Eine Kanzlei macht blau
Avantgardistisches Anwaltsbüro in Turin von SCEG
Edle Hölzer, Leder, Marmor und gediegene Farben – so stellt man sich eine stereotype Anwaltskanzlei vor. Fernab solch tradierter Klischees hat das Architektenduo SCEG in Turin avantgardistisch farbintensive Kanzleiräume entworfen, die surrealer wirken als so manches Filmset.
Agorà tauften die beiden Büropartner Eirini Giannakopoulou und Stefano Carera ihr im Auftrag eines Anwalts für Zivilrecht realisiertes Projekt. Dieser Begriff habe im antiken Griechenland für den zentralen Versammlungsplatz einer Stadt gestanden, an dem öffentliches Recht praktiziert wurde, erklärt Giannakopoulou. „Unsere Idee war, das Konzept des Ortes auf ebenso surreale wie bildhafte Weise zu interpretieren. Ich muss sagen, dass wir dabei einen sehr aufgeschlossenen Auftraggeber hatten, der sich von uns Innovation und Kreativität wünschte.“
Plakativer Klassizismus
Die Architekt*innen hatten also freie Hand, die 120 Quadratmeter große Altbauwohnung des Bauherrn in eine zeitgemäße Arbeitsumgebung für Anwälte zu verwandeln, die den Klassizismus in die Moderne transportieren sollte. Dazu griffen sie die archetypische Formensprache der Antike auf und übersetzten sie in eine abstrahierte Raumgestaltung aus steingrauen Polyurethanbögen, -stufen und -podesten, die mit chromblau lackierten Blechen verkleidet wurden. Ergänzt wurden diese bewusst kulissenhaft wirkenden Kunststoffelemente durch filigrane Strukturen aus pastellrosa lackiertem Stahl, die wahlweise als Wanddekoration, Regal oder Deckengestaltung fungieren. Leuchtend ultramarinblaue Böden kontrastieren mit grauen Wänden und anthrazitfarbenen Türen – allein die Decke ist in neutralem Weiß gehalten. Diese starke Farbgebung stünde im direkten Dialog mit Form, Material, Licht und Raum und ließe den Ort gleichermaßen plastisch wie künstlich wirken, so die Planer*innen.
Eine Prise Ironie
Passend zu der außergewöhnlichen Innenarchitektur setzten die Architekten bei der Wahl der Möbel und Kunstwerke auf Gegensätze. Ein Konferenztisch mit schwarz-weißer Terrazzo-Tischplatte wird durch eine organisch geformte, rosa Skulptur gekrönt. Schreibtische und Borde führen den Schwarz-Weiß-Kontrast fort – ebenso wie die abstrakten Kunstwerke, die entweder besonders reduziert oder farbintensiv daherkommen. Das Wandbild einer klassischen Anwaltsbibliothek mit zahllosen ledergebundenen Gesetzbüchern unterstreicht die humorvolle Note des Ambiente ebenso wie die drahtige, leuchtend blaue Skulptur mit Smartphone – eine ironische Referenz an den Kunstklassiker „La Piazza“ von Giacometti.
Surreales Interieur
Nach langen Jahren sanfter Töne und Midcentury-Designs hat sich inzwischen eine Rückkehr zu starken Farben, typisch postmodernen Gestaltungselementen sowie einer Prise Achtzigerjahre-Ironie in der Innenarchitektur etabliert. In einem so seriösen Kontext wie diesem wirkt das surreale Interieur jedoch durchaus revolutionär. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass sich dieses Projekt ausgerechnet in Turin befindet – macht die Stadt doch häufig durch außergewöhnliches Design auf sich aufmerksam. Woran das liegen könnte? „Die Frage ist schwer zu beantworten. Ich selbst bin Griechin und habe in Athen studiert“, sagt Giannakopoulou. „Aber ich denke, dass ich in Turin diese kreative Langsamkeit gefunden habe, die einem Zeit gibt, nachzudenken und die heutzutage nicht einfach zu finden ist.“
FOTOGRAFIE Barbara Corsico
Barbara Corsico
Projektname | Agorà |
Architekten | SCEG Architetti |
Standort | Turin |
Fläche | 120 Quadratmeter |
Typologie | Anwaltskanzlei |
Jahr | 2020 |