Organisierte Rohheit
Das großzügige Büro fürs Eigenlabel von Dior-Homme-Chefdesigner Kris van Assche.
Die Zutatenliste für die Neugestaltung der alten Pariser Druckerei fiel kurz, aber präzise aus: Stahlblech mit Vibrationsschliff, Seekiefer, Spiegel, Industrieleuchten, schwarze und weiße Farbe. So kann es laufen, wenn Designer Designer beauftragen – und der Klient Kris van Assche, der Chefdesigner von Dior Homme, ist.
Auf diesem Abschnitt der schmalen und mit Kopfstein gepflasterten Pariser Straße Rue du Faubourg du Temple drängen sich Modegeschäfte mit klangvollen Namen wie Miss One, Sister und Lady Coco aneinander. Goldene Kursivschriften werben für Alltags-Glitzer und Import-Glamour. Versteckt im Hinterhof, hat sich ein Belgier mit einer diametralen Auffassung von Fashion niedergelassen. Kris van Assche, Chefdesigner von Dior Homme und zugleich kreativer Kopf eines kleinen Labels unter eigenem Namen, hat hier 240 Quadratmeter einer alten Druckerei zu Büro und Showroom gemacht. Wie schon sein erster Shop, der 2013 in direkter Nachbarschaft des Louvre eröffnete, hat auch das Make Over des kreativen Headoffice das Architekten-Quartett Ciguë verantwortet.
Roh inszeniert
In den dezent und doch konsequent modernisierten Räumen finden sich deutliche Parallelen zur ästhetischen Haltung des Modedesigners: „Ciguë scheuen sich nicht, sich die Hände dreckig zu machen“, sagt Kris van Assche. „Ihre Arbeit ist handwerklich und doch modern – ein Herangehen, mit dem ich mich identifizieren kann. Ciguë brachte Wortpaare wie ‚organisierte Rohheit‘, ‚großzügiger Minimalismus‘ oder ‚unterbrochene Bewegung‘ mit – Kontraste, mit denen ich selber in meinen Entwürfen spiele.“ Die Herkunft eines Materials, seine Besonderheiten und die Essenz seines Charakters interessieren die vier Gestalter von Ciguë, die schon während ihres Architekturstudiums in Paris zu einem Team zusammenfanden. Ihre große Liebe gilt dem Werkstoff Holz: „Jedes Stück hat erkennbar eine andere Geschichte, eine andere Form, eine andere Maserung.“ In der Kombination mit anderen Materialien, die ebenfalls alle ihre eigene Dynamik und Logik haben, entsteht bei Ciguë ein Moment der Poesie und Harmonie.
Überraschende Sichtachsen
Im Fall der alten Druckerei war allein die bemerkenswerte Industriearchitektur schon ein Ton des ästhetischen Akkords. Betreten werden die Hallen durch knarrende Holztüren mit abblätternden Lettern, dahinter warten weite Räume, Backsteinmauern, hohe Fenster und Oberlichter. Diesen charakteristischen Bestand haben die Architekten erhalten, inszeniert oder durch kleine Interventionen hervorgehoben. Quadratische, verglaste Durchbrüche in den Fußböden geben an verschiedenen Stellen erwartet oder unerwartet den Blick auf die darunter liegende Etage frei, ein rahmenloser, fast wandfüllender Spiegel reflektiert den offenen Raum und lässt seine Grenzen verschwimmen. Die industriellen Wurzeln unterstreicht das Mobiliar, das sich zurücknimmt und als ein Echo der architektonischen Elemente auftritt. Stahl, Holz und Fabrikleuchten passen zur Werkstatt-Atmosphäre, dazu kommt viel Glas und moderne Möbel aus schwarz lasiertem Holz. Dabei steht die Funktion im Vordergrund, ist aber an vielen Stellen skulptural inszeniert. Ein mächtiges Bücherregal schwebt dann schon mal an der Wand, statt an ihr zu lehnen.
Zwischen den Polen, zwischen den Stühlen
Es sind die von Kris van Assche so begrüßten Kontraste, die das Interieur bestimmen. Raue Geschichte auf der einen Seite, geradlinige Moderne auf der anderen. Dazwischen bleibt viel Raum für die Kreativität. Allerdings könnte dieser Raum auch für einige Zeit ganz leer bleiben. Vor kurzem gab der Modedesigner bekannt, sein eigenes Label nach zehn Jahren vorerst auf Eis zu legen, um sich voll seiner Aufgabe bei Dior zu widmen.
FOTOGRAFIE Adrien Dirand, Maris Mezulis
Adrien Dirand, Maris Mezulis