Das Zahnarzt-Loft
Praxis im französischen Saint-Quentin von Jordan Hoareau
In der im Norden Frankreichs gelegenen Stadt Saint-Quentin vertrauten drei Zahnärzte auf die Kreativität eines jungen Architekten, der eine ehemalige Fabrikhalle in ihre neuen Praxisräume verwandelte. Nun werden die Patient*innen inmitten von zementgebundenen Spanplatten, Billardtischen und konstruktiv eingesetzten Stoffnetzen behandelt.
Schon nach dem zweiten Besichtigungstermin erwarben die Zahnmediziner die unterste Etage eines mehrstöckigen Wohnhauses sowie die dazugehörige ehemalige Fabrikhalle im Hinterhof. Die insgesamt 735 Quadratmeter mitten im Zentrum der Kleinstadt Saint-Quentin nahe der belgischen Grenze boten genügend Platz für den Bau ihrer neuen Behandlungszimmer, Prothesenräume und eines Operationssaals.
Architektur mit Geschichte
„Absolut spannend“ fand auch der mit dem Projekt beauftragte Architekt Jordan Hoareau die Vorstellung, diesen geschichtsträchtigen Ort in eine Zahnarztpraxis zu verwandeln. Schließlich wurden dort schon Eisenwaren produziert, Textilien gelagert und in jüngster Vergangenheit sogar Motorräder verkauft. Die unterschiedlichen Nutzungskonzepte und die damit einhergegangenen Umbauten hatten aber auch zur Folge, dass die ursprünglich so großzügige Fabrikhalle durch diverse Raumteilungen in beengte Zonen zerstückelt worden war. Um das Vorhaben der Zahnärzte zu realisieren, musste daher zunächst die gesamte Gebäudekonstruktion saniert werden. Dass die dabei freigelegten Strukturen zur innenarchitektonischen Inspirationsquelle werden sollten, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Freigelegte architektonische Highlights
„Der wirkliche Zauber des Ortes wurde mir erst bewusst, als ich vom Boden der völlig entkernten Fabrikhalle auf den freigelegten Dachboden mit seinen üppigen Dachbalken schaute. Ich konnte mich dieser Perspektive einfach nicht entziehen und wollte den Bereich auf keinen Fall ungenutzt lassen, obwohl er in unserer ursprünglichen Planung überhaupt keine Rolle spielte“, erinnert sich Jordan Hoareau. Schließlich konnte er auch seine Auftraggeber davon überzeugen, den Dachbodenbereich in die obere Etage der Halle zu integrieren, die ausschließlich den Mitarbeitern der Praxis vorbehalten sein sollte. Die zweite Eingebung erfuhr der Architekt aus Bordeaux, als im Laufe des weiteren räumlichen Rückbaus substanziell gut erhaltenes Backsteinmauerwerk an den Grundmauern zum Vorschein kam. „Die raue Oberfläche des Backsteins bot sich wie selbstverständlich als wunderbarer Kontrast zu den sterilen und weißen Strukturen an, die in der Zahnmedizin nun einmal unumgänglich sind“, erklärt Hoareau.
Alternative Wände und Böden
Die Notwendigkeit der räumlichen Privatsphäre in einer Arztpraxis stellte den Franzosen dagegen vor ein Dilemma, das er jedoch mit einem genialen Konzept löste: Anstatt in der Halle eine durchgängige Zwischenebene einzuziehen, um auf der unteren Etage separate Zimmer zu schaffen, ließ er Boxen aus zementgebundenen Spanplatten anfertigen und in die Halle stellen. Sie dienen nicht nur als individuelle Behandlungszimmer zu ebener Erde, sondern auch als Fußböden für die darüberliegende Mitarbeiteretage. Als Alternative zu Wänden und Bodenflächen in den Fluren ließ Hoareau dort gitterartige, solide Stoffnetze einbauen, die den Durchblick zur Hallendecke gewährleisten und das Erdgeschoss weitgehend natürlich beleuchten. Darüber hinaus dienen die Netze dem Praxispersonal als Liegefläche in den Pausen.
Gelungene Experimente
Das aufwändige Projekt, das zweieinhalb Jahre Bauzeit und ein Millionenbudget in Anspruch nahm, scheint sich jedenfalls für alle Beteiligten gelohnt zu haben. Mindestens fünf Mal am Tag würden die Mitarbeiter auf die ungewöhnliche Architektur angesprochen, erzählt Jordan Hoareau. Für ihn selbst ergab sich aus dem Projekt sogar gleich der nächste Auftrag: Aktuell baut er einen verfallenen Bauernhof in ein modernes Landhaus um, das einer der drei Zahnärzte als Zweitwohnsitz nutzen möchte.
FOTOGRAFIE © Jordan Hoareau Architecture
© Jordan Hoareau Architecture
Projekt | Zahnarztpraxis |
Entwurf | Jordan Hoareau |
Standort | Saint-Quentin, Frankreich |
Fläche | 735 Quadratmeter |
Fertigstellung | 2021 |
Innenausbau und Möbel
Boxen aus zementgebundenen Spanplatten | Investwood |
Stoffnetze | Loftnets |
Holztische mit Glasplatte | Menuiserie Mirolo |