Panorama bis zum Abwinkeln
Weiche Schale, harter Kern. Chalet von Savioz Fabrizzi.
Soll die Klischeekerbe richtig tief sein, darf man ruhig behaupten: In den Schweizer Bergen gibt es außer Abgeschiedenheit, berühmten Hustenbonbons und zungenbrecherischen Dialekten vor allem eines: eine atemberaubende Landschaft! Savioz Fabrizzi Architectes haben ein Wohnhaus realisiert, das nicht nur ungehinderte Aussicht auf grüne Almen und verschneite Felsmassive bietet, sondern durch seine sachliche Ästhetik selbst zum Blickfang wird.
Im Val d’Hérens, einem grünen Hochtal seitlich der Rhone, liegt auf zirka 1.300 Metern, eingerahmt von den majestätischen Gipfelkränzen des Zentralwallis, ein kleines Dorf. Unterhalb der Zweihundert-Seelen-Gemeinde, deren historische Holzhäuser, Stadel und Kornspeicher wie Heimatfilm-Kulissen an die steilen Hängen geklebt wirken, befindet sich das Chalet in Alleinlage an der Flanke eines Berges, ein bisschen wie ein Tier, das sich zu weit von seiner Herde entfernt hat.
Mittendrin statt nur dabei
Das Wohnhaus, dessen Entwurf und Planung der private Bauherr in die Hände der jungen Walliser Architekten Claude Fabrizzi und Laurent Savioz legte, die sich schon mit etlichen Neu- und Umbauten traditioneller Schweizer Gebäude einen Namen gemacht haben, steht in Südausrichtung auf einem natürlichen Plateau, das die Bebauung ohne große Veränderungen des Geländes ermöglichte. Auf diesem höchsten Punkt des Grundstücks stapeln sich drei facettenartig verspringenden Geschosse zu einem gleichermaßen kraftvoll wie lebhaft wirkenden Baukörper, der durch klug angeordnete Panoramafenster weite Blicke auf die umgebende malerische Szenerie – das Dorf im Westen, das Tal und die Alpen im Süden und Osten – ermöglicht.
Spiel der Gegensätze
Zwar ist das Chalet ein Neubau durch und durch. Denn vor allem der mächtige Betonsockel im Erdgeschoss, der sich zu einer großzügigen, aber schmucklosen Terrasse ausweitet, die wiederum von der darüberliegenden Auskragung der Obergeschosse überdacht wird, stellt einen harten Kontrast zum Liebreiz der umgebenden Landschaft dar. Doch die Verkleidung der oberen Etagen aus vertikalen Holzlatten, die stark an die typische lokale Scheunen-Ästhetik erinnert, neutralisiert diesen optischen Bruch zugleich, sodass das Gebäude wie in einer Art Häuser-Mimikry den Habitus der traditionellen Bergarchitektur imitiert, dabei jedoch seinen ganz eigenen Charakter bewahrt.
Weiche Schale, harter Kern
Dieses, in der äußeren Struktur des Gebäudes sichtbare Spiel mit den Gegensätzen setzt sich auch im Inneren fort. Ein mittig platzierter Betonkern, in dem neben einer Treppe außerdem das Bad und ein Wellnessbereich untergebracht sind, bildet die optische und strukturelle Verbindung zwischen den Etagen. Um Blickbeziehungen zwischen den Geschossen und den einzelnen Räumen zu ermöglichen, sind die Decken beziehungsweise Böden um dieses tragende Element herum durchbrochen – ein kluger Einfall, denn so verliert diese monolithische Struktur ein wenig von ihrer Wucht. Vor allem im Erdgeschoss orientiert sich der offen gestaltete Wohn- und Essbereich mit einer einfachen Küchenzeile um das graue Herzstück, das dort in Form eines langen, bodennahen Sockels zum Verweilen vor dem integrierten Kamin einlädt, während zwei große, horizontale Panoramafenster mit gemütlichen Fensterbänken wie Rahmen die unberührte Natur einfangen. Wochenlanges Eingeschneitsein? Wird hier plötzlich vorstellbar.
Zurück in die Gegenwart
Mit derselben reduzierten Formensprache sind auch die restlichen Räume des Hauses – drei Schlafzimmer, Bad, Büro, und die Waschküche im Keller – gestaltet. Obwohl das Kellergeschoss sowie das Erdgeschoss und die Obergeschosse im Grundriss jeweils leicht voneinander abweichen und sich dadurch Außenwände mit unterschiedlichen Winkelbeziehungen ergeben, wirken die Räume groß und strahlen eine ruhige Übersichtlichkeit aus. Die Verkleidung mit Holz an den Außenseiten des Chalets findet sich auch in allen Innenräumen als Paneele an Wänden, Böden und Decken wieder, was – trotz der eher nüchternen Betonformen – eine warme, wohnliche Atmosphäre erzeugt.
Das Chalet Val d’ Hérens ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Blick zurück auf die Vergangenheit mit einem zeitgemäß interpretierten Traditionsbewusstsein direkt in die idyllischste Gegenwart führen kann.
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FOTOGRAFIE Thomas Jantscher
Thomas Jantscher
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Gipfelglück und Pistenspaß Alpinarchitektur und Designschätze
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Savioz Fabrizzi Architectes