Projekte

Innerer Monolith

Erweiterung eines Aachener Reihenhauses von AMUNT Martenson

Reihenhäuser sind eine Entscheidung der Vernunft. Leidenschaft kommt einem dabei hingegen eher seltener in den Sinn. Dass letztere tatsächlich nicht ganz ausgeschlossen werden darf, zeigt ein Blick in die Aachener Siedlung Beverau. Der Architekt Björn Martenson vom Büro AMUNT Martenson hat dort die Typologie des Reihenhauses neu belebt – und dem strengen Reglement ein Schnippchen geschlagen.

von Norman Kietzmann, 07.11.2017

In Aachen-Beverau sind in den Fünfzigerjahren Wohnhäuser für die Familien der belgischen Streitkräfte errichtet worden. Nach deren Abzug kamen die Häuser auf den freien Markt und galten schnell als begehrte Adresse. Nicht nur, weil sie Wohnen im Grünen mit einer Nähe zum Zentrum verbinden. Aufgrund der Großzügigkeit der Parzellen ist ebenso eine nachträgliche Verdichtung zugelassen. Genau dafür hat sich eine Aachener Familie entschieden. „Sie wohnten zuvor in der Innenstadt und hatten eine Aversion gegenüber Reihenhäusern mit vorgefertigten Grundrissen, wie sie überall in der Peripherie entstehen“, sagt Björn Martenson. Der Gründer des ebenfalls in Aachen ansässigen Architekturbüros AMUNT Martenson stand vor einer kniffeligen Aufgabe: Auf der einen Seite musste er die strengen Vorgaben befolgen, die Kubatur, Traufhöhe, Dachform und Fensterordnung in der Siedlung genau festlegen. Auf der anderen Seite wollte er aus der Uniformität ausbrechen.

„Wie kann man räumliche Komplexität und Dichte erzeugen, die man in einem Reihenhaus überhaupt nicht erwartet?“, bringt Björn Martenson den Anspruch auf den Punkt. Wenn er die Regeln schon nicht brechen kann, kann er sie zumindest dehnen. Die Lösung bestand in der Umwandlung des Erdgeschosses zum Open Space, in dem gewohnt, gekocht und gegessen wird. Um Weite zu erzeugen, geht das Erdgeschoss in einen vier Meter tiefen, eingeschossigen Anbau über.

Fließendes Kontinuum
Die Besonderheit dieses ungleichen Häuserverbunds offenbart der Blick an die Decke. Diese verläuft keineswegs horizontal, sondern folgt einer durchgehenden Schräge. Von der Straßenfassade des Wohnhauses bis zur Rückseite des Anbaus steigt die Deckenhöhe um einen Meter auf 3,40 Meter an. Genau an ihrem höchsten Punkt öffnet sich die „Wohnhalle“ durch eine gläserne Schiebewand zur Terrasse und zum Garten. „Damit entsteht ein fließendes Kontinuum, das Innen- und Außenraum miteinander verbindet“, sagt der Aachener Architekt. 

Dass die Erdgeschossdecke im Gefälle liegt, wirkt sich ebenso auf das Ober- wie das Dachgeschoss aus. Das Ergebnis sind gliedernde Stufen, die die Schlaf- und Kinderzimmer jeweils mittig in eine untere und obere Ebene unterteilen. Die Höhensprünge geben naheliegende Nutzungen vor, indem auf den Podesten ein Bett und auf den niedrigeren Ebenen ein Tisch mit kleiner Sitzgruppe platziert werden könnte. „Das Podest kann selbst ein Möbel sein, sodass man nicht mehr als nur ein Lattenrost und eine Matratze benötigt. Dahinter steckt die Idee, ein einfaches, fast schon japanisches Wohngefühl einzubringen“, meint Martenson.

Architektur ist Möbel
Das Zusammenspiel aus Architektur und Möbel ist ebenso in der „Wohnhalle“ erlebbar. Dort vollzieht eine Betonarbeitsplatte mit eingelassener Spüle einen Höhensprung nach unten und geht in eine hölzerne Sitzbank über. Gegenüber wird ein Regal als Raumteiler verwendet, um einen Arbeitsbereich mit einem Bad abzutrennen. In der Mitte des Raumes soll später einmal eine Bulthaup-Küchenwerkbank stehen. Genau darüber ragen zwei Betonkuben aus der Sichtbetondecke nach unten. Sie dienen als Aufhängung für Regalböden, die genau über der Arbeitsplatte der Kücheninsel platziert werden.

„Wir wollten bei diesem Haus mit Rohbaumaterialien arbeiten, die später im Ausbau nicht versteckt werden. So bleiben die vier Eichenstützen, die das Obergeschoss mittragen, ebenso sichtbar wie der monolithisch bearbeitete Bimsstein, der nur außen, aber nicht innen verputzt ist“, erklärt Björn Martenson. Die Abkehr von konventioneller Reihenhaus-Gemütlichkeit wird jedoch keineswegs allein durch räumliche Weite und einen rau-warmen Materialkontrast erzeugt. Von der ersten Etage führt ein rundes Treppenhaus mit Wendeltreppe und holzverkleideten Innenwänden ins Dachgeschoss hinauf – wodurch sich in den Ecken der Kinderzimmer markante Rundungen abzeichnen. Die Botschaft ist eindeutig: Es sind vor allem die inneren Qualitäten, mit denen dieses Reihenhaus locker aus der Reihe tanzt.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Entwurf

AMUNT Martenson mit Mirjam Patz

www.amunt.info

Fotograf

Filip Dujardin

www.filipdujardin.be

DEAR Magazin Nr. 3/2017

Dieser Beitrag ist auch in unserem Printmagazin erschienen. Infos zur Heftbestellung:

www.dear-magazin.de

Haus Grau

Reihenhaus Nachverdichtung im Bestand, Aachen / 2017

Mehr Projekte

Palazzo mit Patina

Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Alte Scheune, neues Leben

Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Gebaut für Wind und Wetter

Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ein Dorfhaus als Landsitz

Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Ein offenes Haus

Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Harte Schale, weicher Kern

Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Zwischen Bestand und Zukunft

Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Offen für Neues

Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Baden unter Palmen

Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Maßgeschneidertes Refugium

Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Rückzugsort im Biosphärenreservat

MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

Im Dialog mit Le Corbusier

Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Warschauer Retrofuturimus

Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Trennung ohne Verluste

Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Architektur auf der Höhe

Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Architektur im Freien

Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien

Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien

California Cool

Mork-Ulnes Architects restaurieren das Creston House von Roger Lee in Berkeley

Mork-Ulnes Architects restaurieren das Creston House von Roger Lee in Berkeley

40 Quadratmeter Einsamkeit

Ländliches Ferienhaus von Extrarradio Estudio in Spanien

Ländliches Ferienhaus von Extrarradio Estudio in Spanien

Von der Ruine zum Rückzugsort

Wertschätzender Umbau von Veinte Diezz Arquitectos in Mexiko

Wertschätzender Umbau von Veinte Diezz Arquitectos in Mexiko

Zwischen Alt und Neu

Architect George erweitert Jahrhundertwendehaus in Sydney

Architect George erweitert Jahrhundertwendehaus in Sydney

Co-Living mit Geschichte

Umbau des historischen Metropol-Gebäudes von BEEF architekti in Bratislava

Umbau des historischen Metropol-Gebäudes von BEEF architekti in Bratislava

Aus dem Schlaf erwacht

Kern Architekten sanieren das Vöhlinschloss im Unterallgäu

Kern Architekten sanieren das Vöhlinschloss im Unterallgäu

Archäologie in Beton

Apartment-Transformation von Jorge Borondo und Ana Petra Moriyón in Madrid

Apartment-Transformation von Jorge Borondo und Ana Petra Moriyón in Madrid

Geordnete Offenheit

Umbau eines Einfamilienhauses von Max Luciano Geldof in Belgien

Umbau eines Einfamilienhauses von Max Luciano Geldof in Belgien

BAYERISCHES DUO

Zwei Wohnhäuser für drei Generationen von Buero Wagner am Starnberger See

Zwei Wohnhäuser für drei Generationen von Buero Wagner am Starnberger See

Über den Dächern

Umbau einer Berliner Penthousewohnung von Christopher Sitzler

Umbau einer Berliner Penthousewohnung von Christopher Sitzler

Schwebende Strukturen

Umbau eines maroden Wohnhauses von Bardo Arquitectura in Madrid

Umbau eines maroden Wohnhauses von Bardo Arquitectura in Madrid

Camden Chic

An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

Aus Werkstatt wird Wohnraum

Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Londoner in der Lombardei

Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See

Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See