Diagonale Datscha
In Bergamo entwirft Francesca Perani ein eklektizistisches Gartenhaus
Wenn die Wände dieses Mikrohauses in der Lombardei sprechen könnten, hätten sie sicherlich einiges zu erzählen. Denn Francesca Perani ist nicht nur Architektin, sondern auch leidenschaftliche Grafikerin, Feministin und Weltbürgerin, und das sieht man ihren Projekten an. Aus einer Veranda der Fünfzigerjahre entwickelte sie ein Refugium für ein italienisch-iranisches Paar, ihre zwei Kinder und deren Gäste. Mit einfachen Materialien und möglichst wenig rechten Winkel gelang ihr ein höchst individueller Ort mit eklektizistischem Stilmix, orientalischer Inspiration und jeder Menge „schräger“ Ideen.
„Mich interessieren Experimente und riskante Optionen, von denen ich glaube, dass sie Räume emotionaler gestalten können“, sagt die Architektin Francesca Perani, die sich in ihren Arbeiten gegen gerade Linien und minimalistische Ansätze wendet und stets den Einsatz ausdrucksstarker Materialien und Kompositionen propagiert. Doch auch sonst nimmt Perani eine wenig konformistische Rolle ein. Neben der Architektur widmet sie sich aktivistischen Projekten wie RebelArchitette, mit dem sie weibliche Architektinnen auf der ganzen Welt fördert und eine gleichberechtigte Sprache fordert.
Lichter Laubengang
Man könnte sagen, dass die Italienerin auch architektonisch eine eigene Sprache gefunden hat, die treue Anhänger findet. In der italienischen Provinz Bergamo erhielt sie einen Folgeauftrag. Schon vor Jahren renovierte sie das alte Wohnhaus ihrer Auftraggeber, ein Ärzte-Paar mit iranischen und italienischen Wurzeln. Nun sollte eine angrenzende Veranda aus den Fünfzigerjahren renoviert werden. Zuvor als Abstellraum genutzt, verwandelte Perani die 25 Quadratmeter große Fläche in ein zusätzliches Apartment zum Lesen und Entspannen für die vierköpfige Familie sowie als Gästezimmer für Freunde und Verwandte. „Ich wollte ein flexibles Mikrohaus für jede zukünftige potenzielle Verwendung schaffen, bei dem ich sowohl die erwachsenen Kinder als auch ältere Gäste vor Augen hatte“, so die Planerin.
Persischer Paravan
Wo sich einst weite Öffnungen des Laubenganges befanden, integrierte sie große Fensterflächen und eine verglaste Tür. So bleibt die Südseite des röhrenförmigen Vorbaus mit der benachbarten Gartenanlage verbunden und wird mit natürlichem Licht und frischer Luft versorgt. Für optische Abgrenzung vom Grün des Gartens sorgt eine rostrote Fassadenfarbe und ein mit einigem Abstand vor der Wand platzierter Paravan aus perforiertem Metallblech, den die Architektin fächerförmig im Boden anordnete. Er diene als Referenz zu traditionellen und zeitgenössischen Markisen im Iran und orientiere sich an dem Bedürfnis nach Privatsphäre, kommentiert Perani.
Auch im Innenraum integrierte sie Bezüge zu orientalischer Gestaltung. „Indigo ist im Iran die Farbe von Fliesen in Moscheen und Palästen“, erklärt die Architektin, die das gesamte Badezimmer damit einfärbte. Böden, Decke und sogar Natursteinwände überzog sie mit tiefblauem Harz. Und auch im Wohnbereich findet man Akzente im selben Farbton. Hier allerdings dezent und zum Teil versteckt, denn die Planerin beabsichtigte eine möglichst klare Unterscheidung beider Räume. So verkleidete sie den gesamten 19 Quadratmeter großen Wohnbereich mit Grobspanplatten, die sich nicht nur in Farbe und Textur vom Bad absetzen. Durch den vollflächigen und nahtlosen Einsatz der organisch strukturierten OSB-Platten sollte der Raum auch größer erscheinen.
Diagonale Dimension
Doch das warmtonige Holz hat noch weitere Vorteile. Zum einen sind die Platten kostengünstig. Zum anderen erlaubten sie kreative Kniffe, die Raumwirkung und -effizienz des multifunktional angelegten Wohnbereichs steigern sollten. „Die begrenzte und extrem schmale Dimensionen des Gebäudes legte eine speziell entwickelte Inneneinrichtung nahe, in der Flexibilität und Mehrfachnutzungen zu Schlüsselfaktoren wurden“, sagt Perani. So entwickelte sie aus weit in den Innenraum ragenden Fensterbrettern gemütliche Sitzgelegenheiten. Und schuf aus einem über die gesamte Längsseite verlaufenden Podest gleichsam eine Bank und Stauraum.
Auch diagonale Linien sollen helfen, den Raum funktionaler zu machen und ihm eine gewisse Dynamik zu verleihen. Wer sich genau umsieht, findet diese wie auch eine immer wiederkehrende Dreiecksform in etlichen Details im Innen- und Außenraum. Das verbindet die sonst so unterschiedlichen Zonen. Um das Experiment noch weiter zu treiben, kombinierte Francesca Perani eine Arbeitsplatte in schwarz-weißer Marmoroptik und klobige Kunststoffgriffe aus den Sechzigerjahren. So entstand ein exzentrischer Farb-, Muster- und Materialmix, der das Mikrohaus zu einem „aktivistischen“ Vorzeigebeispiel macht. Eine expressive wie vielsagende Architektur, die durchaus Nachahmer finden sollte.
FOTOGRAFIE Francesca Perani
Francesca Perani
Mehr Projekte
Ein Zuhause aus Licht und Pflanzen
Umbau einer Sechzigerjahre-Wohnung in Mailand von SOLUM
Wohnen in Blockfarben
Umbau einer Scheune bei Barcelona von h3o Architects
Olympisches Raumspiel
Reihenhaus-Renovierung im Olympischen Dorf München von birdwatching architects
Ganz der Kunst gewidmet
Atelier für eine Malerin in Germantown von Ballman Khapalova
Heiter bis holzig
Zweigeschossiges Wohnhaus mit Farbakzenten im Hudson Valley von nARCHITECTS
Kreative Transformationen
Nachhaltiges Bauen mit regionalen Ressourcen und innovativen Produkten von JUNG
Von der Enge zur Offenheit
Filmreifer Wohnungsumbau in Madrid von GON Architects
Leben im Schweinestall
Historisches Stallgebäude wird modernes Familienheim
Surferträume im Reihenhaus
Umbau eines Sechzigerjahre-Wohnhauses in Norwegen von Smau Arkitektur
Wabi-Sabi am Hochkönig
Boutiquehotel stieg’nhaus im Salzburger Land von Carolyn Herzog
Faltbarer Transformer
Ein ländliches Wochenendhaus in Argentinien von Valentín Brügger
Funktionale Fassaden
Verschattung im Bestand und Neubau
Wohnhaus in Kurvenlage
Neubau mit rundem Garten in Südkorea von Sukchulmok
Palazzo mit Patina
Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari
Alte Scheune, neues Leben
Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum
Gebaut für Wind und Wetter
Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger
Ein Dorfhaus als Landsitz
Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal
Ein offenes Haus
Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona
Harte Schale, weicher Kern
Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura
Zwischen Bestand und Zukunft
Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel
Offen für Neues
Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur
Baden unter Palmen
Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen
Maßgeschneidertes Refugium
Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design
Rückzugsort im Biosphärenreservat
MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald
Im Dialog mit Le Corbusier
Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL
Warschauer Retrofuturimus
Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio
Trennung ohne Verluste
Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten
Architektur auf der Höhe
Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York
Architektur im Freien
Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien
California Cool
Mork-Ulnes Architects restaurieren das Creston House von Roger Lee in Berkeley