Eidgenossen in Chicago
Das Schweizer Konsulat von HHF und Kwong Von Glinow
Weit mehr als eine schnöde Anlaufstelle für Visa-Formalitäten ist das Schweizer Konsulat in Chicago. Es zeigt sich in rundum erneuertem Gewand. Die Büros HHF aus Basel und Kwong Von Glinow aus Chicago wandeln bei der Inneneinrichtung auf den Spuren von Otto Kolb – einem visionären Schweizer Architekten, dessen Möbel einst im Playboy ganz groß rauskamen.
Der Willis Tower (1974) mag mit 442 Metern noch immer das höchste Gebäude in Chicago sein. Doch das ebenfalls von SOM Architekten entworfene John Hancock Center ist ungleich eleganter. Der 1965 bis 1969 erbaute Turm verjüngt sich mit seinen geneigten, schwarz eloxierten Aluminiumfassaden wie ein riesiger Keil auf 344 Meter Höhe. Das außen liegende Stahlskelett verfügt über diagonal verspannte Träger, die ein rautenförmiges Muster erzeugen und so den starken Winden in Chicago besser widerstehen.
Kurzum: Das John Hancock Center ist eine erste Adresse, auch wenn es längst nicht mehr so heißt. Nachdem die Bauherrin – die John Hancock Versicherungsgesellschaft – ausgezogen war, wurde das 100-stöckige Bauwerk 2018 in seine Anschrift umbenannt: 875 North Michigan Avenue. Andere Mieter*innen sind hingegen geblieben – wie das Schweizer Konsulat. Die 139 Quadratmeter großen Büroräume auf der 38. Etage sind nun neu eingerichtet worden: in einer Zusammenarbeit von HHF Architekten aus Basel und Kwong Von Glinow aus Chicago.
Transatlantische Brücke
Jedes Projekt braucht ein stimmiges Narrativ. Und das haben die Planer*innen in der Person von Otto Kolb (1921-1996) gefunden. Der in Schaffhausen geborene Architekt experimentierte mit offenen Grundrissen, die die Horizontale und Vertikale gleichermaßen einbezogen. Er forderte einen schonenden Umgang mit den Ressourcen durch den Einsatz recycelter Baustoffe. 1948 wurde Kolb an das New Bauhaus des Institute of Design in Chicago berufen, wo er Produktgestaltung unterrichtete und erste eigene Bauprojekte realisierte. Nach einer Station in New York kehrte er in den Sechzigerjahren in die Schweiz zurück, wo er sein eigenes Wohnhaus errichtete: einen gläsernen Rundbau, bei dem die Räume ineinander fließen und die Etagen durch eine großformatige Wendeltreppe verbunden werden.
Kommunikativer Kern
Das Schweizer Konsulat in Chicago folgt dem Aufbau des Wohnhauses von Kolb. Den Mittelpunkt definiert allerdings keine Treppe, sondern ein mit zahlreichen Pflanzen bewachsener Raum, in dem sich die Belegschaft in den Pausen aufhalten können. Die Wände sind ebenso in grüner Farbe gehalten wie die Fronten und Rückwände der Küche, deren Arbeitsflächen aus grünem Marmor gearbeitet sind. Es ist ein Ort der Kommunikation und Interaktion, wo alle Wege zusammentreffen: zu den Büros, zum Besprechungszimmer, zu den Technik- und Lagerräumen sowie zum knallrot gestalteten Tresen, an dem die Gäste empfangen werden.
Drei-Generationen-Sprung
Milchglaswände reichen bis unter die 4,26 Meter hohen Decken. Sie trennen die einzelnen Bereiche und lassen dennoch viel Tageslicht ins „grüne Herz“ des Konsulats passieren. In dessen Mitte steht ein Hochtisch mit amöbenförmigem Grundriss, der an die berühmte Savoy-Vase von Alvar Aalto denken lässt. Die hölzerne Tischplatte wird von einem Sternfuß aus verchromtem Stahl über den Terrazzoboden angehoben. Die Schweizer Designerin Ginger Zalaba ließ sich bei diesem Tischentwurf von Möbeln ihres Großvaters Otto Kolb inspirieren.
Um den Tisch gruppieren sich fünf Hochhocker mit Stahlgestellen und karamellfarbenen Lederschalen, die ebenfalls der Feder von Otto Kolb entsprungen sind und von Ginger Zalabas eigener Produktionsfirma Zalaba Design hergestellt werden. Eine für den Essbereich konzipierte Ausführung des Sitzmöbels kommt in achtfacher Ausführung im Konferenzraum des Konsulats zum Einsatz, ergänzt um einen passenden Tisch mit rechtwinklig dimensionierter Tischplatte.
Leuchtende Akzente
Einen Gegenpol zur Orthogonalität bildet die organisch geformte Pendelleuchte Pétale, die Odile Decq für Luceplan gestaltet hat und die die Lichtquelle unter einem weißen Textilbezug mit schallschluckenden Qualitäten verbirgt. Einen kulturellen Brückenschlag von Ost nach West vollzieht die Bodenleuchte Akari BB3-33S, die der japanische Designer und Wahl-New-Yorker Isamu Noguchi entworfen hat. Der Klassiker aus dem Jahr 1951 mit handgefertigtem Papierschirm wird heute von Vitra produziert. Die weiteren Pendel- und Schreibtischleuchten verfügen über doppelkonische Metallschirme und stammen von Otto Kolb. Auch sie wurden von Zalaba Design hergestellt.
Im Büro der Konsulatsleitung können Besucher*innen auf zwei Aisuu-Sesseln Platz nehmen, die nach einem Redesign durch Ginger Zalaba bei Walter Knoll in Serie gegangen sind. Es handelt sich hier um eine „gestutzte“ Version des Originalentwurfs von Otto Kolb, der über weit auskragende Armlehnen verfügte. Die fotogenen Qualitäten dieses Sitzmöbels sorgten dafür, dass bereits der Prototyp 1950 von der Zeitschrift Playboy abgelichtet und anerkennend als „Love Seat“ gehuldigt wurde. Genau an dieser Stelle schließt sich der Kreis von der Schweiz nach Chicago: Schließlich wurde auch Playboy-Gründer Hugh Hefner in der windigen Stadt am Michigansee geboren, wo die Beantragung eines Visums im Schweizer Konsulat nun zum gestalterischen Erlebnis wird.
Ort | Chicago, Illinois, USA |
Gebäude | 875 North Michigan Avenue (früher John Hancock Center) |
Architektur | Skidmore, Owings and Merrill (SOM) |
Position | 38. Stockwerk |
Interieur | HHF Architekten (Basel) und Kwong Von Glinow (Chicago) |
Größe | 139 Quadratmeter |
Möbel | Zalaba Design, Walter Knoll |
Leuchten | Zalaba Design, Vitra |