Kiosk öffne dich!
In Londons Innenstadt bestimmen sie das Straßenbild: handgeschriebene Plakate mit den aktuellen Schlagzeilen vom Tage. Ob am Eingang zur U-Bahn oder in der Einkaufsstraße – überall ziehen fette schwarze Buchstaben die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich. Und signalisieren zugleich: Hier gibt es Zeitungen. Denn der durchschnittliche Zeitungsverkaufsstand in der britischen Hauptstadt besteht oft aus nicht mehr als ein paar mit den Plakaten verkleideten Boxen oder Aufstellern. Die Verwaltung des Royal Borough of Kensington and Chelsea, einem der Stadtteile im Zentrum, hatte genug von den wackeligen Buden und beauftragte das Architekturbüro Studio Heatherwick mit dem Entwurf einer dauerhaften und aufgeräumten Lösung. Herausgekommen ist, sowohl ästhetisch als auch praktisch gesehen, ein Gegenentwurf zu den improvisierten Ständen.
Studio Heatherwick entwickelte ein Kioskmodell, das mit einer Außenhaut aus patiniertem Messing eine gewisse Gediegenheit ausstrahlt – und sich damit im Royal Borough mit seinen Parks, Museen und schicken Einkaufsquartieren ganz gut macht. Der Stand besteht aus einem kompakten Baukörper auf elliptischem Grundriss, dessen Umfang stufenförmig nach oben zunimmt und insgesamt 2,5 Meter hoch ist. Die Fassade ist mit schuppenartig übereinander gelegten Messingstreifen verkleidet und erinnert ein wenig an einen Insektenpanzer oder ein Gürteltier. Den Abschluss bilden ein umlaufendes Glasband und ein ebenfalls abgestuftes Dach. Die Rückseite ist abgeflacht, so dass der Kiosk sowohl frei auf der Straße als auch vor einer Gebäudewand stehen kann.
Immer schön aufgeräumt
Die Kioske mögen sich mit ihrer an das Art Déco erinnernden Ästhetik nicht nur gut ins Straßenbild einfügen, sie sind auch viel praktischer als ihre improvisierten Vettern an der nächsten Ecke. Während die Verkäufer normalerweise jeden Morgen aufwändig ihre Stände aufbauen und die Zeitungen, Magazine und anderen Waren darauf verteilen müssen, ist das Modell von Heatherwick Studio immer fix und fertig eingeräumt. Der Verkäufer schiebt nur die beiden großen, in die Fassade integrierten Türen auf und schon können die ersten Kunden bedient werden.
Die Türen verschwinden dank eines ausgeklügelten Mechanismus’ ganz im Baukörper, so dass eine Längsseite des Kiosks zur Straße hin komplett offen ist. Die Innenwände aus Sperrholz dienen zugleich als Präsentationsfläche für die Zeitschriften. Der Tresen ist ebenfalls fest installiert, die Plattform dahinter bietet dem Verkaufspersonal einen erhöhten Arbeitsplatz mit Überblick und Schutz vor der Witterung. Im geschlossenen Zustand sollen die neuen Kioske mit ihrer skulpturalen Form ebenfalls eine gute Figur machen. Zudem erhoffen sich die Auftraggeber, dass sie weniger häufig zur Zielscheibe von Vandalismus und Schmierereien werden als die herkömmlichen Stände.
Zwei Tonnen schwer, aber transportabel
Die rund zwei Tonnen schweren Module werden vorgefertigt und mit einem Tieflader an ihren Bestimmungsort gebracht. Aufgrund ihres Eigengewichts benötigen sie keine weitere Stabilisierung. Entsprechend der Wünsche des Kioskbetreibers kann das Innere variabel angepasst werden. So wünschte sich einer der Betreiber einen Kühlschrank, ein anderer orderte zusätzliche Präsentationsfläche für Magazine. Zwei der rund 35.000 Euro teuren „Paperhouses“ sind bereits aufgestellt, zwei weitere werden gerade gebaut.
Und Platz für die traditionellen handgeschriebenen Plakate bieten die neuen Verkaufsstände auch noch – Flaneure und Touristen werden es Heatherwick Studio danken.
FOTOGRAFIE Cristobal Palma
Cristobal Palma