Projekte

Panorama bis zum Abwinkeln

Weiche Schale, harter Kern. Chalet von Savioz Fabrizzi.

von Toni Kny, 25.11.2015

Soll die Klischeekerbe richtig tief sein, darf man ruhig behaupten: In den Schweizer Bergen gibt es außer Abgeschiedenheit, berühmten Hustenbonbons und zungenbrecherischen Dialekten vor allem eines: eine atemberaubende Landschaft! Savioz Fabrizzi Architectes haben ein Wohnhaus realisiert, das nicht nur ungehinderte Aussicht auf grüne Almen und verschneite Felsmassive bietet, sondern durch seine sachliche Ästhetik selbst zum Blickfang wird.

Im Val d’Hérens, einem grünen Hochtal seitlich der Rhone, liegt auf zirka 1.300 Metern, eingerahmt von den majestätischen Gipfelkränzen des Zentralwallis, ein kleines Dorf. Unterhalb der Zweihundert-Seelen-Gemeinde, deren historische Holzhäuser, Stadel und Kornspeicher wie Heimatfilm-Kulissen an die steilen Hängen geklebt wirken, befindet sich das Chalet in Alleinlage an der Flanke eines Berges, ein bisschen wie ein Tier, das sich zu weit von seiner Herde entfernt hat.

Mittendrin statt nur dabei
Das Wohnhaus, dessen Entwurf und Planung der private Bauherr in die Hände der jungen Walliser Architekten Claude Fabrizzi und Laurent Savioz legte, die sich schon mit etlichen Neu- und Umbauten traditioneller Schweizer Gebäude einen Namen gemacht haben, steht in Südausrichtung auf einem natürlichen Plateau, das die Bebauung ohne große Veränderungen des Geländes ermöglichte. Auf diesem höchsten Punkt des Grundstücks stapeln sich drei facettenartig verspringenden Geschosse zu einem gleichermaßen kraftvoll wie lebhaft wirkenden Baukörper, der durch klug angeordnete Panoramafenster weite Blicke auf die umgebende malerische Szenerie – das Dorf im Westen, das Tal und die Alpen im Süden und Osten – ermöglicht.

Spiel der Gegensätze
Zwar ist das Chalet ein Neubau durch und durch. Denn vor allem der mächtige Betonsockel im Erdgeschoss, der sich zu einer großzügigen, aber schmucklosen Terrasse ausweitet, die wiederum von der darüberliegenden Auskragung der Obergeschosse überdacht wird, stellt einen harten Kontrast zum Liebreiz der umgebenden Landschaft dar. Doch die Verkleidung der oberen Etagen aus vertikalen Holzlatten, die stark an die typische lokale Scheunen-Ästhetik erinnert, neutralisiert diesen optischen Bruch zugleich, sodass das Gebäude wie in einer Art Häuser-Mimikry den Habitus der traditionellen Bergarchitektur imitiert, dabei jedoch seinen ganz eigenen Charakter bewahrt.

Weiche Schale, harter Kern
Dieses, in der äußeren Struktur des Gebäudes sichtbare Spiel mit den Gegensätzen setzt sich auch im Inneren fort. Ein mittig platzierter Betonkern, in dem neben einer Treppe außerdem das Bad und ein Wellnessbereich untergebracht sind, bildet die optische und strukturelle Verbindung zwischen den Etagen. Um Blickbeziehungen zwischen den Geschossen und den einzelnen Räumen zu ermöglichen, sind die Decken beziehungsweise Böden um dieses tragende Element herum durchbrochen – ein kluger Einfall, denn so verliert diese monolithische Struktur ein wenig von ihrer Wucht. Vor allem im Erdgeschoss orientiert sich der offen gestaltete Wohn- und Essbereich mit einer einfachen Küchenzeile um das graue Herzstück, das dort in Form eines langen, bodennahen Sockels zum Verweilen vor dem integrierten Kamin einlädt, während zwei große, horizontale Panoramafenster mit gemütlichen Fensterbänken wie Rahmen die unberührte Natur einfangen. Wochenlanges Eingeschneitsein? Wird hier plötzlich vorstellbar.

Zurück in die Gegenwart
Mit derselben reduzierten Formensprache sind auch die restlichen Räume des Hauses – drei Schlafzimmer, Bad, Büro, und die Waschküche im Keller – gestaltet. Obwohl das Kellergeschoss sowie das Erdgeschoss und die Obergeschosse im Grundriss jeweils leicht voneinander abweichen und sich dadurch Außenwände mit unterschiedlichen Winkelbeziehungen ergeben, wirken die Räume groß und strahlen eine ruhige Übersichtlichkeit aus. Die Verkleidung mit Holz an den Außenseiten des Chalets findet sich auch in allen Innenräumen als Paneele an Wänden, Böden und Decken wieder, was – trotz der eher nüchternen Betonformen – eine warme, wohnliche Atmosphäre erzeugt.

Das Chalet Val d’ Hérens ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Blick zurück auf die Vergangenheit mit einem zeitgemäß interpretierten Traditionsbewusstsein direkt in die idyllischste Gegenwart führen kann.

Alle Beiträge des Specials SCHWEIZ WEISS finden Sie hier.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Special: SCHWEIZ WEISS

Gipfelglück und Pistenspaß Alpinarchitektur und Designschätze

www.designlines.de

Projektarchitekten

Savioz Fabrizzi Architectes

Weitere Projekte von Savioz Fabrizzi bei Designlines

www.designlines.de

Mehr Projekte

Eine Familienangelegenheit

Umbau eines Schweizer Wohnhauses von Charlotte Nierlé

Umbau eines Schweizer Wohnhauses von Charlotte Nierlé

Umbau mit Happy End

Renovierung eines Mid-Century-Apartments in Madrid

Renovierung eines Mid-Century-Apartments in Madrid

Ruhepol am Kattegat

Strandhaus Heatherhill von Norm Architects

Strandhaus Heatherhill von Norm Architects

Monoton monochrom

Weißgraue Wohnaskese von i.B Archstudio in Litauen

Weißgraue Wohnaskese von i.B Archstudio in Litauen

Rosafarbener Würfel

Casa en Tres Ríos in Mexiko von César Béjar Studio

Casa en Tres Ríos in Mexiko von César Béjar Studio

Alpine Kontraste

Moderne Chalets im Skigebiet Les Trois Vallées

Moderne Chalets im Skigebiet Les Trois Vallées

Ein Haus, das aus der Reihe tanzt

Stadthaus in Belgien von Poot Architectuur

Stadthaus in Belgien von Poot Architectuur

Chromatische Wolkenreise

Ein irisierendes Apartment von Martín Peláez in Madrid

Ein irisierendes Apartment von Martín Peláez in Madrid

Haus ohne Grenzen

Treppauf, treppab und hoch hinaus in Tokio

Treppauf, treppab und hoch hinaus in Tokio

Schön schlicht

Umbau eines Wohnhauses in Kutná Hora von BYRÓ Architekti

Umbau eines Wohnhauses in Kutná Hora von BYRÓ Architekti

Ästhetik und Funktionalität

Ausstattung einer Wohnung in Mailand von Zitturi

Ausstattung einer Wohnung in Mailand von Zitturi

Monolith mit einem Herz aus Neon

Ferienhaus im Nationalpark von one-aftr

Ferienhaus im Nationalpark von one-aftr

Viel Raum auf kleiner Fläche

Flexible Single-Wohnung in Madrid von Nula.Studio

Flexible Single-Wohnung in Madrid von Nula.Studio

Der Pionier von Palma

Ein nachhaltiges Wohnhaus von Feina Studio

Ein nachhaltiges Wohnhaus von Feina Studio

Alles Latte

Holzkonstruktion wird zum verbindenden Element

Holzkonstruktion wird zum verbindenden Element

Radikales Raffinement

Studio-Apartment von minuit architectes in Paris

Studio-Apartment von minuit architectes in Paris

Aus halb wird ganz

Umbau einer Altbauwohnung in Barcelona von Raúl Sánchez

Umbau einer Altbauwohnung in Barcelona von Raúl Sánchez

Es bleibt in der Familie

JanskyDundera gestaltet eine Wohnetage in Klatovy neu

JanskyDundera gestaltet eine Wohnetage in Klatovy neu

Schutzraum wird zum Wohnraum

Transformation eines Hochbunkers in Hamburg von Björn Liese

Transformation eines Hochbunkers in Hamburg von Björn Liese

Skandinavien im Unterallgäu

Umbau eines Bauernhofs in moderne Ferienwohnungen

Umbau eines Bauernhofs in moderne Ferienwohnungen

Eine Hütte fürs Handwerk

Transformation eines englischen Stalls von HUTCH Design

Transformation eines englischen Stalls von HUTCH Design

Rekonstruktion einer Landschaft

Ein energieeffizienter Stelzenbau in Spanien

Ein energieeffizienter Stelzenbau in Spanien

Farbe unterm Reetdach

Ein transformiertes Haus am See von Keßler Plescher Architekten

Ein transformiertes Haus am See von Keßler Plescher Architekten

Das große Schwarze

Massivholzhaus am See von Appels Architekten

Massivholzhaus am See von Appels Architekten

Einzug der Gegenwart

Wohnhaus-Umbau in den Niederlanden von Studio Modijefsky

Wohnhaus-Umbau in den Niederlanden von Studio Modijefsky

Urbanes Paradies

Apartment mit Pool-Anschluss von Studio Gameiro in Lissabon

Apartment mit Pool-Anschluss von Studio Gameiro in Lissabon

Kleines Raumwunder

Mikroapartment in Barcelona von LAMA Studio

Mikroapartment in Barcelona von LAMA Studio

Grün gerahmte Wohnfläche

Schmiedhof im Berliner Viktoria-Quartier von Christopher Sitzler

Schmiedhof im Berliner Viktoria-Quartier von Christopher Sitzler

Konservierte Schönheit

Sanierung eines Dreiseithofs im Taunus

Sanierung eines Dreiseithofs im Taunus

Spiel der Kontraste

Atelier ST entwirft ein Wohnhaus in Leipzig

Atelier ST entwirft ein Wohnhaus in Leipzig