Den Architekten gelingt mit der hölzernen Deckenverkleidung noch ein weiterer, spannungsvoller Effekt: Es entsteht der Eindruck, als würde plötzlich das Interieur die Architektur ummanteln und nicht umgekehrt.
Schutz der Strumpfhose
Die Wechselwirkung zwischen Innen und Außen verstärken die gläsernen Fronten an der Vorder- und Rückseite des Gebäudes, die in den Sommermonaten vollständig geöffnet werden können. Ein dreidimensionales Gitter aus verschweißten Moniereisen umschlingt die Fassaden und das Dach wie eine grobmaschige Damenstrumpfhose im Zickzack-Muster. Während die metallene Hülle einerseits Schutz vor Eindringlingen bietet, bewahrt sie allzu wagemutige Kletterer vor Stürzen. Um den Eindruck Schwedischer Gardinen zu vermeiden, wird das Gitter mit zahlreichen Pflanzen berankt. Neben Weinreben bevölkern ebenso Blumen und Kräuter die Pflanzenschalen auf jeder Etage, die von den Pfadfindern gesetzt und gepflegt werden. Auf diese Weise gedeiht eine atmosphärische Pufferzone zwischen Innenraum und Stadt, die nicht nur das Sonnenlicht zu dämpfen vermag. Sie bringt zugleich ein Stück Natur ins Spiel – wo Pfadfinder schließlich ganz in ihrem Element sind.
FOTOGRAFIE Federico Kulekdjian
Federico Kulekdjian