Im Universum des Rudolf S.
Schulumbau am Bodensee von Lukas Imhof Architektur
Für manchen Architekturwettbewerb braucht es nicht nur Zeit und Energie, sondern vor allem Mut – und zwar für den Fall, dass man gewinnt. Als es um die Erweiterung und den Umbau des Schulhauses am Ekkharthof nahe Kreuzlingen ging, brachte der Zürcher Architekt Lukas Imhof das alles auf. Und wurde am Ende dafür belohnt: Seine Erweiterung komplettiert das Ensemble und zeigt, wie man anthroposophische Architektur respektvoll weiterbauen kann, ohne sich zu verbiegen.
Nein, so sagt es Lukas Imhof direkt, von Seiten der Bauherrschaft habe niemand beim Anbau nahe Kreuzlingen am Bodensee runde Ecken gefordert. Und dennoch: Was er und sein Team aus dem vierzig Jahre alten Schulhaus in Lengwil gemacht haben, zollt dem doch eigenwilligen Bestandsbau von 1974 maximalen Respekt. Im Ganzen wirkt das Ensemble heute stimmig und der Anbau spricht gleichzeitig eine eigenständige Sprache.
Unfertige Gesamtanlage
Doch von vorn: Vor rund 40 Jahren kaufte ein Verein zur anthroposophischen Betreuung geistig beeinträchtigter Menschen ein Bauernhofgelände nahe Kreuzlingen und beauftragte den bei Stuttgart ansässigen Architekten und Anthroposophen Rex Raab mit dem Neubau einer Anlage für das Wohnen, Lernen und Arbeiten. Denn – so kommuniziert es der Verein selbst – das Konzept anthroposophischer Heilpädagogik und Sozialtherapie erfordere die entsprechende Durchgestaltung des Lebensraums der Bewohner. 1974 wurde der in drei Bauetappen entstandene Ekkharthof offiziell eingeweiht. Der damals 60-jährige Architekt war in der Szene eine bekannte Größe, hatte am Innenausbau des zweiten Goetheanums in Dornach nahe Basel mitgearbeitet und bereits mehrere anthroposophische Schulen und Kindergärten in Deutschland und der Schweiz sowie eine Kirche in Berlin geplant. Doch die Stars der Szene halten nicht immer, was ihr Ruf verspricht. So auch auf dem Ekkharthof: Das bestehende Schulhaus, als L-Form geplant, ließ die Gesamtanlage unfertig wirken.
Identitätsstiftende Eingangshalle
Durch die Ergänzung eines dritten Flügels entstand nun eine dreiarmige Figur, die das Gesamtensemble zu einer Art Wagenburg schließt. Das bestehende Schulhaus und der Anbau werden durch eine umfassende Fassadenfarbe sowie das zwar eigenwillig geformte, aber dennoch weitergeführte Dach des Bestandsbaus zu einer Einheit verschmolzen. Am Fügungspunkt von Alt- und Neubau entstand ein fünfeckiger, über drei Geschosse reichender Restraum, der zu einer neuen Eingangshalle uminterpretiert wurde. Diese wirkt, so erläutert es Lukas Imhof, heute sehr stark identitätsstiftend, wohl auch dank ihrer durchdachten farblichen Gestaltung.
Farbe und Sand
Eine Auskleidung aus Stucco Veneziano in 22 verschiedenen Farben zeigt einen Farbverlauf von einem warmen Rotbraun im unteren Teil zu einem kühlen Blau für den „Himmel“ des Raumes. Durch die zusätzliche Beimischung von feinen Sanden aus der nahe gelegenen Thur entstand eine leicht differierende Oberfläche mit prägnanter Textur. Eine Abschlussbehandlung mit Wachs schafft einen sanften Glanz und eine wasserabweisende Oberfläche. Ein Glücksfall für die Architekten war die Zusammenarbeit mit einer Gipserfirma aus dem Nachbarort Weinfelden, weil sie lokale Kompetenz einbrachte. Und schließlich wurde der Stucco auch zum Glücksfall für die Schule, die nach Worten von Lukas Imhof eigentlich keine anthroposophisch orientierten Gestaltungselemente gefordert hatte – und nun mit dieser Eingangshalle doch vieles bekam, was gut zum Konzept passt, so zum Beispiel warme Farben und regionale Baumaterialien.
Hohlraum als Stauraum
Vom Bestandsbau übernommen hat das Team um Lukas Imhof das Prinzip der Leichtbauschalen. Sie bestimmen die innere Raumform und lösen sie damit von Konstruktion und Außenform. Der Hohlraum zwischen Raumdecke und Dach variiert erheblich in seiner Höhe und wird für haustechnische Installationen genutzt. Über der Turnhalle im Neubau dient er als Stauraum für Sportgeräte oder auch für die Beleuchtung. Im Bestandsgebäude bauten die Architekten zudem das Dachgeschoss zu Schulungs- und Sitzungsräumen aus. Hier drücken sich die kuppelartigen, frei geformten Räume nicht nur in den Dachraum, sondern durch die Dachhaut und erzeugen so Aufbauten, die als Ausstülpungen des Innenraumes gelesen werden können.
Kontrolle über den Raum gewinnen
Bei diesen Räumen hilft das Prinzip der raumbildenden, architektonischen Innenschalen auch dabei, die bereits bestehenden Räume besser zu kontrollieren. Sie würden durch ihre schiefwinkligen Geometrien sonst vielfach unförmig wirken. Gerade an derlei Problemen sehe man, dass nicht jeder als „anthroposophisch“ betitelte Bau die Qualitäten des von Steiner selbst geplanten Goetheanums aufweise, erläutert Architekt Lukas Imhof, der erst über den Wettbewerb mit der anthroposophischen Sichtweise auf das Bauen in Kontakt kam. Die Umgestaltung und Erweiterung des Schulhaus Ekkharthof zeigt es: Die in der Anthroposophie geforderten Raumqualitäten entsprechen dem, was sich in anderen Worten als gute und nachhaltig ausgeführte Architektur bezeichnen lässt – ganz abseits von nur oberflächlich angebrachten runden Ecken.