Im Büro mit Dr. No
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Der französische Designer Mathieu Lehanneur scheint ein Talent dafür zu haben, Orte und Objekte zu schaffen, die wie ein Filter für die Realität wirken und den ganz alltäglichen Dingen eine zusätzliche Bedeutungsebene geben. Nichts lag da näher, als die Räumlichkeiten einer Werbeagentur zu gestalten. In Zusammenarbeit mit der Pariser Architektin Ana Moussinet war Lehanneur für die Innenraumgestaltung des Pariser Ablegers der Agentur JWT verantwortlich. Der Designer hat die Agenturräume nach eigener Aussage in eine „digitale Pflanzenstation“ umgewandelt und versucht, „die Arbeitsmethode des Unternehmens zu reflektieren und auf die Welt der Kommunikationsprofis anzuwenden“.
Als ersten symbolischen Akt verwarf Lehanneur zunächst die gängigen Hierarchien und Autoritätssymbole eines Büros: So haben der Direktor und der Chairman der Agentur ihre Büros nun im Erdgeschoss und sind somit Teil des zentralen Arbeitsbereichs, von der Rezeption nur durch eine gepolsterte Wand getrennt. Überhaupt ist das Thema Durchlässigkeit eine der Leitideen der Gestaltung – angefangen bei der sozialen Rangordnung bis hin zu den klassischen Raumgesetzen eines Büros. Hinzu kommt die Gegenüberstellung von Gegensätzen: ein Hängepflanzen-Arrangement, das Musik abspielt oder eine Kaffeebar, die aussieht wie ein Teerklumpen – Technik versus Natur. Und als i-Tüpfelchen wurde den Angestellten Hühner zur Seite gestellt, welche nun frei im Innenhof herumlaufen.
Oldenburgs Äpfel
In der Lobby liegt ein vom Himmel gefallener Monolith. Das schwarz glänzende Ding sieht aus, als wäre eine überschwappende Ölmasse schockgefroren worden. Tatsächlich hat das Objekt aber auch eine Funktion: Es ist die Kaffeebar des Büros, zentraler Treffpunkt für die Angestellten und aus poliertem Fiberglas gefertigt. Der Tresen trennt den Eingangsbereich von den eigentlichen Büroräumen und soll die eintretenden Besucher begrüßen und natürlich auch verwirren. Lehanneur schafft gern solche Zwitter aus Natur und Künstlichkeit, Objekte die irritieren und die Frage aufwerfen: Ist das jetzt echt oder was? Die auf dem Tresen liegenden Äpfel jedenfalls wirken in diesem Ambiente nicht mehr wie reales Obst, sondern sehen aus, als hätte der Pop-Art-Künstler Claes Oldenburg sie dort als Kunstobjekte platziert.
Im Garten mit der Jukebox
Grasartige Teppichpfade führen die Besucher und Mitarbeiter um Wände und Möbel herum durch die Agenturräume – wie auf einer Wiese spaziert man durch die überblendete Realität des Büroalltags einer Werbeagentur. In den Räumen verteilt finden sich immer wieder Miniaturlandschaften bestehend aus verschieden großen, kubischen Hockern, die ein informelles Sitzen verhindern sollen: Gemütliches Zurücklehnen ist nicht erwünscht. Die geometrischen Formen werden kontrastiert mit einer Reihe von Hängepflanzen, die an den gerasterten Standard-Bürodecken hängen. Aber auch diese – zuerst ganz natürlich wirkende – Situation trügt. Denn hier ist nichts das, was es zu sein scheint. Die Pflanzen wurden von der Künstlergruppe scenocosme entwickelt und sind eine Art singendes Gewächs: Berührt man die Blätter, wird wie aus dem Nichts Musik abgespielt. Natürlich ist das kein natürliches Phänomen, sondern eine technische Raffinesse – und die dazugehörige Playlist wird von den Mitarbeitern stetig verändert. Ein weiteres Naturereignis ist der zum Einsatz kommende Raumluftfilter Andrea, den Mathieu Lehanneur in Zusammenarbeit mit dem Harvard-Professor David Edwards entwickelt hat. Das System mit integrierter Kleinpflanze sorgt nachweislich für eine Reinigung der Luft – Wurzeln und Blätter des Gewächses sind in den Filter-Kreislauf miteinbezogen.
Virtuelle Räume
Die Meetingräume stecken wie festgeklemmte Felsbrocken in der abstrakt-weißen Raumlandschaft – eine Art gebauter virtueller Raum – und bilden mit ihrer rauen Oberfläche einen Kontrast zu den glänzenden Wänden und Böden. Die Wandverkleidungen bestehen aus recycelten Papierfasern, einer Art Pappmaché, das um die Raumvolumen herumgelegt wurde und neben dem felsenartigen Effekt auch eine gute Schallabsorbierung ergibt. Sie sind der einzig feste und unverrückbare Ort in den sonst ineinander fließenden Büroflächen. Für den Designer ist die Gegenüberstellung von technischer Klarheit und „Natur“ ein wichtiges Zitat aus der Filmarchitektur. Wie in einem Set von Ken Adam steckt in einem vermeintlich natürlichen Ort ein Hightech-Labor. Davon zeugen auch die riesigen Deckenaugen in den Besprechungshöhlen, über die das Licht breit und gleißend in den Raum gestreut wird. Fast wie in einem Fotostudio gibt es kaum Schatten – ein perfekt neutrales Licht zur Präsentation der Kampagnen.
Am Ende doch Klischees
Leider tauchen dann auch die – für solche Agenturen – üblichen „Spaß- und Erholungszonen“ für gestresste Mitarbeiter auf, inklusive Sitzsäcken, Tischkickern und gemütlicher Wohnzimmerbeleuchtung. Warum so etwas bei der Gestaltung von Agenturräumlichkeiten noch immer als hip gilt, sollte man einmal mehr hinterfragen – oder sollte etwa die Anwendung dieser Klischees das Ergebnis Lehanneurs Reflektion der Arbeitsmethoden sein? Es wirkt eher so, als hätte der Einfluss des Designers an dieser Stelle geendet, zumindest will man das – als Entschuldigung für den Designer – hoffen.
FOTOGRAFIE Veronique Huygues
Veronique Huygues
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