Der Ideentresor
Erbe zeitgenössisch interpretiert: Wie ein ehemaliges Bankhaus in Montreal zum Firmensitz eines Start-ups wurde.
Im Glanz der Vergangenheit: Als Henri Cleinge beauftragt wurde, ein denkmalgeschütztes Bankhaus in den Firmensitz eines jungen Start-ups zu transformieren, begegnete der kanadische Architekt dem eklektischen Baustil des Innenraumes mit einer modernen, reduzierten Formensprache. Dabei griff er das Erbe der Vergangenheit in der Zusammenstellung der Materialien auf und interpretiert es stilistisch neu.
Pompös wäre wohl das treffendste Attribut, um die Räumlichkeiten in ein Wort zu fassen. Die über tausend Quadratmeter große Schalterhalle der ehemaligen Zentrale der Royal Bank auf der Rue Saint-Jacques in Montreal erinnert mit ihrem dreizehn Meter hohen Mittelschiff, den gewölbten Gängen und den großen Bogenfenstern an eine römische Basilika. Auch die mit Heraldik bestückten Wände und die massiven Kassettendecken wirken weit entfernt von der modernen Bürolandschaft, die man üblicherweise mit einem zeitgenössischen Start-up in Verbindung bringen würde. Der neue Sitz des Kollektivs Crew, der neben Büroräumen auch einen Coworking Space und ein Café umfasst, ist geradezu ein Musterbeispiel der Beaux-Arts-Architektur. Mitte der 1920er Jahre von dem New Yorker Büro York & Sawyer geplant, sollte die Bank durch seine eindringliche Pracht Stabilität und Macht verkörpern und den Kunden ein gewisses Maß an Ehrfurcht abverlangen.
Architektonische Referenzen
Von der ursprünglichen Wirkung hat der Bau bis heute nichts eingebüßt. Der Grundriss wird weiterhin durch die Seitenschiffe des Kassensaals sowie die alten Bankschalter unterteilt. Die Tresen aus rotem Levanto-Marmor mit in Messingrahmen eingefassten Trennfenstern separieren immer noch den öffentlichen Bereich von dem der Angestellten. Dass der Saal zumindest zum Teil weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich sein sollte, korrespondiert mit der Idee des Kollektivs, ein großes Netzwerk an Autoren, Designern, Entwicklern und Architekten aufzubauen und diese untereinander, aber vor allem mit verschiedenen Unternehmen zu verknüpfen.
Glas und Messing als stilistische Konstante
Als formale Konstante verwendete der ortsansässige Architekt Henri Cleinge vor allem Flächen aus Glas und Messing und setzte sie in Kontrast zu schwarzen Konturen. So legt sich ein langer Café-Tresen wie ein grauer Balken vor die alten Bankschalter, davor befinden sich ebenso schlichte Tische mit schwarzen Stühlen. Sie werden von großen, mit Platten aus gebürstetem Messing verkleideten Einbauten beidseitig flankiert, die sich in ihrer Größe und Materialität perfekt in den Raum integrieren.
Minimalistische Büroeinbauten
Die minimalistischen Quader beherbergen kleine Arbeitsräume, die teils von der Vorderseite und teils von der Rückseite zugänglich sind. Zwischen zwei dieser Kästen befindet sich ein verglaster Durchgang, durch den die Mieter des Coworking Space in den hinteren, geschlossenen Bereich gelangen, in dem mit Arbeitsleuchten ausgestattete Schreibtische wie in einem Großraumbüro aneinandergereiht stehen. Hinter der Bar, auf der gegenüberliegenden Seite der Bankschalter, wurden zusätzliche Bauten platziert, deren Innenraum mit Platten aus gebürstetem Messing verkleidet wurden und die als Konferenzräume sowohl den Mitarbeitern als auch den Mietern des Coworking Space zur Verfügung stehen. Trotz der schwer anmutenden Materialien bewahren die Konstruktionen eine gewisse Leichtigkeit, die durch die Verwendung von Glas zur Beibehaltung von Blickachsen und dem Einbau von Lichtpaneelen an den Decken der Arbeitsräume erreicht wird.
Auf den ersten Blick könnte man annehmen, weiterhin eine Bankfiliale zu betreten, wobei sich die Atmosphäre sinnbildlich auf die neue Nutzung übertragen lässt: In derartigen Räumlichkeiten wird jede Tätigkeit mit der Aura großer Wertschätzung veredelt. Vermutlich ist der Akt der Umwidmung des Bankgebäudes auch ein symbolischer, wenn heute kognitives Kapital eine neue Währung darstellt, die einstige Geldflüsse alt aussehen lässt. Nicht umsonst heißt es Ideenreichtum.
FOTOGRAFIE Adrien Williams
Adrien Williams