Projekte

Eine Ausstellung, die Stellung bezieht

Fotografiska Berlin im einstigen Tacheles von Studio Aisslinger

Einkaufspassage, NS-Verwaltungssitz, DDR-Kino, Künstlerhaus. Das Berliner Tacheles hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Nun ist das „Fotografiska Museum Berlin“ in den denkmalgeschützten Bestand eingezogen – mit Ausstellung, Konferenzräumen und Gastronomie, gestaltet von Studio Aisslinger.

von Judith Jenner, 30.10.2023

Abriss oder Erhalt? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die wechselvolle Geschichte des Berliner Tacheles. Der Gebäudekomplex an der Friedrich-, Ecke Oranienburger Straße wurde 1908 als Einkaufspassage eröffnet, diente dem Hausgerätehersteller AEG Ende der Zwanzigerjahre als Flagship-Store und der NSDAP später als Dienstsitz. Zu DDR-Zeiten beherbergte er unter anderem ein Kino und war eigentlich dem Abriss geweiht. Doch die Wende kam dazwischen und Künstler*innen besetzten den fünfstöckigen Bau. Bis zur Räumung rund 20 Jahre später diente er als Atelier- und Partylocation, galt als Inbegriff des rebellischen Kulturlebens im Nachwende-Berlin.

Lokalkolorit fürs internationale Museum
Eine kulturelle Nutzung des historischen Bestands, der ab 2019 von Herzog & de Meuron um luxuriöse Neubauten erweitert wurde, war im Bebauungsplan festgeschrieben. Zur Art Week Berlin 2023 eröffnete darin nun das schwedische Fotografiemuseum Fotografiska seine Berliner Dependance. Wie in Tallinn oder New York war es dem Gründer Yoram Roth, Erbe einer Berliner Unternehmerfamilie, wichtig, dass der Innenausbau eine lokale Handschrift trägt, in diesem Fall von Werner Aisslinger. „Natürlich hat sich der Berlin-Spirit über die letzten Jahrzehnte weiterentwickelt. Er ist ja nicht statisch“, sagt der Designer. „Ich würde sagen, es gibt etwas sehr Metropolenhaftes, mit dem sich Besucher aus New York oder Tokio zu Hause fühlen. Dennoch ist es in Berlin immer eine Spur rauer und direkter als anderswo.“

Samt trifft Stahl
Übersetzt in Materialien bedeutet das: pure, mitunter auch industrielle Oberflächen wie roher, schwarzgewalzter Stahl oder glatter Beton, kombiniert mit in Holz eingefassten, samtigen Sofaecken und vielen Pflanzen. Denn im Gegensatz zu einem klassischen Museum nimmt die Ausstellungsfläche nur rund 1.700 der 5.500 Quadratmeter ein. Das Haus ist unabhängig von staatlichen Mitteln und finanziert sich unter anderem über die Vermietung von Konferenzräumen, Co-Working-Arbeitsplätzen und einem großen Ballsaal. Es gibt zwei Bars, ein Restaurant, eine Bäckerei und einen Shop.

Geschütztes Graffiti
Wer früher im Tacheles die Nacht zum Tag machte, wird sich über die fast original erhaltenen Treppenhäuser freuen, deren nackte Betonwände hinter buntem Graffiti verschwinden. Die Verzierungen stehen ebenso unter Denkmalschutz wie das Gebäude selbst. Werner Aisslinger ging mit dem historischen Erbe geschickt um. Das Interieur nimmt sich gegenüber den Spuren der Vergangenheit zurück und wagt gar nicht erst, mit der Patina zu konkurrieren. Wo die Wände hingegen glatt verputzt sind, setzt er selbstbewusst Muster und Farben ein.

Der Zukunft zugewandt
„Es soll eine Lebenswelt sein, in der die Besucher einige Stunden verbringen“, sagt er. „Behaglichkeit, Wohnlichkeit und Flair spielten daher eine wichtige Rolle. Wir wollen durch den Schulterschluss mit der Vergangenheit in die Zukunft blicken. Und zwar auf eine lässige Art. Genau das ist dann wieder Berlin.“

Studio Aisslinger gelang es mit dem behutsamen Umbau, das historische Gebäude in eine neue Ära zu überführen und den Spirit des früheren Berlin ein Stück weit zu konservieren. Zugleich knüpft das Fotografiska im ehemaligen Tacheles mit seinem vielseitigen Konzept an die bewegte Geschichte eines Hauses an, das immer mehr als nur einer Nutzungsidee folgte.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Projektinfos
Projektname Fotografiska Museum Berlin
Entwurf Studio Aisslinger
Standort Oranienburger Straße 54, 10117 Berlin
Fläche 5.500 Quadratmeter
Bauzeit 2019-2023
Links

Entwurf

Werner Aisslinger

aisslinger.de

Fotografiska Museum

www.fotografiska.com

Mehr Projekte

Berlin macht Blau

Das neue Relaxound-Office von Ester Bruzkus Architekten

Das neue Relaxound-Office von Ester Bruzkus Architekten

Vergangenheit neu belebt

Umbau eines historischen Verlagshauses in Sydney von Hülle & Fülle

Umbau eines historischen Verlagshauses in Sydney von Hülle & Fülle

Unter dem Mond Spaniens

Die surreal-industrielle Welt des Reisinger-Studios

Die surreal-industrielle Welt des Reisinger-Studios

Kreativ in Kortrijk

Minimalistischer Office Space von Markland Architecten und Stay Studio

Minimalistischer Office Space von Markland Architecten und Stay Studio

Japanische Offenheit

Neugestaltung des Firmensitzes von L’Oréal Japan in Tokio von The Design Studio

Neugestaltung des Firmensitzes von L’Oréal Japan in Tokio von The Design Studio

Lernen in der Alten Post

Campus der BSBI in Berlin setzt auf flexibles Interior

Campus der BSBI in Berlin setzt auf flexibles Interior

Effizienter Holzbaukasten

Büroneubau in Oslo mit durchdachter Lichtplanung

Büroneubau in Oslo mit durchdachter Lichtplanung

Akustische Glanzleistung

Sanierung der Bestuhlung im Neumarkter Reitstadel von Girsberger

Sanierung der Bestuhlung im Neumarkter Reitstadel von Girsberger

Zweite Auflage für eine Druckerei

Büro mit Tatami-Raum von INpuls in München

Büro mit Tatami-Raum von INpuls in München

Lebendige Präsentation

Neu gestalteter Showroom von Goldbach Kirchner

Neu gestalteter Showroom von Goldbach Kirchner

Infrastruktur fürs Glück

Bibliothek in Kirkkonummi von JKMM

Bibliothek in Kirkkonummi von JKMM

Möbel nach Maß

Nachhaltig transformiertes Cartier-Headquarter von Atelier Nova

Nachhaltig transformiertes Cartier-Headquarter von Atelier Nova

Das Regenbogen-Büro

Innovationsraum Space in Hamburg von Studio Besau-Marguerre

Innovationsraum Space in Hamburg von Studio Besau-Marguerre

Haus im Haus

Studio Alexander Fehres „Herzzone” für ein Büro von Roche

Studio Alexander Fehres „Herzzone” für ein Büro von Roche

Vom Sehen und Gesehenwerden

Eine Naturheilpraxis auf den Azoren von Box Arquitectos

Eine Naturheilpraxis auf den Azoren von Box Arquitectos

Besondere Böden

Fünf Projekte mit ungewöhnlicher Bodengestaltung

Fünf Projekte mit ungewöhnlicher Bodengestaltung

In eigener Sache

Ein Büro-Makeover vom Office-Spezialisten CSMM in Düsseldorf

Ein Büro-Makeover vom Office-Spezialisten CSMM in Düsseldorf

Ein sportliches Haus

Das neue Headquarter von Spillmann Echsle für On Running

Das neue Headquarter von Spillmann Echsle für On Running

Geflieste Exzentrik

Das neue Büro des kanadischen Fashion-Studios M.A.D.

Das neue Büro des kanadischen Fashion-Studios M.A.D.

Arbeiten unter Palmen

Amsterdamer Büro mit begehbaren Möbeln von Studioninedots

Amsterdamer Büro mit begehbaren Möbeln von Studioninedots

Grüne Arbeitsstruktur

Co-Working-Space in Barcelona von Daniel Mòdol

Co-Working-Space in Barcelona von Daniel Mòdol

Moderner Triumphbogen

Gebäudekomplex von Nikken Sekkei in Dubai

Gebäudekomplex von Nikken Sekkei in Dubai

In altem Glanz

Restaurierung einer historischen Villa in der italienischen Provinz Modena

Restaurierung einer historischen Villa in der italienischen Provinz Modena

Inspirationen statt Emissionen

Nachhaltiger Büroneubau von Studio Daytrip in London

Nachhaltiger Büroneubau von Studio Daytrip in London

Außen Altbau, innen New Work

Berliner Juris-Dependance am Ku’damm von de Winder Architekten

Berliner Juris-Dependance am Ku’damm von de Winder Architekten

Viel Platz für Veränderung

Atelier Gardens in Berlin-Tempelhof von MVRDV

Atelier Gardens in Berlin-Tempelhof von MVRDV

Dialog mit der Stadt

Das Verwaltungszentrum Brucity in Brüssel

Das Verwaltungszentrum Brucity in Brüssel

Bunter Community-Space

kupa Kitchen & Working Lounge von Stephanie Thatenhorst in München

kupa Kitchen & Working Lounge von Stephanie Thatenhorst in München

Facettenreiche Bürolandschaft

Vielschichtiger Workspace von SCOPE Architekten in Dresden

Vielschichtiger Workspace von SCOPE Architekten in Dresden

Komfort an der Wall Street

Die New York Stock Exchange hat umgebaut

Die New York Stock Exchange hat umgebaut