Ein Haus wie Houdini
Gut versteckte Moderne: ein Wohnhaus in Lissabon.
Alles nur Fassade: In Lissabons Zentrum hat sich ein Architekt einen modernen Wohntraum erfüllt, der die historische Stadtlandschaft nicht stört. Denn die tatsächliche planerische Revolution, die Typologien der Moderne zitiert, ist dem Haus nicht an der Front anzusehen. Sie erschließt sich dem Besucher nur im Inneren, wo Beton, Glas und ungewöhnliche Sichtachsen zum offenen Wohnideal einer Familie werden.
Lissabon wird heute die Art von Zuneigung zuteil, die vor einigen Jahren Städten wie Berlin galt: Alte Gebäude sorgen für morbiden Charme und ziehen mit vergleichsweise günstigen Mieten Künstler, Musiker und Designer in die Stadt. Der portugiesische Leerstand ist eine Folge der Finanzkrise, die Reaktion darauf vielleicht typisch für das für seine eigene Kulturgeschichte sehr sensible Land: Die verlassenen Häuser und historischen Prachtbauten wurden größtenteils mit viel Feingefühl und Respekt modernisiert. Die Straßenansicht verrät oft wenig über das manchmal progressive Innenleben.
Assimilierte Architektur
Der Neubau, der sich zwischen historischen Fassaden in einer kleinen Gasse Lissabons einreiht, greift den Chamäleon-Charakter des Bestands auf. Er fügt sich in seine Häuserreihe ein, als wäre er schon immer da gewesen. Auf den zweiten Blick sind die Zitate des urbanen Bestands aus vergangenen Bauepochen aber deutlich als solche zu entlarven: Wo sonst heruntergelassene Rollladen Gebäude als verlassen markieren und den Blick ins Innere verwehren, hat dieses Haus nur durch Mauervorsprünge angedeutete Fenster. Lediglich ein Bogenfenster in der obersten Etage und die Tür öffnen sich tatsächlich zur Straße. Der Rest ist Kulisse, die die radikale Architektur, die hinter dem Eingang wartet, tarnen soll.
Hommage à Hollywood
In dem kastigen, in Pastell gestrichenen Bau wohnt der Architekt Daniel Zamarbide mit seiner Familie. Er hat das Haus gemeinsam mit Leopold Banchini entworfen und damit gleichzeitig eine Hommage an den Architekten Irving Gill errichtet. Der amerikanische Architekt hatte 1914 in West Hollywood das sogenannte Dodge House gebaut. Dessen revolutionäre Moderne wurde allerdings erst in den Sechzigerjahren gewürdigt, bevor es trotz einiger Proteste von Experten 1970 abgerissen und durch einen Apartmentblock ersetzt wurde. Das Dodged House von Zamarbide setzt auf viele der architektonischen Eigenschaften, die auch Gills Arbeit bestimmt haben. Es verschließt sich zur Stadt und öffnet sich zum privaten Außenraum, es nutzt den verfügbaren Innenraum effizient, aber unkonventionell und zeigt sich zumindest seinen Bewohnern offen.
Konsequent transparent
Insgesamt 94 Quadratmeter bietet das Haus – nicht viel, wenn man bedenkt, dass sich die Fläche auf drei Etagen aufteilt, allein das Erdgeschoss 40 Quadratmeter zählt und außerdem zwei Badezimmer darin untergebracht wurden. Die Aufteilung der Etagen folgt einer übergeordneten Logik: Während das Erdgeschoss voll genutzt wird, stapeln sich die oberen Etagen mit jeweils nach unten verschlankter Fläche übereinander. Die abgezogene Fläche wird zur Leere, die den Blick vom Straßenlevel bis zum Dach erlaubt. Statt steinernen Wänden wurde zum Wohnraum hin vollflächig Glas eingezogen, sodass das Licht frei durch das gesamte Gebäude fällt – und die gesamte Architektur an ein modernes Puppenhaus erinnert.
Offensichtlich versteckt
Die vier Fenster des Gebäudes weisen alle zur privaten Hofseite, während die größte Öffnung zum Außenraum durch eine übergroße Terrassentür geschaffen wird. Bei den Materialien setzen die Architekten mit Beton, Glas und Stahl vor allem auf Materialien der Moderne. Im hinteren Bereich des Hauses erschließt eine Wendeltreppe die einzelnen Etagen, inklusive des Studierzimmers unter dem Dach. Der Architekt und Eigentümer selbst nennt sein Haus „machine à habiter“ – eine Wohnmaschine im Stil von Le Corbusier, die aber durchaus mit der Geschichte und den Typologien der Moderne zu spielen weiß. Denn trotz aller formalen Strenge wurde auch mit Augenzwinkern geplant. Am offensichtlichsten natürlich in Bezug auf seine Trick-Fassade, die das innovative Houdini-Wohnhaus für den unwissenden Passanten zwischen der alten Architektur verschwinden lässt.
FOTOGRAFIE Dylan Perrenoud
Dylan Perrenoud