Eine Ausstellung, die Stellung bezieht
Fotografiska Berlin im einstigen Tacheles von Studio Aisslinger
Einkaufspassage, NS-Verwaltungssitz, DDR-Kino, Künstlerhaus. Das Berliner Tacheles hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Nun ist das „Fotografiska Museum Berlin“ in den denkmalgeschützten Bestand eingezogen – mit Ausstellung, Konferenzräumen und Gastronomie, gestaltet von Studio Aisslinger.
Abriss oder Erhalt? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die wechselvolle Geschichte des Berliner Tacheles. Der Gebäudekomplex an der Friedrich-, Ecke Oranienburger Straße wurde 1908 als Einkaufspassage eröffnet, diente dem Hausgerätehersteller AEG Ende der Zwanzigerjahre als Flagship-Store und der NSDAP später als Dienstsitz. Zu DDR-Zeiten beherbergte er unter anderem ein Kino und war eigentlich dem Abriss geweiht. Doch die Wende kam dazwischen und Künstler*innen besetzten den fünfstöckigen Bau. Bis zur Räumung rund 20 Jahre später diente er als Atelier- und Partylocation, galt als Inbegriff des rebellischen Kulturlebens im Nachwende-Berlin.
Lokalkolorit fürs internationale Museum
Eine kulturelle Nutzung des historischen Bestands, der ab 2019 von Herzog & de Meuron um luxuriöse Neubauten erweitert wurde, war im Bebauungsplan festgeschrieben. Zur Art Week Berlin 2023 eröffnete darin nun das schwedische Fotografiemuseum Fotografiska seine Berliner Dependance. Wie in Tallinn oder New York war es dem Gründer Yoram Roth, Erbe einer Berliner Unternehmerfamilie, wichtig, dass der Innenausbau eine lokale Handschrift trägt, in diesem Fall von Werner Aisslinger. „Natürlich hat sich der Berlin-Spirit über die letzten Jahrzehnte weiterentwickelt. Er ist ja nicht statisch“, sagt der Designer. „Ich würde sagen, es gibt etwas sehr Metropolenhaftes, mit dem sich Besucher aus New York oder Tokio zu Hause fühlen. Dennoch ist es in Berlin immer eine Spur rauer und direkter als anderswo.“
Samt trifft Stahl
Übersetzt in Materialien bedeutet das: pure, mitunter auch industrielle Oberflächen wie roher, schwarzgewalzter Stahl oder glatter Beton, kombiniert mit in Holz eingefassten, samtigen Sofaecken und vielen Pflanzen. Denn im Gegensatz zu einem klassischen Museum nimmt die Ausstellungsfläche nur rund 1.700 der 5.500 Quadratmeter ein. Das Haus ist unabhängig von staatlichen Mitteln und finanziert sich unter anderem über die Vermietung von Konferenzräumen, Co-Working-Arbeitsplätzen und einem großen Ballsaal. Es gibt zwei Bars, ein Restaurant, eine Bäckerei und einen Shop.
Geschütztes Graffiti
Wer früher im Tacheles die Nacht zum Tag machte, wird sich über die fast original erhaltenen Treppenhäuser freuen, deren nackte Betonwände hinter buntem Graffiti verschwinden. Die Verzierungen stehen ebenso unter Denkmalschutz wie das Gebäude selbst. Werner Aisslinger ging mit dem historischen Erbe geschickt um. Das Interieur nimmt sich gegenüber den Spuren der Vergangenheit zurück und wagt gar nicht erst, mit der Patina zu konkurrieren. Wo die Wände hingegen glatt verputzt sind, setzt er selbstbewusst Muster und Farben ein.
Der Zukunft zugewandt
„Es soll eine Lebenswelt sein, in der die Besucher einige Stunden verbringen“, sagt er. „Behaglichkeit, Wohnlichkeit und Flair spielten daher eine wichtige Rolle. Wir wollen durch den Schulterschluss mit der Vergangenheit in die Zukunft blicken. Und zwar auf eine lässige Art. Genau das ist dann wieder Berlin.“
Studio Aisslinger gelang es mit dem behutsamen Umbau, das historische Gebäude in eine neue Ära zu überführen und den Spirit des früheren Berlin ein Stück weit zu konservieren. Zugleich knüpft das Fotografiska im ehemaligen Tacheles mit seinem vielseitigen Konzept an die bewegte Geschichte eines Hauses an, das immer mehr als nur einer Nutzungsidee folgte.
Projektname | Fotografiska Museum Berlin |
Entwurf | Studio Aisslinger |
Standort | Oranienburger Straße 54, 10117 Berlin |
Fläche | 5.500 Quadratmeter |
Bauzeit | 2019-2023 |